Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Italiens, daß er mich in seine Reiche herüber berufe. Da ich aber
Keinem so unterthan, noch auch so niedrigen Standes war, daß man
mich hätte zwingen mögen, wandte er sich an mich mit bittender An-
zeige, also daß er mein Versprechen als Unterpfand des Kommens
empfing. So geschah es auch, als er Welschland verließ, daß ich ihm
folgte. Und ich folgte ihm, gedenkend, daß mein Kommen Keinem
zum Schaden, Vielen zu Nutzen gereichen möge, denn wozu treibt
uns nicht die Liebe und der Wunsch, den Mitbrüdern genehm zu sein?
Und ich zog meines Weges, nicht wie ein Britanne gespickt mit den
Geschossen des Tadels, sondern im Dienste der Liebe und Wissenschaft.

"Ueber steiles Joch der Gebirge und abschüssige Schluchten und
Thäler kam ich endlich vor des heiligen Gallus Kloster an, und zwar
so erschöpft, daß die vom eisigen Hauch der Bergluft erstarrten Hände den
Dienst versagten und fremde Hilfleistung mich vom Saumthier heben mußte.

"Des Ankommenden Hoffnung war friedlich Ausruhen am Ort
klösterlicher Niederlassung. Auch sah ich dort häufiges Neigen der
Häupter, sittig geordnete Capuzen, sanftes Einherschreiten und seltenen
Gebrauch der Rede, also daß ich keines Unheils gewärtig stund, nur
daß des Juvenalis Spruch gegen die falschen Philosophen:

"Spärlich ist ihnen das Wort, -- doch Bosheit steckt in dem Schweigen,"
heimlich an meinem Gemüth nagen wollte. Und wer sollte glauben,
daß jenem Heiden vorahnende Kenntniß von kuttentragender Verkehrt-
heit inwohnte?

"Doch freute ich mich harmlos meines Lebens, erwartend, ob nicht
unter dem spärlichen Gemurmel der Brüder etliche Funken philosophi-
scher Strebungen aufblitzen möchten. Es blitzte aber nichts auf, sie
rüsteten am Rüstzeug der Hinterlist.

"Unter Anderen war auch ein junger Schülerknab' anwesend und
ein Aelterer, der -- -- je nun! er war wie er war; sie hießen ihn
einen braven Lehrer des Klosters, wiewohl er mir in die Welt zu
schauen schien mit den Augen einer Turteltaube. Von diesem schmach-
tend blickenden Gelehrten habe ich nunmehr zu reden. Höret seine
That. Ab und zugehend, machte er den Schüler zum Gefährten eines
tückischen Anschlages.

"Nacht war's, es nahte die Zeit des sorgenstillenden Schlummers,
Wohlgesättigt des Mahls, zollten wir Bacchus sein Recht --

Italiens, daß er mich in ſeine Reiche herüber berufe. Da ich aber
Keinem ſo unterthan, noch auch ſo niedrigen Standes war, daß man
mich hätte zwingen mögen, wandte er ſich an mich mit bittender An-
zeige, alſo daß er mein Verſprechen als Unterpfand des Kommens
empfing. So geſchah es auch, als er Welſchland verließ, daß ich ihm
folgte. Und ich folgte ihm, gedenkend, daß mein Kommen Keinem
zum Schaden, Vielen zu Nutzen gereichen möge, denn wozu treibt
uns nicht die Liebe und der Wunſch, den Mitbrüdern genehm zu ſein?
Und ich zog meines Weges, nicht wie ein Britanne geſpickt mit den
Geſchoſſen des Tadels, ſondern im Dienſte der Liebe und Wiſſenſchaft.

„Ueber ſteiles Joch der Gebirge und abſchüſſige Schluchten und
Thäler kam ich endlich vor des heiligen Gallus Kloſter an, und zwar
ſo erſchöpft, daß die vom eiſigen Hauch der Bergluft erſtarrten Hände den
Dienſt verſagten und fremde Hilfleiſtung mich vom Saumthier heben mußte.

„Des Ankommenden Hoffnung war friedlich Ausruhen am Ort
klöſterlicher Niederlaſſung. Auch ſah ich dort häufiges Neigen der
Häupter, ſittig geordnete Capuzen, ſanftes Einherſchreiten und ſeltenen
Gebrauch der Rede, alſo daß ich keines Unheils gewärtig ſtund, nur
daß des Juvenalis Spruch gegen die falſchen Philoſophen:

„Spärlich iſt ihnen das Wort, — doch Bosheit ſteckt in dem Schweigen,“
heimlich an meinem Gemüth nagen wollte. Und wer ſollte glauben,
daß jenem Heiden vorahnende Kenntniß von kuttentragender Verkehrt-
heit inwohnte?

„Doch freute ich mich harmlos meines Lebens, erwartend, ob nicht
unter dem ſpärlichen Gemurmel der Brüder etliche Funken philoſophi-
ſcher Strebungen aufblitzen möchten. Es blitzte aber nichts auf, ſie
rüſteten am Rüſtzeug der Hinterliſt.

„Unter Anderen war auch ein junger Schülerknab' anweſend und
ein Aelterer, der — — je nun! er war wie er war; ſie hießen ihn
einen braven Lehrer des Kloſters, wiewohl er mir in die Welt zu
ſchauen ſchien mit den Augen einer Turteltaube. Von dieſem ſchmach-
tend blickenden Gelehrten habe ich nunmehr zu reden. Höret ſeine
That. Ab und zugehend, machte er den Schüler zum Gefährten eines
tückiſchen Anſchlages.

„Nacht war's, es nahte die Zeit des ſorgenſtillenden Schlummers,
Wohlgeſättigt des Mahls, zollten wir Bacchus ſein Recht —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote>
            <p><pb facs="#f0256" n="234"/>
Italiens, daß er mich in &#x017F;eine Reiche herüber berufe. Da ich aber<lb/>
Keinem &#x017F;o unterthan, noch auch &#x017F;o niedrigen Standes war, daß man<lb/>
mich hätte zwingen mögen, wandte er &#x017F;ich an mich mit bittender An-<lb/>
zeige, al&#x017F;o daß er mein Ver&#x017F;prechen als Unterpfand des Kommens<lb/>
empfing. So ge&#x017F;chah es auch, als er Wel&#x017F;chland verließ, daß ich ihm<lb/>
folgte. Und ich folgte ihm, gedenkend, daß mein Kommen Keinem<lb/>
zum Schaden, Vielen zu Nutzen gereichen möge, denn wozu treibt<lb/>
uns nicht die Liebe und der Wun&#x017F;ch, den Mitbrüdern genehm zu &#x017F;ein?<lb/>
Und ich zog meines Weges, nicht wie ein Britanne ge&#x017F;pickt mit den<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en des Tadels, &#x017F;ondern im Dien&#x017F;te der Liebe und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Ueber &#x017F;teiles Joch der Gebirge und ab&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;ige Schluchten und<lb/>
Thäler kam ich endlich vor des heiligen Gallus Klo&#x017F;ter an, und zwar<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;chöpft, daß die vom ei&#x017F;igen Hauch der Bergluft er&#x017F;tarrten Hände den<lb/>
Dien&#x017F;t ver&#x017F;agten und fremde Hilflei&#x017F;tung mich vom Saumthier heben mußte.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Des Ankommenden Hoffnung war friedlich Ausruhen am Ort<lb/>
klö&#x017F;terlicher Niederla&#x017F;&#x017F;ung. Auch &#x017F;ah ich dort häufiges Neigen der<lb/>
Häupter, &#x017F;ittig geordnete Capuzen, &#x017F;anftes Einher&#x017F;chreiten und &#x017F;eltenen<lb/>
Gebrauch der Rede, al&#x017F;o daß ich keines Unheils gewärtig &#x017F;tund, nur<lb/>
daß des Juvenalis Spruch gegen die fal&#x017F;chen Philo&#x017F;ophen:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Spärlich i&#x017F;t ihnen das Wort, &#x2014; doch Bosheit &#x017F;teckt in dem Schweigen,&#x201C;<lb/>
heimlich an meinem Gemüth nagen wollte. Und wer &#x017F;ollte glauben,<lb/>
daß jenem Heiden vorahnende Kenntniß von kuttentragender Verkehrt-<lb/>
heit inwohnte?</p><lb/>
            <p>&#x201E;Doch freute ich mich harmlos meines Lebens, erwartend, ob nicht<lb/>
unter dem &#x017F;pärlichen Gemurmel der Brüder etliche Funken philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;cher Strebungen aufblitzen möchten. Es blitzte aber nichts auf, &#x017F;ie<lb/>&#x017F;teten am Rü&#x017F;tzeug der Hinterli&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Unter Anderen war auch ein junger Schülerknab' anwe&#x017F;end und<lb/>
ein Aelterer, der &#x2014; &#x2014; je nun! er war wie er war; &#x017F;ie hießen ihn<lb/>
einen braven Lehrer des Klo&#x017F;ters, wiewohl er mir in die Welt zu<lb/>
&#x017F;chauen &#x017F;chien mit den Augen einer Turteltaube. Von die&#x017F;em &#x017F;chmach-<lb/>
tend blickenden Gelehrten habe ich nunmehr zu reden. Höret &#x017F;eine<lb/>
That. Ab und zugehend, machte er den Schüler zum Gefährten eines<lb/>
tücki&#x017F;chen An&#x017F;chlages.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Nacht war's, es nahte die Zeit des &#x017F;orgen&#x017F;tillenden Schlummers,<lb/>
Wohlge&#x017F;ättigt des Mahls, zollten wir Bacchus &#x017F;ein Recht &#x2014;<lb/></p>
          </quote>
        </cit>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0256] Italiens, daß er mich in ſeine Reiche herüber berufe. Da ich aber Keinem ſo unterthan, noch auch ſo niedrigen Standes war, daß man mich hätte zwingen mögen, wandte er ſich an mich mit bittender An- zeige, alſo daß er mein Verſprechen als Unterpfand des Kommens empfing. So geſchah es auch, als er Welſchland verließ, daß ich ihm folgte. Und ich folgte ihm, gedenkend, daß mein Kommen Keinem zum Schaden, Vielen zu Nutzen gereichen möge, denn wozu treibt uns nicht die Liebe und der Wunſch, den Mitbrüdern genehm zu ſein? Und ich zog meines Weges, nicht wie ein Britanne geſpickt mit den Geſchoſſen des Tadels, ſondern im Dienſte der Liebe und Wiſſenſchaft. „Ueber ſteiles Joch der Gebirge und abſchüſſige Schluchten und Thäler kam ich endlich vor des heiligen Gallus Kloſter an, und zwar ſo erſchöpft, daß die vom eiſigen Hauch der Bergluft erſtarrten Hände den Dienſt verſagten und fremde Hilfleiſtung mich vom Saumthier heben mußte. „Des Ankommenden Hoffnung war friedlich Ausruhen am Ort klöſterlicher Niederlaſſung. Auch ſah ich dort häufiges Neigen der Häupter, ſittig geordnete Capuzen, ſanftes Einherſchreiten und ſeltenen Gebrauch der Rede, alſo daß ich keines Unheils gewärtig ſtund, nur daß des Juvenalis Spruch gegen die falſchen Philoſophen: „Spärlich iſt ihnen das Wort, — doch Bosheit ſteckt in dem Schweigen,“ heimlich an meinem Gemüth nagen wollte. Und wer ſollte glauben, daß jenem Heiden vorahnende Kenntniß von kuttentragender Verkehrt- heit inwohnte? „Doch freute ich mich harmlos meines Lebens, erwartend, ob nicht unter dem ſpärlichen Gemurmel der Brüder etliche Funken philoſophi- ſcher Strebungen aufblitzen möchten. Es blitzte aber nichts auf, ſie rüſteten am Rüſtzeug der Hinterliſt. „Unter Anderen war auch ein junger Schülerknab' anweſend und ein Aelterer, der — — je nun! er war wie er war; ſie hießen ihn einen braven Lehrer des Kloſters, wiewohl er mir in die Welt zu ſchauen ſchien mit den Augen einer Turteltaube. Von dieſem ſchmach- tend blickenden Gelehrten habe ich nunmehr zu reden. Höret ſeine That. Ab und zugehend, machte er den Schüler zum Gefährten eines tückiſchen Anſchlages. „Nacht war's, es nahte die Zeit des ſorgenſtillenden Schlummers, Wohlgeſättigt des Mahls, zollten wir Bacchus ſein Recht —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/256
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/256>, abgerufen am 23.12.2024.