Jetzt war ein sonniger Spätherbsttag, da trieb er seine Ziegen an den felsigen Hang des Berges und saß auf einem Steinblock und schaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der Bo[d]ensee, vorn war Alles herbstlich gefärbt -- dürres rothes Laub trieb im Winde. Audifax aber saß und weinte bitterlich.
Damals hütete, was an Gänsen und Enten zum Hofe der Burg gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten Magd Tochter und hatte ihren Vater nie gesehen. Es war Hadu- moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänse hielt sie in Zucht und guter Ordnung, sie reckten Manchem den langen Hals entgegen und schnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin trotzte keine, wenn sie ihren Stab schwang, gingen sie züchtig und sitt- sam einher und enthielten sich jeglichen Lärmens. Oft weideten sie vermischt zwischen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den kurzgeschorenen Ziegenhirten nicht ungern und saß oft bei ihm und schaute mit ihm in die blaue Luft hinaus -- und die Thiere merkten, wie ihre Hüter zusammen standen, da hielten auch sie Freundschaft miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänse auf die Berghalde her- unter, und da sie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, sah sie sich nach dem Hirten um. Und sie erschaute ihn, wie er weinte, und ging hinüber, setzte sich zu ihm und sprach: Audifax, warum weinst du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um seine Schulter, wendete sein lockenloses Haupt zu sich herüber und sprach betrübt: Audifax, wenn du weinst, so will ich mit dir weinen.
Audifax aber suchte seine Thränen zu trockenen: Du brauchst nicht zu weinen, sagte er, ich muß. Es ist Etwas in mir, daß ich wei- nen muß.
Was ist in dir, daß du weinen mußt? frug sie. Da nahm er einen der Steine, wie sie von den twieler Felswänden abgelöst da- lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn und gab einen Klang.
Hast du's gehört?
Ich hab's gehört, sagte Hadumoth, es klingt wie immer.
Hast du den Klang auch verstanden?
Nein.
Jetzt war ein ſonniger Spätherbſttag, da trieb er ſeine Ziegen an den felſigen Hang des Berges und ſaß auf einem Steinblock und ſchaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der Bo[d]enſee, vorn war Alles herbſtlich gefärbt — dürres rothes Laub trieb im Winde. Audifax aber ſaß und weinte bitterlich.
Damals hütete, was an Gänſen und Enten zum Hofe der Burg gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten Magd Tochter und hatte ihren Vater nie geſehen. Es war Hadu- moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänſe hielt ſie in Zucht und guter Ordnung, ſie reckten Manchem den langen Hals entgegen und ſchnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin trotzte keine, wenn ſie ihren Stab ſchwang, gingen ſie züchtig und ſitt- ſam einher und enthielten ſich jeglichen Lärmens. Oft weideten ſie vermiſcht zwiſchen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den kurzgeſchorenen Ziegenhirten nicht ungern und ſaß oft bei ihm und ſchaute mit ihm in die blaue Luft hinaus — und die Thiere merkten, wie ihre Hüter zuſammen ſtanden, da hielten auch ſie Freundſchaft miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänſe auf die Berghalde her- unter, und da ſie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, ſah ſie ſich nach dem Hirten um. Und ſie erſchaute ihn, wie er weinte, und ging hinüber, ſetzte ſich zu ihm und ſprach: Audifax, warum weinſt du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um ſeine Schulter, wendete ſein lockenloſes Haupt zu ſich herüber und ſprach betrübt: Audifax, wenn du weinſt, ſo will ich mit dir weinen.
Audifax aber ſuchte ſeine Thränen zu trockenen: Du brauchſt nicht zu weinen, ſagte er, ich muß. Es iſt Etwas in mir, daß ich wei- nen muß.
Was iſt in dir, daß du weinen mußt? frug ſie. Da nahm er einen der Steine, wie ſie von den twieler Felswänden abgelöst da- lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn und gab einen Klang.
Haſt du's gehört?
Ich hab's gehört, ſagte Hadumoth, es klingt wie immer.
Haſt du den Klang auch verſtanden?
Nein.
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Jetzt war ein ſonniger Spätherbſttag, da trieb er ſeine Ziegen an
den felſigen Hang des Berges und ſaß auf einem Steinblock und
ſchaute hinaus in's Land; hinter dunkelm Tannenwald leuchtete der
Bodenſee, vorn war Alles herbſtlich gefärbt — dürres rothes Laub
trieb im Winde. Audifax aber ſaß und weinte bitterlich.
Damals hütete, was an Gänſen und Enten zum Hofe der Burg
gehörte, ein Mägdlein, deß Name war Hadumoth, die war einer alten
Magd Tochter und hatte ihren Vater nie geſehen. Es war Hadu-
moth ein braves Kind, rothwangig, blauäugig, und ließ das Haar in
zwei Zöpfe geflochten vom Haupt herunterfallen. Ihre Gänſe hielt
ſie in Zucht und guter Ordnung, ſie reckten Manchem den langen
Hals entgegen und ſchnatterten wie thörichte Weiber, aber der Hirtin
trotzte keine, wenn ſie ihren Stab ſchwang, gingen ſie züchtig und ſitt-
ſam einher und enthielten ſich jeglichen Lärmens. Oft weideten ſie
vermiſcht zwiſchen den Ziegen des Audifax, denn Hadumoth hatte den
kurzgeſchorenen Ziegenhirten nicht ungern und ſaß oft bei ihm und
ſchaute mit ihm in die blaue Luft hinaus — und die Thiere merkten,
wie ihre Hüter zuſammen ſtanden, da hielten auch ſie Freundſchaft
miteinand. Jetzt trieb Hadumoth ihre Gänſe auf die Berghalde her-
unter, und da ſie der Ziegen Glöcklein drüben läuten hörte, ſah ſie
ſich nach dem Hirten um. Und ſie erſchaute ihn, wie er weinte, und
ging hinüber, ſetzte ſich zu ihm und ſprach: Audifax, warum weinſt
du? Der gab keine Antwort. Da legte Hadumoth ihren Arm um
ſeine Schulter, wendete ſein lockenloſes Haupt zu ſich herüber und
ſprach betrübt: Audifax, wenn du weinſt, ſo will ich mit dir weinen.
Audifax aber ſuchte ſeine Thränen zu trockenen: Du brauchſt nicht
zu weinen, ſagte er, ich muß. Es iſt Etwas in mir, daß ich wei-
nen muß.
Was iſt in dir, daß du weinen mußt? frug ſie. Da nahm er
einen der Steine, wie ſie von den twieler Felswänden abgelöst da-
lagen, und warf ihn auf die anderen Steine. Der Stein war dünn
und gab einen Klang.
Haſt du's gehört?
Ich hab's gehört, ſagte Hadumoth, es klingt wie immer.
Haſt du den Klang auch verſtanden?
Nein.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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