Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sein Wille die erste Ursach des Müssens
ist*).

Die Hauptquelle dieses allgemeinen Triebes
nach Unabhängigkeit und Freyheit, liegt in der
Eigenliebe des Menschen, welcher es sehr schmei-
chelhaft ist, wenn man sich als seinen eignen Füh-
rer, als die erste und sich selbst bestimmende Ur-

sache
*) So ist der Mensch mit sich selbst im Widerspruch,
so arg betrügt er sich selbst. Wer hatte wohl einen
größern Widerwillen gegen etwas, was den Schein
von Sclaverey hatte, als jene alten Helden aus der
Ritterzeit, und doch unterwarfen sich Manche den
eisernen Gesetzen des fehmgerichtlichen Bundes, und
widersprachen nicht einmal, wenn ihnen Befehle
gegeben wurden, vor welchen ihre Menschheit schau-
derte, und die sie gern mit dem Tode abgekauft hät-
ten. -- So ist es auch noch gegenwärtig, wo
man es sich hie und da recht angelegen seyn zu las-
sen scheint, die ritterliche Barbarey zu kopiren,
ohne die ritterliche Tugend nachahmen zu wollen.
Ueber Gesetze, welche die gute Ordnung der Welt,
in der man lebt, nothwendig macht, hört man man-
chen jungen und alten Mann murren oder spotten;
aber ein Sclav einer Verbindung zu seyn, in welcher
man nicht leben sollte, rechnet man sich zur Ehre!
O Jünglinge, lernet bald, was wahre Ehre ist, damit
ihr nicht ein Phantom verfolgt, und vor den
Augen der Vernünftigen, die auch die wahre Ehre
lieben, und früher oder später vor euch selbst, als
Erniedrigte, erscheint.

daß ſein Wille die erſte Urſach des Muͤſſens
iſt*).

Die Hauptquelle dieſes allgemeinen Triebes
nach Unabhaͤngigkeit und Freyheit, liegt in der
Eigenliebe des Menſchen, welcher es ſehr ſchmei-
chelhaft iſt, wenn man ſich als ſeinen eignen Fuͤh-
rer, als die erſte und ſich ſelbſt beſtimmende Ur-

ſache
*) So iſt der Menſch mit ſich ſelbſt im Widerſpruch,
ſo arg betruͤgt er ſich ſelbſt. Wer hatte wohl einen
groͤßern Widerwillen gegen etwas, was den Schein
von Sclaverey hatte, als jene alten Helden aus der
Ritterzeit, und doch unterwarfen ſich Manche den
eiſernen Geſetzen des fehmgerichtlichen Bundes, und
widerſprachen nicht einmal, wenn ihnen Befehle
gegeben wurden, vor welchen ihre Menſchheit ſchau-
derte, und die ſie gern mit dem Tode abgekauft haͤt-
ten. — So iſt es auch noch gegenwaͤrtig, wo
man es ſich hie und da recht angelegen ſeyn zu laſ-
ſen ſcheint, die ritterliche Barbarey zu kopiren,
ohne die ritterliche Tugend nachahmen zu wollen.
Ueber Geſetze, welche die gute Ordnung der Welt,
in der man lebt, nothwendig macht, hoͤrt man man-
chen jungen und alten Mann murren oder ſpotten;
aber ein Sclav einer Verbindung zu ſeyn, in welcher
man nicht leben ſollte, rechnet man ſich zur Ehre!
O Juͤnglinge, lernet bald, was wahre Ehre iſt, damit
ihr nicht ein Phantom verfolgt, und vor den
Augen der Vernuͤnftigen, die auch die wahre Ehre
lieben, und fruͤher oder ſpaͤter vor euch ſelbſt, als
Erniedrigte, erſcheint.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="376"/>
daß &#x017F;ein Wille die er&#x017F;te Ur&#x017F;ach des Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
i&#x017F;t<note place="foot" n="*)">So i&#x017F;t der Men&#x017F;ch mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t im Wider&#x017F;pruch,<lb/>
&#x017F;o arg betru&#x0364;gt er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Wer hatte wohl einen<lb/>
gro&#x0364;ßern Widerwillen gegen etwas, was den Schein<lb/>
von Sclaverey hatte, als jene alten Helden aus der<lb/>
Ritterzeit, und doch unterwarfen &#x017F;ich Manche den<lb/>
ei&#x017F;ernen Ge&#x017F;etzen des fehmgerichtlichen Bundes, und<lb/>
wider&#x017F;prachen nicht einmal, wenn ihnen Befehle<lb/>
gegeben wurden, vor welchen ihre Men&#x017F;chheit &#x017F;chau-<lb/>
derte, und die &#x017F;ie gern mit dem Tode abgekauft ha&#x0364;t-<lb/>
ten. &#x2014; So i&#x017F;t es auch noch gegenwa&#x0364;rtig, wo<lb/>
man es &#x017F;ich hie und da recht angelegen &#x017F;eyn zu la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;cheint, die ritterliche <hi rendition="#fr">Barbarey</hi> zu kopiren,<lb/>
ohne die ritterliche <hi rendition="#fr">Tugend</hi> nachahmen zu wollen.<lb/>
Ueber Ge&#x017F;etze, welche die gute Ordnung der Welt,<lb/>
in der man lebt, nothwendig macht, ho&#x0364;rt man man-<lb/>
chen jungen und <hi rendition="#fr">alten</hi> Mann murren oder &#x017F;potten;<lb/>
aber ein Sclav einer Verbindung zu &#x017F;eyn, in welcher<lb/>
man nicht leben <hi rendition="#fr">&#x017F;ollte</hi>, rechnet man &#x017F;ich zur Ehre!<lb/>
O Ju&#x0364;nglinge, lernet bald, was wahre Ehre i&#x017F;t, damit<lb/>
ihr nicht ein Phantom verfolgt, und vor den<lb/>
Augen der Vernu&#x0364;nftigen, die auch die <hi rendition="#fr">wahre</hi> Ehre<lb/>
lieben, und fru&#x0364;her oder &#x017F;pa&#x0364;ter vor euch &#x017F;elb&#x017F;t, als<lb/>
Erniedrigte, er&#x017F;cheint.</note>.</p><lb/>
        <p>Die Hauptquelle die&#x017F;es allgemeinen Triebes<lb/>
nach Unabha&#x0364;ngigkeit und Freyheit, liegt in der<lb/>
Eigenliebe des Men&#x017F;chen, welcher es &#x017F;ehr &#x017F;chmei-<lb/>
chelhaft i&#x017F;t, wenn man &#x017F;ich als &#x017F;einen eignen Fu&#x0364;h-<lb/>
rer, als die er&#x017F;te und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;timmende Ur-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ache</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0092] daß ſein Wille die erſte Urſach des Muͤſſens iſt *). Die Hauptquelle dieſes allgemeinen Triebes nach Unabhaͤngigkeit und Freyheit, liegt in der Eigenliebe des Menſchen, welcher es ſehr ſchmei- chelhaft iſt, wenn man ſich als ſeinen eignen Fuͤh- rer, als die erſte und ſich ſelbſt beſtimmende Ur- ſache *) So iſt der Menſch mit ſich ſelbſt im Widerſpruch, ſo arg betruͤgt er ſich ſelbſt. Wer hatte wohl einen groͤßern Widerwillen gegen etwas, was den Schein von Sclaverey hatte, als jene alten Helden aus der Ritterzeit, und doch unterwarfen ſich Manche den eiſernen Geſetzen des fehmgerichtlichen Bundes, und widerſprachen nicht einmal, wenn ihnen Befehle gegeben wurden, vor welchen ihre Menſchheit ſchau- derte, und die ſie gern mit dem Tode abgekauft haͤt- ten. — So iſt es auch noch gegenwaͤrtig, wo man es ſich hie und da recht angelegen ſeyn zu laſ- ſen ſcheint, die ritterliche Barbarey zu kopiren, ohne die ritterliche Tugend nachahmen zu wollen. Ueber Geſetze, welche die gute Ordnung der Welt, in der man lebt, nothwendig macht, hoͤrt man man- chen jungen und alten Mann murren oder ſpotten; aber ein Sclav einer Verbindung zu ſeyn, in welcher man nicht leben ſollte, rechnet man ſich zur Ehre! O Juͤnglinge, lernet bald, was wahre Ehre iſt, damit ihr nicht ein Phantom verfolgt, und vor den Augen der Vernuͤnftigen, die auch die wahre Ehre lieben, und fruͤher oder ſpaͤter vor euch ſelbſt, als Erniedrigte, erſcheint.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/92
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/92>, abgerufen am 22.11.2024.