geweih hing dabei. In den hölzernen Thürpfosten war ein verschlun- genes Doppeldreieck geschnitten. Ein zahmer Waldspecht hüpfte in der Stube umher, ein Rabe, dem die Schwingen gekürzt, war sein Genosse.
Die Inwohnerin saß am glimmenden Feuer des Heerdes und nähte an einem Gewand. Ein hoher behauener halb verwitterter Stein stand ihr zur Seite. Von Zeit zu Zeit bückte sie sich zum Heerde und hielt ihre magere Hand über die Kohlen; Novemberkälte lag auf Berg und Wald. Die Zweige einer alten Buche neigten sich schier zum Fenster herein, ein leiser Windeshauch bewegte sie, das Laub war herbstgelb und morsch und zitterte und brach ab, etliche welke Blätter wirbelten in die Stube.
Und die Waldfrau war einsam und alt und mochte frieren: Da liegt ihr nun verachtet und welk und todt, sprach sie zu den Blät- tern, und ich gleiche euch. Ein fremdartiger Zug umflog ihr runzlig Antlitz. Sie dachte vergangener Zeiten, da auch sie jung und früh- lingsgrün gewesen und einen Liebsten gehabt -- aber den hatte sein Schicksal weit hinausgetrieben aus dem heimischen Tannwald, raubende Nordmänner, die einst mit Sengen und Brennen den Rhein herauf fuhren, hatten ihn und viel andere Heerbannleute gefangen mitge- schleppt und er war bei ihnen geblieben über Jahresfrist und hatte den Seemannsdienst gelernt und war wild und trotzig geworden in der Strandluft des Meeres, und wie sie ihn wieder frei gaben, trug er die Nordseesehnsucht mit sich in schwäbischen Wald, -- die Gesichter der Heimath gefielen ihm nimmer wieder, die der Mönche und Priester am wenigsten, und das Unglück fügte es, daß er in zornigem Auf- brausen einen wandernden Mönch erschlug, der ihn gescholten, da war seines Bleibens nicht fürder.
Der Waldfrau Gedanken hafteten heut immerdar auf jener letzten Stunde, die ihn von ihr geschieden. Da hatten ihn die Gerichtsmänner vor seine Hütte im Weiterdinger Wald geführt, sechshundert Schillinge sollte er als Wehrgeld für den Erschlagenen zahlen und wies ihnen statt dessen Haus und Hofmark zu und schwur mit zwölf Eideshelfern, daß er Nichts unter und Nichts ober der Erde mehr zu eigen habe. Drauf ging er in sein Haus, sammelte eine Hand voll Erde, stand auf die Schwelle und warf mit der Linken die Erde über seine Schultern auf seines Vaters Bruder, als Zeichen, daß seine Schuld
geweih hing dabei. In den hölzernen Thürpfoſten war ein verſchlun- genes Doppeldreieck geſchnitten. Ein zahmer Waldſpecht hüpfte in der Stube umher, ein Rabe, dem die Schwingen gekürzt, war ſein Genoſſe.
Die Inwohnerin ſaß am glimmenden Feuer des Heerdes und nähte an einem Gewand. Ein hoher behauener halb verwitterter Stein ſtand ihr zur Seite. Von Zeit zu Zeit bückte ſie ſich zum Heerde und hielt ihre magere Hand über die Kohlen; Novemberkälte lag auf Berg und Wald. Die Zweige einer alten Buche neigten ſich ſchier zum Fenſter herein, ein leiſer Windeshauch bewegte ſie, das Laub war herbſtgelb und morſch und zitterte und brach ab, etliche welke Blätter wirbelten in die Stube.
Und die Waldfrau war einſam und alt und mochte frieren: Da liegt ihr nun verachtet und welk und todt, ſprach ſie zu den Blät- tern, und ich gleiche euch. Ein fremdartiger Zug umflog ihr runzlig Antlitz. Sie dachte vergangener Zeiten, da auch ſie jung und früh- lingsgrün geweſen und einen Liebſten gehabt — aber den hatte ſein Schickſal weit hinausgetrieben aus dem heimiſchen Tannwald, raubende Nordmänner, die einſt mit Sengen und Brennen den Rhein herauf fuhren, hatten ihn und viel andere Heerbannleute gefangen mitge- ſchleppt und er war bei ihnen geblieben über Jahresfriſt und hatte den Seemannsdienſt gelernt und war wild und trotzig geworden in der Strandluft des Meeres, und wie ſie ihn wieder frei gaben, trug er die Nordſeeſehnſucht mit ſich in ſchwäbiſchen Wald, — die Geſichter der Heimath gefielen ihm nimmer wieder, die der Mönche und Prieſter am wenigſten, und das Unglück fügte es, daß er in zornigem Auf- brauſen einen wandernden Mönch erſchlug, der ihn geſcholten, da war ſeines Bleibens nicht fürder.
Der Waldfrau Gedanken hafteten heut immerdar auf jener letzten Stunde, die ihn von ihr geſchieden. Da hatten ihn die Gerichtsmänner vor ſeine Hütte im Weiterdinger Wald geführt, ſechshundert Schillinge ſollte er als Wehrgeld für den Erſchlagenen zahlen und wies ihnen ſtatt deſſen Haus und Hofmark zu und ſchwur mit zwölf Eideshelfern, daß er Nichts unter und Nichts ober der Erde mehr zu eigen habe. Drauf ging er in ſein Haus, ſammelte eine Hand voll Erde, ſtand auf die Schwelle und warf mit der Linken die Erde über ſeine Schultern auf ſeines Vaters Bruder, als Zeichen, daß ſeine Schuld
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geweih hing dabei. In den hölzernen Thürpfoſten war ein verſchlun-
genes Doppeldreieck geſchnitten. Ein zahmer Waldſpecht hüpfte in der
Stube umher, ein Rabe, dem die Schwingen gekürzt, war ſein Genoſſe.
Die Inwohnerin ſaß am glimmenden Feuer des Heerdes und nähte
an einem Gewand. Ein hoher behauener halb verwitterter Stein ſtand
ihr zur Seite. Von Zeit zu Zeit bückte ſie ſich zum Heerde und hielt
ihre magere Hand über die Kohlen; Novemberkälte lag auf Berg und
Wald. Die Zweige einer alten Buche neigten ſich ſchier zum Fenſter
herein, ein leiſer Windeshauch bewegte ſie, das Laub war herbſtgelb
und morſch und zitterte und brach ab, etliche welke Blätter wirbelten
in die Stube.
Und die Waldfrau war einſam und alt und mochte frieren: Da
liegt ihr nun verachtet und welk und todt, ſprach ſie zu den Blät-
tern, und ich gleiche euch. Ein fremdartiger Zug umflog ihr runzlig
Antlitz. Sie dachte vergangener Zeiten, da auch ſie jung und früh-
lingsgrün geweſen und einen Liebſten gehabt — aber den hatte ſein
Schickſal weit hinausgetrieben aus dem heimiſchen Tannwald, raubende
Nordmänner, die einſt mit Sengen und Brennen den Rhein herauf
fuhren, hatten ihn und viel andere Heerbannleute gefangen mitge-
ſchleppt und er war bei ihnen geblieben über Jahresfriſt und hatte
den Seemannsdienſt gelernt und war wild und trotzig geworden in der
Strandluft des Meeres, und wie ſie ihn wieder frei gaben, trug er
die Nordſeeſehnſucht mit ſich in ſchwäbiſchen Wald, — die Geſichter
der Heimath gefielen ihm nimmer wieder, die der Mönche und Prieſter
am wenigſten, und das Unglück fügte es, daß er in zornigem Auf-
brauſen einen wandernden Mönch erſchlug, der ihn geſcholten, da war
ſeines Bleibens nicht fürder.
Der Waldfrau Gedanken hafteten heut immerdar auf jener letzten
Stunde, die ihn von ihr geſchieden. Da hatten ihn die Gerichtsmänner
vor ſeine Hütte im Weiterdinger Wald geführt, ſechshundert Schillinge
ſollte er als Wehrgeld für den Erſchlagenen zahlen und wies ihnen
ſtatt deſſen Haus und Hofmark zu und ſchwur mit zwölf Eideshelfern,
daß er Nichts unter und Nichts ober der Erde mehr zu eigen habe.
Drauf ging er in ſein Haus, ſammelte eine Hand voll Erde, ſtand
auf die Schwelle und warf mit der Linken die Erde über ſeine
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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