Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.weine dort nicht und klage mich nicht an, denn sage ihm, du kleiner Engel, ich käme bald nach! Plötzlich fuhr sie auf: Eine Otter! eine Otter! Und in der That schlüpfte eine schwarze, selber ermattete Otter, giftig und gräßlich genug für das kleine zarte Kind, aus seinen Bettchen hervor, die in der warmen Sonne auf den Hecken gelegen. Sie fiel vom Tisch auf die Erde, und der König trat ihr den Kopf entzwei. Dann sank er seinem Weibe in die Arme, die ihm wehrte. Er küßte sie auf die Stirn, aber sie wehrte ihm auch das. Denn von dem Allen im Herzen zerrissen, führte Sigbritte ihre arme Tochter fort; der König und die Königin sahen ihr nach; der Knabe stand zwischen Vater und Mutter bedenkend -- dann lief er der Mutter nach, und der König seinem Knaben. Die Königin aber stand allein im Zimmer, drückte noch einmal, sich langsam umschauend, das Bild des Ganzen und aller seiner Theile sich tief in die Seele, wie eine Scene vom fernsten, äußersten Sterne, oder aus einem Geisterschloß, das sie einmal betreten und nie wieder; dann verließ sie es langsam und sahe ihren Weg kaum vor Thränen. weine dort nicht und klage mich nicht an, denn sage ihm, du kleiner Engel, ich käme bald nach! Plötzlich fuhr sie auf: Eine Otter! eine Otter! Und in der That schlüpfte eine schwarze, selber ermattete Otter, giftig und gräßlich genug für das kleine zarte Kind, aus seinen Bettchen hervor, die in der warmen Sonne auf den Hecken gelegen. Sie fiel vom Tisch auf die Erde, und der König trat ihr den Kopf entzwei. Dann sank er seinem Weibe in die Arme, die ihm wehrte. Er küßte sie auf die Stirn, aber sie wehrte ihm auch das. Denn von dem Allen im Herzen zerrissen, führte Sigbritte ihre arme Tochter fort; der König und die Königin sahen ihr nach; der Knabe stand zwischen Vater und Mutter bedenkend — dann lief er der Mutter nach, und der König seinem Knaben. Die Königin aber stand allein im Zimmer, drückte noch einmal, sich langsam umschauend, das Bild des Ganzen und aller seiner Theile sich tief in die Seele, wie eine Scene vom fernsten, äußersten Sterne, oder aus einem Geisterschloß, das sie einmal betreten und nie wieder; dann verließ sie es langsam und sahe ihren Weg kaum vor Thränen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0093"/> weine dort nicht und klage mich nicht an, denn sage ihm, du kleiner Engel, ich käme bald nach!</p><lb/> <p>Plötzlich fuhr sie auf: Eine Otter! eine Otter!</p><lb/> <p>Und in der That schlüpfte eine schwarze, selber ermattete Otter, giftig und gräßlich genug für das kleine zarte Kind, aus seinen Bettchen hervor, die in der warmen Sonne auf den Hecken gelegen. Sie fiel vom Tisch auf die Erde, und der König trat ihr den Kopf entzwei. Dann sank er seinem Weibe in die Arme, die ihm wehrte. Er küßte sie auf die Stirn, aber sie wehrte ihm auch das. Denn von dem Allen im Herzen zerrissen, führte Sigbritte ihre arme Tochter fort; der König und die Königin sahen ihr nach; der Knabe stand zwischen Vater und Mutter bedenkend — dann lief er der Mutter nach, und der König seinem Knaben.</p><lb/> <p>Die Königin aber stand allein im Zimmer, drückte noch einmal, sich langsam umschauend, das Bild des Ganzen und aller seiner Theile sich tief in die Seele, wie eine Scene vom fernsten, äußersten Sterne, oder aus einem Geisterschloß, das sie einmal betreten und nie wieder; dann verließ sie es langsam und sahe ihren Weg kaum vor Thränen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
weine dort nicht und klage mich nicht an, denn sage ihm, du kleiner Engel, ich käme bald nach!
Plötzlich fuhr sie auf: Eine Otter! eine Otter!
Und in der That schlüpfte eine schwarze, selber ermattete Otter, giftig und gräßlich genug für das kleine zarte Kind, aus seinen Bettchen hervor, die in der warmen Sonne auf den Hecken gelegen. Sie fiel vom Tisch auf die Erde, und der König trat ihr den Kopf entzwei. Dann sank er seinem Weibe in die Arme, die ihm wehrte. Er küßte sie auf die Stirn, aber sie wehrte ihm auch das. Denn von dem Allen im Herzen zerrissen, führte Sigbritte ihre arme Tochter fort; der König und die Königin sahen ihr nach; der Knabe stand zwischen Vater und Mutter bedenkend — dann lief er der Mutter nach, und der König seinem Knaben.
Die Königin aber stand allein im Zimmer, drückte noch einmal, sich langsam umschauend, das Bild des Ganzen und aller seiner Theile sich tief in die Seele, wie eine Scene vom fernsten, äußersten Sterne, oder aus einem Geisterschloß, das sie einmal betreten und nie wieder; dann verließ sie es langsam und sahe ihren Weg kaum vor Thränen.
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