danken über diese Zeit hinaus in die Ewigkeit sich richten -- und seine Bestrebungen dahin zielen, aus dem gegenwärtigen Leben einen Schatz mitzu- nehmen, der auch dort noch herrlichen Genuß giebt.
Wenn aus der Ueberzeugung von einem künftigen Leben der Trieb auf dasselbe zu sehen in dem Herzen belebt ist, so wird, so wie der Vor- stellungskreis des Menschen, auch seine Denkungs- art, erweitert. Ewigkeit wird ihm wichtiger, als die Gegenwart, und er fühlt sich stark genug, sich einen Genuß zu versagen, welchen die Sinn- lichkeit begehrt, die Vernunft aber, die Führerin des Menschen zur Ewigkeit, nicht erlaubt.
Es gehört gewiß nicht unter die kleinsten Vor- theile, welche das Christenthum der Menschheit gewährte, daß es die Ueberzeugung von der Un- sterblichkeit unter den Menschen allgemeiner mach- te. Dahin war alle große Tugend, alle Mensch- lichkeit, aller Adel der Seele unter dem Volke, das die Herrschaft der Welt hatte. Man kannte keine andre Motive zum Handeln, als solche, welche aus dem engerm Kreis des Privatinteresse genommen waren: und trat eine Stufe nach der andern der Thierheit und Verwilderung näher.
Die Philosophie konnte dem Uebel nicht Ein- halt thun, sondern wurde theils von dem Strom des Verderbens mit fortgerissen, theils zog sie
sich
danken uͤber dieſe Zeit hinaus in die Ewigkeit ſich richten — und ſeine Beſtrebungen dahin zielen, aus dem gegenwaͤrtigen Leben einen Schatz mitzu- nehmen, der auch dort noch herrlichen Genuß giebt.
Wenn aus der Ueberzeugung von einem kuͤnftigen Leben der Trieb auf daſſelbe zu ſehen in dem Herzen belebt iſt, ſo wird, ſo wie der Vor- ſtellungskreis des Menſchen, auch ſeine Denkungs- art, erweitert. Ewigkeit wird ihm wichtiger, als die Gegenwart, und er fuͤhlt ſich ſtark genug, ſich einen Genuß zu verſagen, welchen die Sinn- lichkeit begehrt, die Vernunft aber, die Fuͤhrerin des Menſchen zur Ewigkeit, nicht erlaubt.
Es gehoͤrt gewiß nicht unter die kleinſten Vor- theile, welche das Chriſtenthum der Menſchheit gewaͤhrte, daß es die Ueberzeugung von der Un- ſterblichkeit unter den Menſchen allgemeiner mach- te. Dahin war alle große Tugend, alle Menſch- lichkeit, aller Adel der Seele unter dem Volke, das die Herrſchaft der Welt hatte. Man kannte keine andre Motive zum Handeln, als ſolche, welche aus dem engerm Kreis des Privatintereſſe genommen waren: und trat eine Stufe nach der andern der Thierheit und Verwilderung naͤher.
Die Philoſophie konnte dem Uebel nicht Ein- halt thun, ſondern wurde theils von dem Strom des Verderbens mit fortgeriſſen, theils zog ſie
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danken uͤber dieſe Zeit hinaus in die Ewigkeit ſich
richten — und ſeine Beſtrebungen dahin zielen,
aus dem gegenwaͤrtigen Leben einen Schatz mitzu-
nehmen, der auch dort noch herrlichen Genuß
giebt.
Wenn aus der Ueberzeugung von einem
kuͤnftigen Leben der Trieb auf daſſelbe zu ſehen in
dem Herzen belebt iſt, ſo wird, ſo wie der Vor-
ſtellungskreis des Menſchen, auch ſeine Denkungs-
art, erweitert. Ewigkeit wird ihm wichtiger, als
die Gegenwart, und er fuͤhlt ſich ſtark genug,
ſich einen Genuß zu verſagen, welchen die Sinn-
lichkeit begehrt, die Vernunft aber, die Fuͤhrerin
des Menſchen zur Ewigkeit, nicht erlaubt.
Es gehoͤrt gewiß nicht unter die kleinſten Vor-
theile, welche das Chriſtenthum der Menſchheit
gewaͤhrte, daß es die Ueberzeugung von der Un-
ſterblichkeit unter den Menſchen allgemeiner mach-
te. Dahin war alle große Tugend, alle Menſch-
lichkeit, aller Adel der Seele unter dem Volke,
das die Herrſchaft der Welt hatte. Man kannte
keine andre Motive zum Handeln, als ſolche,
welche aus dem engerm Kreis des Privatintereſſe
genommen waren: und trat eine Stufe nach der
andern der Thierheit und Verwilderung naͤher.
Die Philoſophie konnte dem Uebel nicht Ein-
halt thun, ſondern wurde theils von dem Strom
des Verderbens mit fortgeriſſen, theils zog ſie
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/88>, abgerufen am 24.11.2024.
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