Krieger und schreiben die Schreiber, und soll kein Durcheinander ent- stehen. Doch hatte Frau Hadwig sich wohlgeübt, ihren Namenszug in künstlich verschlungenen großen Buchstaben den siegelbehangenen Urkunden als Herrin des Landes beizufügen.
Praxedis zertheilte eine Pergamentrolle in kleine Blätter, zog auf jedes Blatt zwei Striche, also daß drei Abtheilungen geschaffen wurden, um nach Ekkehard's Vortrag jedes lateinische Wort einzutragen, daneben das deutsche, in die dritte Reihe das entsprechende griechisch. Letzteres war der Herzogin Anordnung, ihm zu beweisen, daß die Frauen auch ohne seine Beihülfe schon löbliche Kenntniß erworben.
So begann der Unterricht.117)
Die Thüre von Ekkehard's Gemach nach dem Gang hin hatte Pra- xedis weit aufgesperrt. Er ging hin und wollte sie zulehnen, die Herzogin aber hielt ihn zurück: Kennet Ihr die Welt noch nicht?
Ekkehard wußte nicht, was das heißen solle.
Jetzt las er ihnen das erste Buch von Virgilius Heldendichtung. Aeneas der Troer hub sich vor ihren Augen, wie ihn siebenjährige Irrfahrt umhergeschleudert auf dem Tyrrhener Meer und wie es so unsäglicher Mühsal gekostet, des römischen Volkes Gründer zu werden. Es kam der Zorn der Juno, wie sie an Aeolus bittweise sich wendet, und dem Gebietiger von Wind und Sturm die schönste ihrer Nym- phen verspricht, wenn er der Troer Schiffe verderben wolle -- Ge- witter, Sturm, Schiffbruch, Zerschellen der Kiele, ringsum schwimmen umher sparsam in unendlicher Meeresfluth Waffen des Kriegs und Gebälk und Troischer Prunk durch die Brandung. Und der Wogen Gemurr dringt zu Neptunus hinunter, tief in Grund, er kommt empor gestiegen und schaut die Verwirrung, des Aeolus Winde jagt er mit Schimpf und Schande nach Hause, wie der Aufruhr beim Wort des verdienten Mannes legt sich das Toben der Wässer, an Libyens Küste landet der Schiffe Rest ...
Soweit hatte Ekkehard gelesen und erklärt. Seine Stimme war voll und tönend und klang ein wohlthuend Gefühl inneren Verständ- nisses durch. Es war spät geworden, die Lampe flackerte, da hob Frau Hadwig den Vortrag auf.
Wie gefällt meiner Herrin des heidnischen Poeten Erzählung? frug Ekkehard.
Krieger und ſchreiben die Schreiber, und ſoll kein Durcheinander ent- ſtehen. Doch hatte Frau Hadwig ſich wohlgeübt, ihren Namenszug in künſtlich verſchlungenen großen Buchſtaben den ſiegelbehangenen Urkunden als Herrin des Landes beizufügen.
Praxedis zertheilte eine Pergamentrolle in kleine Blätter, zog auf jedes Blatt zwei Striche, alſo daß drei Abtheilungen geſchaffen wurden, um nach Ekkehard's Vortrag jedes lateiniſche Wort einzutragen, daneben das deutſche, in die dritte Reihe das entſprechende griechiſch. Letzteres war der Herzogin Anordnung, ihm zu beweiſen, daß die Frauen auch ohne ſeine Beihülfe ſchon löbliche Kenntniß erworben.
So begann der Unterricht.117)
Die Thüre von Ekkehard's Gemach nach dem Gang hin hatte Pra- xedis weit aufgeſperrt. Er ging hin und wollte ſie zulehnen, die Herzogin aber hielt ihn zurück: Kennet Ihr die Welt noch nicht?
Ekkehard wußte nicht, was das heißen ſolle.
Jetzt las er ihnen das erſte Buch von Virgilius Heldendichtung. Aeneas der Troer hub ſich vor ihren Augen, wie ihn ſiebenjährige Irrfahrt umhergeſchleudert auf dem Tyrrhener Meer und wie es ſo unſäglicher Mühſal gekoſtet, des römiſchen Volkes Gründer zu werden. Es kam der Zorn der Juno, wie ſie an Aeolus bittweiſe ſich wendet, und dem Gebietiger von Wind und Sturm die ſchönſte ihrer Nym- phen verſpricht, wenn er der Troer Schiffe verderben wolle — Ge- witter, Sturm, Schiffbruch, Zerſchellen der Kiele, ringsum ſchwimmen umher ſparſam in unendlicher Meeresfluth Waffen des Kriegs und Gebälk und Troiſcher Prunk durch die Brandung. Und der Wogen Gemurr dringt zu Neptunus hinunter, tief in Grund, er kommt empor geſtiegen und ſchaut die Verwirrung, des Aeolus Winde jagt er mit Schimpf und Schande nach Hauſe, wie der Aufruhr beim Wort des verdienten Mannes legt ſich das Toben der Wäſſer, an Libyens Küſte landet der Schiffe Reſt ...
Soweit hatte Ekkehard geleſen und erklärt. Seine Stimme war voll und tönend und klang ein wohlthuend Gefühl inneren Verſtänd- niſſes durch. Es war ſpät geworden, die Lampe flackerte, da hob Frau Hadwig den Vortrag auf.
Wie gefällt meiner Herrin des heidniſchen Poeten Erzählung? frug Ekkehard.
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[84/0106]
Krieger und ſchreiben die Schreiber, und ſoll kein Durcheinander ent-
ſtehen. Doch hatte Frau Hadwig ſich wohlgeübt, ihren Namenszug
in künſtlich verſchlungenen großen Buchſtaben den ſiegelbehangenen
Urkunden als Herrin des Landes beizufügen.
Praxedis zertheilte eine Pergamentrolle in kleine Blätter, zog auf
jedes Blatt zwei Striche, alſo daß drei Abtheilungen geſchaffen wurden,
um nach Ekkehard's Vortrag jedes lateiniſche Wort einzutragen, daneben
das deutſche, in die dritte Reihe das entſprechende griechiſch. Letzteres
war der Herzogin Anordnung, ihm zu beweiſen, daß die Frauen auch
ohne ſeine Beihülfe ſchon löbliche Kenntniß erworben.
So begann der Unterricht.
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Die Thüre von Ekkehard's Gemach nach dem Gang hin hatte Pra-
xedis weit aufgeſperrt. Er ging hin und wollte ſie zulehnen, die
Herzogin aber hielt ihn zurück: Kennet Ihr die Welt noch nicht?
Ekkehard wußte nicht, was das heißen ſolle.
Jetzt las er ihnen das erſte Buch von Virgilius Heldendichtung.
Aeneas der Troer hub ſich vor ihren Augen, wie ihn ſiebenjährige
Irrfahrt umhergeſchleudert auf dem Tyrrhener Meer und wie es ſo
unſäglicher Mühſal gekoſtet, des römiſchen Volkes Gründer zu werden.
Es kam der Zorn der Juno, wie ſie an Aeolus bittweiſe ſich wendet,
und dem Gebietiger von Wind und Sturm die ſchönſte ihrer Nym-
phen verſpricht, wenn er der Troer Schiffe verderben wolle — Ge-
witter, Sturm, Schiffbruch, Zerſchellen der Kiele, ringsum ſchwimmen
umher ſparſam in unendlicher Meeresfluth Waffen des Kriegs und
Gebälk und Troiſcher Prunk durch die Brandung. Und der Wogen
Gemurr dringt zu Neptunus hinunter, tief in Grund, er kommt
empor geſtiegen und ſchaut die Verwirrung, des Aeolus Winde jagt
er mit Schimpf und Schande nach Hauſe, wie der Aufruhr beim
Wort des verdienten Mannes legt ſich das Toben der Wäſſer, an
Libyens Küſte landet der Schiffe Reſt ...
Soweit hatte Ekkehard geleſen und erklärt. Seine Stimme war
voll und tönend und klang ein wohlthuend Gefühl inneren Verſtänd-
niſſes durch. Es war ſpät geworden, die Lampe flackerte, da hob
Frau Hadwig den Vortrag auf.
Wie gefällt meiner Herrin des heidniſchen Poeten Erzählung?
frug Ekkehard.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/106>, abgerufen am 24.11.2024.
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