fehlt, aber in dem kultivirten um so lebhafter ist, liegt in dem Gefühl der Veränderlichkeit unsrer Natur und dem mächtigen Triebe nach Verände- rung und Abwechselung.
Man weiß es, daß man nicht so bleiben wird, wie man itzt ist, und wünscht doch so sehr, immer glücklich zu seyn. Um diesen Wunsch zur Wirk- lichkeit werden zu sehn, möchte man gern wissen, was man zu thun habe, um den Zweck der Glück- seligkeit nicht zu verfehlen: und um dies zu erfah- ren, stellt man sich denn vor, was wohl in der Zukunft aus einem werden, in welche Verhält- nisse, Lagen und Umstände man kommen könne.
Wenn man erst eine Vorstellung von dem hat, was der Mensch werden könne, wie voll- kommen und wie glücklich: dann fühlt man sich in keinem gegenwärtigen Moment so weit, daß man nun ruhen könne; sondern will viel weiter. -- Man fühlt seine Unvollkommenheit und hoft Vollendung.
Vorzüglich stark kann dieser Trieb, sich mit der Zukunft zu beschäftigen, durch solche Leiden- schaften werden, welchen die Gegenwart ihre Be- friedigung versagt. Denn Leidenschaft füllt über- haupt die Seele, in welcher sie wohnt, mit sich und ihrem Zubehör ganz aus, und spannt die Thätigkeit, um sich zu befriedigen. Wenn nun die Gegenwart diese Befriedigung nicht giebt, so
lenkt
fehlt, aber in dem kultivirten um ſo lebhafter iſt, liegt in dem Gefuͤhl der Veraͤnderlichkeit unſrer Natur und dem maͤchtigen Triebe nach Veraͤnde- rung und Abwechſelung.
Man weiß es, daß man nicht ſo bleiben wird, wie man itzt iſt, und wuͤnſcht doch ſo ſehr, immer gluͤcklich zu ſeyn. Um dieſen Wunſch zur Wirk- lichkeit werden zu ſehn, moͤchte man gern wiſſen, was man zu thun habe, um den Zweck der Gluͤck- ſeligkeit nicht zu verfehlen: und um dies zu erfah- ren, ſtellt man ſich denn vor, was wohl in der Zukunft aus einem werden, in welche Verhaͤlt- niſſe, Lagen und Umſtaͤnde man kommen koͤnne.
Wenn man erſt eine Vorſtellung von dem hat, was der Menſch werden koͤnne, wie voll- kommen und wie gluͤcklich: dann fuͤhlt man ſich in keinem gegenwaͤrtigen Moment ſo weit, daß man nun ruhen koͤnne; ſondern will viel weiter. — Man fuͤhlt ſeine Unvollkommenheit und hoft Vollendung.
Vorzuͤglich ſtark kann dieſer Trieb, ſich mit der Zukunft zu beſchaͤftigen, durch ſolche Leiden- ſchaften werden, welchen die Gegenwart ihre Be- friedigung verſagt. Denn Leidenſchaft fuͤllt uͤber- haupt die Seele, in welcher ſie wohnt, mit ſich und ihrem Zubehoͤr ganz aus, und ſpannt die Thaͤtigkeit, um ſich zu befriedigen. Wenn nun die Gegenwart dieſe Befriedigung nicht giebt, ſo
lenkt
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fehlt, aber in dem kultivirten um ſo lebhafter iſt,
liegt in dem Gefuͤhl der Veraͤnderlichkeit unſrer
Natur und dem maͤchtigen Triebe nach Veraͤnde-
rung und Abwechſelung.
Man weiß es, daß man nicht ſo bleiben wird,
wie man itzt iſt, und wuͤnſcht doch ſo ſehr, immer
gluͤcklich zu ſeyn. Um dieſen Wunſch zur Wirk-
lichkeit werden zu ſehn, moͤchte man gern wiſſen,
was man zu thun habe, um den Zweck der Gluͤck-
ſeligkeit nicht zu verfehlen: und um dies zu erfah-
ren, ſtellt man ſich denn vor, was wohl in der
Zukunft aus einem werden, in welche Verhaͤlt-
niſſe, Lagen und Umſtaͤnde man kommen koͤnne.
Wenn man erſt eine Vorſtellung von dem
hat, was der Menſch werden koͤnne, wie voll-
kommen und wie gluͤcklich: dann fuͤhlt man ſich
in keinem gegenwaͤrtigen Moment ſo weit, daß
man nun ruhen koͤnne; ſondern will viel weiter. —
Man fuͤhlt ſeine Unvollkommenheit und hoft
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Vorzuͤglich ſtark kann dieſer Trieb, ſich mit
der Zukunft zu beſchaͤftigen, durch ſolche Leiden-
ſchaften werden, welchen die Gegenwart ihre Be-
friedigung verſagt. Denn Leidenſchaft fuͤllt uͤber-
haupt die Seele, in welcher ſie wohnt, mit ſich
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Thaͤtigkeit, um ſich zu befriedigen. Wenn nun
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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