Es ist kein unrein Thier, sagte die Waldfrau, und sein Genuß nicht verboten.
Weib! rief Ekkehard und trat hart vor sie hin, -- du treibst Zauberkunst und Hexenwerk!
Da stand die Alte auf. Ihre Stirn runzelte sich, unheimlich glänzten die grauen Augen. Ihr tragt ein geistlich Gewand, sprach sie, Ihr möget mir das sagen. Gegen Euch hat eine alte Waldfrau kein Recht. Es heißt sonst, das sei ein groß Scheltwort, was Ihr mir in's Antlitz geworfen, und das Landrecht büßt den Schelter ... 129)
Audifax war indeß scheu an der Thür gestanden. Da kam der Waldfrau Rabe auf ihn zugehüpft, so daß er sich fürchtete; er lief zu Ekkehard hin. Am Heerde sah er den behauenen Stein. An einem Stein herumzuspüren, hätte ihn auch die Furcht vor zwanzig Raben nicht abgehalten. Er hob das Gewand, das drüber gebreitet war. Verwitterte Gestalten kamen zum Vorschein.
Ekkehard lenkte seinen Blick darauf.
Es war ein römischer Altar. Cohorten, die fern aus üppigem asischem Standlager des allmächtigen Kriegsherrn Gebot an den un- wirthlichen Bodensee versetzt, mochten ihn einst in diesen Höhen auf- gestellt haben -- ein Jüngling in fliegendem Mantel und phrygischer Mütze kniete auf einem niedergeworfenen Stier: der persische Lichtgott Mithras, an den der sinkende Römerglaube neue Hoffnung anknüpfte, als das Andere abgenutzt war.
Eine Inschrift war nicht sichtbar. Lang schaute ihn Ekkehard an, sein Aug' hatte außer der güldenen Vespasianusmünze, die Untergebene des Klosters einst im Torfmoos bei Rapperswyl gefunden, und etlichen geschnittenen Steinen im Kirchenschatz noch kein Bildwerk des Alter- thums erschaut, aber er ahnte an Form und Bildung den stummen Zeugen einer vergangenen Welt.
Woher der Stein? frug er.
Ich bin genug gefragt, sagte die Waldfrau trotzig, schafft Euch selber Antwort.
... Der Stein hätte auch Mancherlei antworten können, wenn Steine Zungen hätten. Es haftet ein gut Stück Geschichte an solch verwittertem Gebild. Was lehrt es? Daß der Menschen Geschlechter kommen und zergehen wie die Blätter, die der Frühling bringt und
Es iſt kein unrein Thier, ſagte die Waldfrau, und ſein Genuß nicht verboten.
Weib! rief Ekkehard und trat hart vor ſie hin, — du treibſt Zauberkunſt und Hexenwerk!
Da ſtand die Alte auf. Ihre Stirn runzelte ſich, unheimlich glänzten die grauen Augen. Ihr tragt ein geiſtlich Gewand, ſprach ſie, Ihr möget mir das ſagen. Gegen Euch hat eine alte Waldfrau kein Recht. Es heißt ſonſt, das ſei ein groß Scheltwort, was Ihr mir in's Antlitz geworfen, und das Landrecht büßt den Schelter ... 129)
Audifax war indeß ſcheu an der Thür geſtanden. Da kam der Waldfrau Rabe auf ihn zugehüpft, ſo daß er ſich fürchtete; er lief zu Ekkehard hin. Am Heerde ſah er den behauenen Stein. An einem Stein herumzuſpüren, hätte ihn auch die Furcht vor zwanzig Raben nicht abgehalten. Er hob das Gewand, das drüber gebreitet war. Verwitterte Geſtalten kamen zum Vorſchein.
Ekkehard lenkte ſeinen Blick darauf.
Es war ein römiſcher Altar. Cohorten, die fern aus üppigem aſiſchem Standlager des allmächtigen Kriegsherrn Gebot an den un- wirthlichen Bodenſee verſetzt, mochten ihn einſt in dieſen Höhen auf- geſtellt haben — ein Jüngling in fliegendem Mantel und phrygiſcher Mütze kniete auf einem niedergeworfenen Stier: der perſiſche Lichtgott Mithras, an den der ſinkende Römerglaube neue Hoffnung anknüpfte, als das Andere abgenutzt war.
Eine Inſchrift war nicht ſichtbar. Lang ſchaute ihn Ekkehard an, ſein Aug' hatte außer der güldenen Vespaſianusmünze, die Untergebene des Kloſters einſt im Torfmoos bei Rapperswyl gefunden, und etlichen geſchnittenen Steinen im Kirchenſchatz noch kein Bildwerk des Alter- thums erſchaut, aber er ahnte an Form und Bildung den ſtummen Zeugen einer vergangenen Welt.
Woher der Stein? frug er.
Ich bin genug gefragt, ſagte die Waldfrau trotzig, ſchafft Euch ſelber Antwort.
... Der Stein hätte auch Mancherlei antworten können, wenn Steine Zungen hätten. Es haftet ein gut Stück Geſchichte an ſolch verwittertem Gebild. Was lehrt es? Daß der Menſchen Geſchlechter kommen und zergehen wie die Blätter, die der Frühling bringt und
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Es iſt kein unrein Thier, ſagte die Waldfrau, und ſein Genuß
nicht verboten.
Weib! rief Ekkehard und trat hart vor ſie hin, — du treibſt
Zauberkunſt und Hexenwerk!
Da ſtand die Alte auf. Ihre Stirn runzelte ſich, unheimlich
glänzten die grauen Augen. Ihr tragt ein geiſtlich Gewand, ſprach
ſie, Ihr möget mir das ſagen. Gegen Euch hat eine alte Waldfrau
kein Recht. Es heißt ſonſt, das ſei ein groß Scheltwort, was Ihr
mir in's Antlitz geworfen, und das Landrecht büßt den Schelter ...
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Audifax war indeß ſcheu an der Thür geſtanden. Da kam der
Waldfrau Rabe auf ihn zugehüpft, ſo daß er ſich fürchtete; er lief
zu Ekkehard hin. Am Heerde ſah er den behauenen Stein. An einem
Stein herumzuſpüren, hätte ihn auch die Furcht vor zwanzig Raben
nicht abgehalten. Er hob das Gewand, das drüber gebreitet war.
Verwitterte Geſtalten kamen zum Vorſchein.
Ekkehard lenkte ſeinen Blick darauf.
Es war ein römiſcher Altar. Cohorten, die fern aus üppigem
aſiſchem Standlager des allmächtigen Kriegsherrn Gebot an den un-
wirthlichen Bodenſee verſetzt, mochten ihn einſt in dieſen Höhen auf-
geſtellt haben — ein Jüngling in fliegendem Mantel und phrygiſcher
Mütze kniete auf einem niedergeworfenen Stier: der perſiſche Lichtgott
Mithras, an den der ſinkende Römerglaube neue Hoffnung anknüpfte,
als das Andere abgenutzt war.
Eine Inſchrift war nicht ſichtbar. Lang ſchaute ihn Ekkehard an,
ſein Aug' hatte außer der güldenen Vespaſianusmünze, die Untergebene
des Kloſters einſt im Torfmoos bei Rapperswyl gefunden, und etlichen
geſchnittenen Steinen im Kirchenſchatz noch kein Bildwerk des Alter-
thums erſchaut, aber er ahnte an Form und Bildung den ſtummen
Zeugen einer vergangenen Welt.
Woher der Stein? frug er.
Ich bin genug gefragt, ſagte die Waldfrau trotzig, ſchafft Euch
ſelber Antwort.
... Der Stein hätte auch Mancherlei antworten können, wenn
Steine Zungen hätten. Es haftet ein gut Stück Geſchichte an ſolch
verwittertem Gebild. Was lehrt es? Daß der Menſchen Geſchlechter
kommen und zergehen wie die Blätter, die der Frühling bringt und
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/130>, abgerufen am 25.11.2024.
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