welken Blätter dem Spiel der Winde hingeschüttelt -- es war ein großer Bündel, sie zerzausten ihn in alle Lüfte. In ihre Aeste kamen krächzend die Raben aus den nahen Wäldern geflogen, spähend ob nicht aus der Burg Küche dann und wann ein Knöchlein für sie ab- falle. Einmal kam einer mit den schwarzen Brüdern, dessen Flug war schwierig, die Schwungfedern verstümmelt -- da ging Ekkehard über den Schloßhof, der Rabe aber flog schreiend auf und suchte das Weite, er hatte den Mönchshabit schon früher gesehen und war ihm nicht hold.
Des Winters Nächte sind lang und dunkel. Dann und wann blitzt ein Nordlicht auf. Aber leuchtender als alles Nordlicht steht jene Nacht in der Menschen Gemüth, da die Engel niederstiegen zu den Hirten auf der Feldwacht und ihnen den Gruß brachten: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden Allen, die eines guten Willens sind."
Auf dem hohen Twiel rüsteten sie zur Feier der Weihnacht durch freundliches Geschenk. Das Jahr ist lang und zählt der Tage viel, in denen man sich Freundliches erweisen kann, aber der Deutschen Sinnesart will auch dafür einen Tag vorgeschrieben haben, darum ist bei ihnen vor anderem Volk die Sitte der Bescheerung eingeführt. Das gute Herz hat sein besonder Landrecht.
In jener Zeit hatte Frau Hadwig die Grammatica schier bei Seite gelegt; es wurde im Frauensaal viel genäht und gestickt, Knäuel von Goldfaden und schwarzer Seide lagen umher, und wie Ekkehard einsmals unvermerkt eintrat, sprang Praxedis vor ihn hin und wies ihm die Thür, Frau Hadwig aber verbarg ein angefangen Werk der Nadel in einem Körblein.
Da ward Ekkehard aufmerksam und zog nicht ohne Grund den Schluß, es werde etwas zum Geschenk für ihn hergerichtet. Darum sann er darauf, dasselbe zu erwiedern und Alles aufzubieten, was ihm an Wissen uad Kunstfertigkeit zu Gebot stand; er schickte seinem Freund und Lehrer Folkard in Sanct Gallen Bericht, daß ihm der zusende Pergament und Farben und Pinsel und köstliche Tinte. Jener that's. Ekkehard aber saß manches Stündlein der Nacht in seiner Thurmstube und besann sich auf ein lateinisches Reimwerk, das er der
welken Blätter dem Spiel der Winde hingeſchüttelt — es war ein großer Bündel, ſie zerzausten ihn in alle Lüfte. In ihre Aeſte kamen krächzend die Raben aus den nahen Wäldern geflogen, ſpähend ob nicht aus der Burg Küche dann und wann ein Knöchlein für ſie ab- falle. Einmal kam einer mit den ſchwarzen Brüdern, deſſen Flug war ſchwierig, die Schwungfedern verſtümmelt — da ging Ekkehard über den Schloßhof, der Rabe aber flog ſchreiend auf und ſuchte das Weite, er hatte den Mönchshabit ſchon früher geſehen und war ihm nicht hold.
Des Winters Nächte ſind lang und dunkel. Dann und wann blitzt ein Nordlicht auf. Aber leuchtender als alles Nordlicht ſteht jene Nacht in der Menſchen Gemüth, da die Engel niederſtiegen zu den Hirten auf der Feldwacht und ihnen den Gruß brachten: „Ehre ſei Gott in der Höhe und Friede auf Erden Allen, die eines guten Willens ſind.“
Auf dem hohen Twiel rüſteten ſie zur Feier der Weihnacht durch freundliches Geſchenk. Das Jahr iſt lang und zählt der Tage viel, in denen man ſich Freundliches erweiſen kann, aber der Deutſchen Sinnesart will auch dafür einen Tag vorgeſchrieben haben, darum iſt bei ihnen vor anderem Volk die Sitte der Beſcheerung eingeführt. Das gute Herz hat ſein beſonder Landrecht.
In jener Zeit hatte Frau Hadwig die Grammatica ſchier bei Seite gelegt; es wurde im Frauenſaal viel genäht und geſtickt, Knäuel von Goldfaden und ſchwarzer Seide lagen umher, und wie Ekkehard einsmals unvermerkt eintrat, ſprang Praxedis vor ihn hin und wies ihm die Thür, Frau Hadwig aber verbarg ein angefangen Werk der Nadel in einem Körblein.
Da ward Ekkehard aufmerkſam und zog nicht ohne Grund den Schluß, es werde etwas zum Geſchenk für ihn hergerichtet. Darum ſann er darauf, daſſelbe zu erwiedern und Alles aufzubieten, was ihm an Wiſſen uad Kunſtfertigkeit zu Gebot ſtand; er ſchickte ſeinem Freund und Lehrer Folkard in Sanct Gallen Bericht, daß ihm der zuſende Pergament und Farben und Pinſel und köſtliche Tinte. Jener that's. Ekkehard aber ſaß manches Stündlein der Nacht in ſeiner Thurmſtube und beſann ſich auf ein lateiniſches Reimwerk, das er der
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krächzend die Raben aus den nahen Wäldern geflogen, ſpähend ob
nicht aus der Burg Küche dann und wann ein Knöchlein für ſie ab-
falle. Einmal kam einer mit den ſchwarzen Brüdern, deſſen Flug
war ſchwierig, die Schwungfedern verſtümmelt — da ging Ekkehard
über den Schloßhof, der Rabe aber flog ſchreiend auf und ſuchte das
Weite, er hatte den Mönchshabit ſchon früher geſehen und war ihm
nicht hold.
Des Winters Nächte ſind lang und dunkel. Dann und wann
blitzt ein Nordlicht auf. Aber leuchtender als alles Nordlicht ſteht
jene Nacht in der Menſchen Gemüth, da die Engel niederſtiegen zu
den Hirten auf der Feldwacht und ihnen den Gruß brachten: „Ehre
ſei Gott in der Höhe und Friede auf Erden Allen, die eines guten
Willens ſind.“
Auf dem hohen Twiel rüſteten ſie zur Feier der Weihnacht durch
freundliches Geſchenk. Das Jahr iſt lang und zählt der Tage viel,
in denen man ſich Freundliches erweiſen kann, aber der Deutſchen
Sinnesart will auch dafür einen Tag vorgeſchrieben haben, darum iſt
bei ihnen vor anderem Volk die Sitte der Beſcheerung eingeführt.
Das gute Herz hat ſein beſonder Landrecht.
In jener Zeit hatte Frau Hadwig die Grammatica ſchier bei
Seite gelegt; es wurde im Frauenſaal viel genäht und geſtickt, Knäuel
von Goldfaden und ſchwarzer Seide lagen umher, und wie Ekkehard
einsmals unvermerkt eintrat, ſprang Praxedis vor ihn hin und wies
ihm die Thür, Frau Hadwig aber verbarg ein angefangen Werk der
Nadel in einem Körblein.
Da ward Ekkehard aufmerkſam und zog nicht ohne Grund den
Schluß, es werde etwas zum Geſchenk für ihn hergerichtet. Darum
ſann er darauf, daſſelbe zu erwiedern und Alles aufzubieten, was
ihm an Wiſſen uad Kunſtfertigkeit zu Gebot ſtand; er ſchickte ſeinem
Freund und Lehrer Folkard in Sanct Gallen Bericht, daß ihm der
zuſende Pergament und Farben und Pinſel und köſtliche Tinte. Jener
that's. Ekkehard aber ſaß manches Stündlein der Nacht in ſeiner
Thurmſtube und beſann ſich auf ein lateiniſches Reimwerk, das er der
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/141>, abgerufen am 25.11.2024.
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