Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darfst mitessen, rief Erica und
machte ihm ein Zeichen daß er der Andern Beispiel folge. Er schaute
nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verschränkten Beinen,
als hätt' er's nie anders gelernt -- da machte Heribald einen Versuch,
aber bald stund er wieder auf, das Liegen däuchte ihm allzu unwürdig.
Er holte sich im Kloster einen Stuhl und setzte sich zu ihnen.

Ein Ochse war am Spieß gebraten. Was sonst der Klosterküche
Vorrath bot ward gereicht; sie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem
Säbel ward das Fleisch herunter gehauen, die Finger der Hand ver-
traten bei den Schmausenden die Stelle von Messer und Gabel. Auf-
recht stund das große Weinfaß im Hofe, ein Jeder schöpfte draus so
viel ihm beliebte, da und dort kam ein kunstgeformter Kelch als
Trinkgefäß zum Vorschein. Auch dem Heribald brachten sie Weines
die Hülle und Fülle, wie er aber stillvergnügt dran nippte, flog ihm
ein halb genagter Knochen an Kopf -- er schaute schmerzlich auf,
aber er schaute, daß noch Manchen der Schmausenden ein gleiches
Schicksal ereilte; sich mit den Knochen werfen, war hunnischer Brauch
an Statt eines Nachtisches.

Weinwarm begannen sie drauf ein ungefüges Singen.177) Zwei
der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König
Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, sondern
auch durch Liebreiz ein Sieger gewesen allenthalb und kam eine höh-
nische Strophe über eines römischen Kaisers Schwester, die ihm Hand
und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm.

Wie Eulenschrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten
Etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm
ein Gesang verlangt werde. Er wollte sich weigern, es half nichts.
Da stimmte er ernst und mit schier weinender Stimme den Antiphon
zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: sanctifica nos!
Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten
Kirchensangs, wie eine Stimme aus der Wüste klang die fremde
Weise. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Kessel,
mit ihrem Messer schlich sie herüber, faßte Heribald's Haupthaar und
wollte ihm das Gelock verschneiden -- der höchste Schimpf der eines
Geistlichen durch die Tonsur geweihtem Haupte widerfahren konnte.

Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darfſt miteſſen, rief Erica und
machte ihm ein Zeichen daß er der Andern Beiſpiel folge. Er ſchaute
nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verſchränkten Beinen,
als hätt' er's nie anders gelernt — da machte Heribald einen Verſuch,
aber bald ſtund er wieder auf, das Liegen däuchte ihm allzu unwürdig.
Er holte ſich im Kloſter einen Stuhl und ſetzte ſich zu ihnen.

Ein Ochſe war am Spieß gebraten. Was ſonſt der Kloſterküche
Vorrath bot ward gereicht; ſie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem
Säbel ward das Fleiſch herunter gehauen, die Finger der Hand ver-
traten bei den Schmauſenden die Stelle von Meſſer und Gabel. Auf-
recht ſtund das große Weinfaß im Hofe, ein Jeder ſchöpfte draus ſo
viel ihm beliebte, da und dort kam ein kunſtgeformter Kelch als
Trinkgefäß zum Vorſchein. Auch dem Heribald brachten ſie Weines
die Hülle und Fülle, wie er aber ſtillvergnügt dran nippte, flog ihm
ein halb genagter Knochen an Kopf — er ſchaute ſchmerzlich auf,
aber er ſchaute, daß noch Manchen der Schmauſenden ein gleiches
Schickſal ereilte; ſich mit den Knochen werfen, war hunniſcher Brauch
an Statt eines Nachtiſches.

Weinwarm begannen ſie drauf ein ungefüges Singen.177) Zwei
der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König
Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, ſondern
auch durch Liebreiz ein Sieger geweſen allenthalb und kam eine höh-
niſche Strophe über eines römiſchen Kaiſers Schweſter, die ihm Hand
und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm.

Wie Eulenſchrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten
Etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm
ein Geſang verlangt werde. Er wollte ſich weigern, es half nichts.
Da ſtimmte er ernſt und mit ſchier weinender Stimme den Antiphon
zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: sanctifica nos!
Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten
Kirchenſangs, wie eine Stimme aus der Wüſte klang die fremde
Weiſe. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Keſſel,
mit ihrem Meſſer ſchlich ſie herüber, faßte Heribald's Haupthaar und
wollte ihm das Gelock verſchneiden — der höchſte Schimpf der eines
Geiſtlichen durch die Tonſur geweihtem Haupte widerfahren konnte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0198" n="176"/>
        <p>Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darf&#x017F;t mite&#x017F;&#x017F;en, rief Erica und<lb/>
machte ihm ein Zeichen daß er der Andern Bei&#x017F;piel folge. Er &#x017F;chaute<lb/>
nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit ver&#x017F;chränkten Beinen,<lb/>
als hätt' er's nie anders gelernt &#x2014; da machte Heribald einen Ver&#x017F;uch,<lb/>
aber bald &#x017F;tund er wieder auf, das Liegen däuchte ihm allzu unwürdig.<lb/>
Er holte &#x017F;ich im Klo&#x017F;ter einen Stuhl und &#x017F;etzte &#x017F;ich zu ihnen.</p><lb/>
        <p>Ein Och&#x017F;e war am Spieß gebraten. Was &#x017F;on&#x017F;t der Klo&#x017F;terküche<lb/>
Vorrath bot ward gereicht; &#x017F;ie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem<lb/>
Säbel ward das Flei&#x017F;ch herunter gehauen, die Finger der Hand ver-<lb/>
traten bei den Schmau&#x017F;enden die Stelle von Me&#x017F;&#x017F;er und Gabel. Auf-<lb/>
recht &#x017F;tund das große Weinfaß im Hofe, ein Jeder &#x017F;chöpfte draus &#x017F;o<lb/>
viel ihm beliebte, da und dort kam ein kun&#x017F;tgeformter Kelch als<lb/>
Trinkgefäß zum Vor&#x017F;chein. Auch dem Heribald brachten &#x017F;ie Weines<lb/>
die Hülle und Fülle, wie er aber &#x017F;tillvergnügt dran nippte, flog ihm<lb/>
ein halb genagter Knochen an Kopf &#x2014; er &#x017F;chaute &#x017F;chmerzlich auf,<lb/>
aber er &#x017F;chaute, daß noch Manchen der Schmau&#x017F;enden ein gleiches<lb/>
Schick&#x017F;al ereilte; &#x017F;ich mit den Knochen werfen, war hunni&#x017F;cher Brauch<lb/>
an Statt eines Nachti&#x017F;ches.</p><lb/>
        <p>Weinwarm begannen &#x017F;ie drauf ein ungefüges Singen.<note xml:id="ed177" next="#edt177" place="end" n="177)"/> Zwei<lb/>
der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König<lb/>
Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, &#x017F;ondern<lb/>
auch durch Liebreiz ein Sieger gewe&#x017F;en allenthalb und kam eine höh-<lb/>
ni&#x017F;che Strophe über eines römi&#x017F;chen Kai&#x017F;ers Schwe&#x017F;ter, die ihm Hand<lb/>
und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm.</p><lb/>
        <p>Wie Eulen&#x017F;chrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten<lb/>
Etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm<lb/>
ein Ge&#x017F;ang verlangt werde. Er wollte &#x017F;ich weigern, es half nichts.<lb/>
Da &#x017F;timmte er ern&#x017F;t und mit &#x017F;chier weinender Stimme den Antiphon<lb/>
zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: <hi rendition="#aq">sanctifica nos!</hi><lb/>
Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten<lb/>
Kirchen&#x017F;angs, wie eine Stimme aus der Wü&#x017F;te klang die fremde<lb/>
Wei&#x017F;e. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Ke&#x017F;&#x017F;el,<lb/>
mit ihrem Me&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chlich &#x017F;ie herüber, faßte Heribald's Haupthaar und<lb/>
wollte ihm das Gelock ver&#x017F;chneiden &#x2014; der höch&#x017F;te Schimpf der eines<lb/>
Gei&#x017F;tlichen durch die Ton&#x017F;ur geweihtem Haupte widerfahren konnte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0198] Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darfſt miteſſen, rief Erica und machte ihm ein Zeichen daß er der Andern Beiſpiel folge. Er ſchaute nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verſchränkten Beinen, als hätt' er's nie anders gelernt — da machte Heribald einen Verſuch, aber bald ſtund er wieder auf, das Liegen däuchte ihm allzu unwürdig. Er holte ſich im Kloſter einen Stuhl und ſetzte ſich zu ihnen. Ein Ochſe war am Spieß gebraten. Was ſonſt der Kloſterküche Vorrath bot ward gereicht; ſie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem Säbel ward das Fleiſch herunter gehauen, die Finger der Hand ver- traten bei den Schmauſenden die Stelle von Meſſer und Gabel. Auf- recht ſtund das große Weinfaß im Hofe, ein Jeder ſchöpfte draus ſo viel ihm beliebte, da und dort kam ein kunſtgeformter Kelch als Trinkgefäß zum Vorſchein. Auch dem Heribald brachten ſie Weines die Hülle und Fülle, wie er aber ſtillvergnügt dran nippte, flog ihm ein halb genagter Knochen an Kopf — er ſchaute ſchmerzlich auf, aber er ſchaute, daß noch Manchen der Schmauſenden ein gleiches Schickſal ereilte; ſich mit den Knochen werfen, war hunniſcher Brauch an Statt eines Nachtiſches. Weinwarm begannen ſie drauf ein ungefüges Singen. ¹⁷⁷⁾ Zwei der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, ſondern auch durch Liebreiz ein Sieger geweſen allenthalb und kam eine höh- niſche Strophe über eines römiſchen Kaiſers Schweſter, die ihm Hand und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm. Wie Eulenſchrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten Etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm ein Geſang verlangt werde. Er wollte ſich weigern, es half nichts. Da ſtimmte er ernſt und mit ſchier weinender Stimme den Antiphon zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: sanctifica nos! Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten Kirchenſangs, wie eine Stimme aus der Wüſte klang die fremde Weiſe. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Keſſel, mit ihrem Meſſer ſchlich ſie herüber, faßte Heribald's Haupthaar und wollte ihm das Gelock verſchneiden — der höchſte Schimpf der eines Geiſtlichen durch die Tonſur geweihtem Haupte widerfahren konnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/198
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/198>, abgerufen am 24.11.2024.