welcher Art sie zu Erlernung der lateinischen Sprache vorschreiten wolle. Da fanden sie es am besten, eine Stunde des Tages der löb- lichen Grammatik zu bestimmen, eine zweite der Lesung des Virgilius. Auf letztere freute sich Ekkehard sehr, er gedachte sich zusammen zu fassen und mit Aufbietung von Wissen, Schärfe und Feinheit der Herzogin die Pfade des Verständnisses zu ebnen.
Es ist doch kein unnütz Werk, sprach er, was die alten Poeten gethan; wie mühsam wäre es eine Sprache zu erlernen, wenn sie uns nur im Wörterbuch überliefert wäre, wie die Getreidekörner in einem Sack, und wir die Mühe hätten, Mehl daraus zu mahlen und Brod daraus zu backen ... Der Poet aber stellt Alles wohlgefügt an seinen Platz, da ist sein ersonnener Plan und Inhalt und die Form klingt lieblich drein wie Saitenspiel; woran wir uns sonst die Zähne auszubeißen hätten, das schlürfen wir aus Dichters Hand wie Honigseim und es schmeckt süße.
Das Herbe der Grammatik zu lindern, wußte Ekkehard keinen Ausweg. Für jeden Tag schrieb er der Herzogin die Aufgabe auf ein Pergamentblatt, sie war des Lernens begierig und wenn die Früh- sonne über dem Bodensee aufstieg und ihre ersten Strahlen auf den hohen Twiel warf, stund sie schon in des Fensters Wölbung und lernte was ihr vorgeschrieben war, leise und laut, bis zu Ekkehard's Saal klang einst ihr einförmig Hersagen: amo,amas, amat, amamus...
Praxedis aber hatte schwere Stunden. Sich zur Anregung, aber ihr zu nicht geringer Langeweile, befahl ihr Frau Hadwig jeweils das gleiche Stück Grammatik zu lernen. Kaum Schülerin, freute es sie, mit dem was sie erlernt ihre Dienerin zu meistern, und nie war sie zufriedener, als wenn Praxedis ein Hauptwort für ein Beiwort ansah, oder ein unregelmäßig Zeitwort regelmäßig abwandelte.
Des Abends kam die Herzogin hinüber in Ekkehard's Gemach. Da mußte Alles bereit sein zur Lesung des Virgil, Praxedis kam mit ihr, und da in Vincentius nachgelassenen Büchern ein lateinisch Wör- terbuch nicht vorhanden war, ward sie mit Anfertigung eines solchen beauftragt, denn sie hatte in jungen Tagen des Schreibens Kunst erlernt. Frau Hadwig war dessen minder erfahren: Wozu wären die geistlichen Männer, sprach sie, wenn ein jeder die Kunst verstünde, die ihrem Stand zukommt? schmieden sollen die Schmiede, fechten die
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welcher Art ſie zu Erlernung der lateiniſchen Sprache vorſchreiten wolle. Da fanden ſie es am beſten, eine Stunde des Tages der löb- lichen Grammatik zu beſtimmen, eine zweite der Leſung des Virgilius. Auf letztere freute ſich Ekkehard ſehr, er gedachte ſich zuſammen zu faſſen und mit Aufbietung von Wiſſen, Schärfe und Feinheit der Herzogin die Pfade des Verſtändniſſes zu ebnen.
Es iſt doch kein unnütz Werk, ſprach er, was die alten Poeten gethan; wie mühſam wäre es eine Sprache zu erlernen, wenn ſie uns nur im Wörterbuch überliefert wäre, wie die Getreidekörner in einem Sack, und wir die Mühe hätten, Mehl daraus zu mahlen und Brod daraus zu backen ... Der Poet aber ſtellt Alles wohlgefügt an ſeinen Platz, da iſt ſein erſonnener Plan und Inhalt und die Form klingt lieblich drein wie Saitenſpiel; woran wir uns ſonſt die Zähne auszubeißen hätten, das ſchlürfen wir aus Dichters Hand wie Honigſeim und es ſchmeckt ſüße.
Das Herbe der Grammatik zu lindern, wußte Ekkehard keinen Ausweg. Für jeden Tag ſchrieb er der Herzogin die Aufgabe auf ein Pergamentblatt, ſie war des Lernens begierig und wenn die Früh- ſonne über dem Bodenſee aufſtieg und ihre erſten Strahlen auf den hohen Twiel warf, ſtund ſie ſchon in des Fenſters Wölbung und lernte was ihr vorgeſchrieben war, leiſe und laut, bis zu Ekkehard's Saal klang einſt ihr einförmig Herſagen: amo,amas, amat, amamus...
Praxedis aber hatte ſchwere Stunden. Sich zur Anregung, aber ihr zu nicht geringer Langeweile, befahl ihr Frau Hadwig jeweils das gleiche Stück Grammatik zu lernen. Kaum Schülerin, freute es ſie, mit dem was ſie erlernt ihre Dienerin zu meiſtern, und nie war ſie zufriedener, als wenn Praxedis ein Hauptwort für ein Beiwort anſah, oder ein unregelmäßig Zeitwort regelmäßig abwandelte.
Des Abends kam die Herzogin hinüber in Ekkehard's Gemach. Da mußte Alles bereit ſein zur Leſung des Virgil, Praxedis kam mit ihr, und da in Vincentius nachgelaſſenen Büchern ein lateiniſch Wör- terbuch nicht vorhanden war, ward ſie mit Anfertigung eines ſolchen beauftragt, denn ſie hatte in jungen Tagen des Schreibens Kunſt erlernt. Frau Hadwig war deſſen minder erfahren: Wozu wären die geiſtlichen Männer, ſprach ſie, wenn ein jeder die Kunſt verſtünde, die ihrem Stand zukommt? ſchmieden ſollen die Schmiede, fechten die
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welcher Art ſie zu Erlernung der lateiniſchen Sprache vorſchreiten
wolle. Da fanden ſie es am beſten, eine Stunde des Tages der löb-
lichen Grammatik zu beſtimmen, eine zweite der Leſung des Virgilius.
Auf letztere freute ſich Ekkehard ſehr, er gedachte ſich zuſammen zu
faſſen und mit Aufbietung von Wiſſen, Schärfe und Feinheit der
Herzogin die Pfade des Verſtändniſſes zu ebnen.
Es iſt doch kein unnütz Werk, ſprach er, was die alten Poeten gethan;
wie mühſam wäre es eine Sprache zu erlernen, wenn ſie uns nur im
Wörterbuch überliefert wäre, wie die Getreidekörner in einem Sack,
und wir die Mühe hätten, Mehl daraus zu mahlen und Brod daraus
zu backen ... Der Poet aber ſtellt Alles wohlgefügt an ſeinen Platz,
da iſt ſein erſonnener Plan und Inhalt und die Form klingt lieblich
drein wie Saitenſpiel; woran wir uns ſonſt die Zähne auszubeißen
hätten, das ſchlürfen wir aus Dichters Hand wie Honigſeim und es
ſchmeckt ſüße.
Das Herbe der Grammatik zu lindern, wußte Ekkehard keinen
Ausweg. Für jeden Tag ſchrieb er der Herzogin die Aufgabe auf
ein Pergamentblatt, ſie war des Lernens begierig und wenn die Früh-
ſonne über dem Bodenſee aufſtieg und ihre erſten Strahlen auf den
hohen Twiel warf, ſtund ſie ſchon in des Fenſters Wölbung und
lernte was ihr vorgeſchrieben war, leiſe und laut, bis zu Ekkehard's
Saal klang einſt ihr einförmig Herſagen: amo,amas, amat, amamus...
Praxedis aber hatte ſchwere Stunden. Sich zur Anregung, aber
ihr zu nicht geringer Langeweile, befahl ihr Frau Hadwig jeweils
das gleiche Stück Grammatik zu lernen. Kaum Schülerin, freute es
ſie, mit dem was ſie erlernt ihre Dienerin zu meiſtern, und nie war
ſie zufriedener, als wenn Praxedis ein Hauptwort für ein Beiwort
anſah, oder ein unregelmäßig Zeitwort regelmäßig abwandelte.
Des Abends kam die Herzogin hinüber in Ekkehard's Gemach.
Da mußte Alles bereit ſein zur Leſung des Virgil, Praxedis kam mit
ihr, und da in Vincentius nachgelaſſenen Büchern ein lateiniſch Wör-
terbuch nicht vorhanden war, ward ſie mit Anfertigung eines ſolchen
beauftragt, denn ſie hatte in jungen Tagen des Schreibens Kunſt
erlernt. Frau Hadwig war deſſen minder erfahren: Wozu wären
die geiſtlichen Männer, ſprach ſie, wenn ein jeder die Kunſt verſtünde,
die ihrem Stand zukommt? ſchmieden ſollen die Schmiede, fechten die
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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