Herr Ekkehard versteht sich auf's Alterhum. Er hat das Antlitz recht gelobt ...
Auch Audifax traf seine Vorbereitungen für Weihnachten. Seine Hoffnung auf Schätze war sehr geschwunden. Er hielt sich jetzt an das wirklich Vorhandene. Darum stieg er oft nächtlich in's Thal hinunter an's Ufer der Aach, die mit trägem Lauf dem See entgegen schleicht. Beim morschen Steg stand ein hohler Weidenbaum. Dort lauerte Audifax manches Stündlein, den erhobenen Rebstecken nach des Baumes Oeffnung gerichtet. Er stellte einem Fischotter nach. Aber keinem Denker ist die Erforschung der letzten Gründe alles Seins so schwierig geworden, wie dem Hirtenknaben seine Otterjagd. Denn aus dem hohlen Ufer zogen sich noch allerhand Ausgänge in den Fluß, die der Otter wußte, Audifax nicht. Und wenn Audifax oft vor Kälte zitternd sprach: itzt muß er kommen! so kam weit stromaufwärts ein Gebrause hergetönt, das war sein Freund, der dort die Schnauze über's Wasser streckte und Athem holte; und wenn Audifax leise dem Ton nachschlich, hatte sich der Otter inzwischen auf den Rücken gelegt und ließ sich gemächlich stromab treiben ...
In der hohentwieler Küche war Leben und Bewegung, wie im Zelt des Feldherrn am Vorabend der Schlacht. Frau Hadwig selbst stand unter den dienenden Mägden, sie trug keinen Herzogsmantel, wohl aber einen weißen Schurz, theilte Mehl und Honig aus und ordnete die Backung der Lebkuchen an. Praxedis mischte Ingwer, Pfeffer und Zimmt zur Würze des Teigs.
Was nehmen wir für eine Form? frug sie. Das Viereck mit den Schlangen?
Das große Herz132) ist schöner, sprach Frau Hadwig. Da wurden die Weihnachtlebkuchen in der Herzform gebacken, den schönsten spickte Frau Hadwig eigenhändig mit Mandeln und Cardamomen.
Eines Morgens kam Audifax ganz erfroren in die Küche, und suchte sich ein Plätzlein am Heerdfeuer; seine Lippen zitterten wie in Fieberschauer, aber er war wohlgemuth und freudig. Rüste dich, Büblein, sprach Praxedis zu ihm, du mußt heut Nachmittag hinüber in den Wald und ein Tännlein hauen.
Das ist nicht meines Amtes, sagte Audifax stolz, ich will's aber thun, wenn Ihr mir auch einen Gefallen thut.
Herr Ekkehard verſteht ſich auf's Alterhum. Er hat das Antlitz recht gelobt ...
Auch Audifax traf ſeine Vorbereitungen für Weihnachten. Seine Hoffnung auf Schätze war ſehr geſchwunden. Er hielt ſich jetzt an das wirklich Vorhandene. Darum ſtieg er oft nächtlich in's Thal hinunter an's Ufer der Aach, die mit trägem Lauf dem See entgegen ſchleicht. Beim morſchen Steg ſtand ein hohler Weidenbaum. Dort lauerte Audifax manches Stündlein, den erhobenen Rebſtecken nach des Baumes Oeffnung gerichtet. Er ſtellte einem Fiſchotter nach. Aber keinem Denker iſt die Erforſchung der letzten Gründe alles Seins ſo ſchwierig geworden, wie dem Hirtenknaben ſeine Otterjagd. Denn aus dem hohlen Ufer zogen ſich noch allerhand Ausgänge in den Fluß, die der Otter wußte, Audifax nicht. Und wenn Audifax oft vor Kälte zitternd ſprach: itzt muß er kommen! ſo kam weit ſtromaufwärts ein Gebrauſe hergetönt, das war ſein Freund, der dort die Schnauze über's Waſſer ſtreckte und Athem holte; und wenn Audifax leiſe dem Ton nachſchlich, hatte ſich der Otter inzwiſchen auf den Rücken gelegt und ließ ſich gemächlich ſtromab treiben ...
In der hohentwieler Küche war Leben und Bewegung, wie im Zelt des Feldherrn am Vorabend der Schlacht. Frau Hadwig ſelbſt ſtand unter den dienenden Mägden, ſie trug keinen Herzogsmantel, wohl aber einen weißen Schurz, theilte Mehl und Honig aus und ordnete die Backung der Lebkuchen an. Praxedis miſchte Ingwer, Pfeffer und Zimmt zur Würze des Teigs.
Was nehmen wir für eine Form? frug ſie. Das Viereck mit den Schlangen?
Das große Herz132) iſt ſchöner, ſprach Frau Hadwig. Da wurden die Weihnachtlebkuchen in der Herzform gebacken, den ſchönſten ſpickte Frau Hadwig eigenhändig mit Mandeln und Cardamomen.
Eines Morgens kam Audifax ganz erfroren in die Küche, und ſuchte ſich ein Plätzlein am Heerdfeuer; ſeine Lippen zitterten wie in Fieberſchauer, aber er war wohlgemuth und freudig. Rüſte dich, Büblein, ſprach Praxedis zu ihm, du mußt heut Nachmittag hinüber in den Wald und ein Tännlein hauen.
Das iſt nicht meines Amtes, ſagte Audifax ſtolz, ich will's aber thun, wenn Ihr mir auch einen Gefallen thut.
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Herr Ekkehard verſteht ſich auf's Alterhum. Er hat das Antlitz
recht gelobt ...
Auch Audifax traf ſeine Vorbereitungen für Weihnachten. Seine
Hoffnung auf Schätze war ſehr geſchwunden. Er hielt ſich jetzt an
das wirklich Vorhandene. Darum ſtieg er oft nächtlich in's Thal
hinunter an's Ufer der Aach, die mit trägem Lauf dem See entgegen
ſchleicht. Beim morſchen Steg ſtand ein hohler Weidenbaum. Dort
lauerte Audifax manches Stündlein, den erhobenen Rebſtecken nach
des Baumes Oeffnung gerichtet. Er ſtellte einem Fiſchotter nach.
Aber keinem Denker iſt die Erforſchung der letzten Gründe alles
Seins ſo ſchwierig geworden, wie dem Hirtenknaben ſeine Otterjagd.
Denn aus dem hohlen Ufer zogen ſich noch allerhand Ausgänge in
den Fluß, die der Otter wußte, Audifax nicht. Und wenn Audifax
oft vor Kälte zitternd ſprach: itzt muß er kommen! ſo kam weit
ſtromaufwärts ein Gebrauſe hergetönt, das war ſein Freund, der dort
die Schnauze über's Waſſer ſtreckte und Athem holte; und wenn
Audifax leiſe dem Ton nachſchlich, hatte ſich der Otter inzwiſchen auf
den Rücken gelegt und ließ ſich gemächlich ſtromab treiben ...
In der hohentwieler Küche war Leben und Bewegung, wie im
Zelt des Feldherrn am Vorabend der Schlacht. Frau Hadwig ſelbſt
ſtand unter den dienenden Mägden, ſie trug keinen Herzogsmantel,
wohl aber einen weißen Schurz, theilte Mehl und Honig aus und
ordnete die Backung der Lebkuchen an. Praxedis miſchte Ingwer,
Pfeffer und Zimmt zur Würze des Teigs.
Was nehmen wir für eine Form? frug ſie. Das Viereck mit
den Schlangen?
Das große Herz
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iſt ſchöner, ſprach Frau Hadwig. Da wurden
die Weihnachtlebkuchen in der Herzform gebacken, den ſchönſten ſpickte
Frau Hadwig eigenhändig mit Mandeln und Cardamomen.
Eines Morgens kam Audifax ganz erfroren in die Küche, und
ſuchte ſich ein Plätzlein am Heerdfeuer; ſeine Lippen zitterten wie in
Fieberſchauer, aber er war wohlgemuth und freudig. Rüſte dich,
Büblein, ſprach Praxedis zu ihm, du mußt heut Nachmittag hinüber
in den Wald und ein Tännlein hauen.
Das iſt nicht meines Amtes, ſagte Audifax ſtolz, ich will's aber
thun, wenn Ihr mir auch einen Gefallen thut.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/145>, abgerufen am 24.11.2024.
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