es mitzumachen, und kann oder darf doch nicht. Diese Disharmonie zwischen der Neigung und Nothwendigkeit verursacht denn die unangenehme Empfindung. Aber woher nun dieser Reiz des Gefühls? warum fühlt man bey der Wahrneh- mung fremder Handlungen einen Trieb dieselben nachzubilden?
Die Handlungen des Menschen hängen von seinen Vorstellungen ab. Die Vorstellungen, die im Gemüthe lebendig sind, enthalten die ersten Reize zu den Handlungen, auf welche sie sich be- ziehen, und bewirken die Handlungen auch wirk- lich, wenn nicht etwa andre Vorstellungen, wel- che lebhafter sind, sie verdunkeln und unwirksam machen. Jede körperliche Handlung hat ihre er- ste Ursach in einer Vorstellung des Gemüths, und daß man sich dessen bey den alltäglichen Handlun- gen z. B. dem Bewegen der Hände, Füße und andrer Gliedmaßen nicht bewußt ist, kommt blos daher, daß durch die nothwendige öftere Wieder- hohlung derselben Action die Handlung so geläufig geworden ist, daß deren Reiz in der Vorstellung ganz unmerkbar seyn kann, um die Handlung zu bewirken. Man kann es aber sehr leicht gewahr werden, daß es sich so verhält, wie eben bemerkt ist, wenn man sich nur an den Zustand erinnert, wo die Thätigkeit mit der Trägheit zu kämpfen hat, z. B. in dem Zustande, wo man sich zwi-
schen
es mitzumachen, und kann oder darf doch nicht. Dieſe Disharmonie zwiſchen der Neigung und Nothwendigkeit verurſacht denn die unangenehme Empfindung. Aber woher nun dieſer Reiz des Gefuͤhls? warum fuͤhlt man bey der Wahrneh- mung fremder Handlungen einen Trieb dieſelben nachzubilden?
Die Handlungen des Menſchen haͤngen von ſeinen Vorſtellungen ab. Die Vorſtellungen, die im Gemuͤthe lebendig ſind, enthalten die erſten Reize zu den Handlungen, auf welche ſie ſich be- ziehen, und bewirken die Handlungen auch wirk- lich, wenn nicht etwa andre Vorſtellungen, wel- che lebhafter ſind, ſie verdunkeln und unwirkſam machen. Jede koͤrperliche Handlung hat ihre er- ſte Urſach in einer Vorſtellung des Gemuͤths, und daß man ſich deſſen bey den alltaͤglichen Handlun- gen z. B. dem Bewegen der Haͤnde, Fuͤße und andrer Gliedmaßen nicht bewußt iſt, kommt blos daher, daß durch die nothwendige oͤftere Wieder- hohlung derſelben Action die Handlung ſo gelaͤufig geworden iſt, daß deren Reiz in der Vorſtellung ganz unmerkbar ſeyn kann, um die Handlung zu bewirken. Man kann es aber ſehr leicht gewahr werden, daß es ſich ſo verhaͤlt, wie eben bemerkt iſt, wenn man ſich nur an den Zuſtand erinnert, wo die Thaͤtigkeit mit der Traͤgheit zu kaͤmpfen hat, z. B. in dem Zuſtande, wo man ſich zwi-
ſchen
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es mitzumachen, und kann oder darf doch nicht.
Dieſe Disharmonie zwiſchen der Neigung und
Nothwendigkeit verurſacht denn die unangenehme
Empfindung. Aber woher nun dieſer Reiz des
Gefuͤhls? warum fuͤhlt man bey der Wahrneh-
mung fremder Handlungen einen Trieb dieſelben
nachzubilden?
Die Handlungen des Menſchen haͤngen von
ſeinen Vorſtellungen ab. Die Vorſtellungen, die
im Gemuͤthe lebendig ſind, enthalten die erſten
Reize zu den Handlungen, auf welche ſie ſich be-
ziehen, und bewirken die Handlungen auch wirk-
lich, wenn nicht etwa andre Vorſtellungen, wel-
che lebhafter ſind, ſie verdunkeln und unwirkſam
machen. Jede koͤrperliche Handlung hat ihre er-
ſte Urſach in einer Vorſtellung des Gemuͤths, und
daß man ſich deſſen bey den alltaͤglichen Handlun-
gen z. B. dem Bewegen der Haͤnde, Fuͤße und
andrer Gliedmaßen nicht bewußt iſt, kommt blos
daher, daß durch die nothwendige oͤftere Wieder-
hohlung derſelben Action die Handlung ſo gelaͤufig
geworden iſt, daß deren Reiz in der Vorſtellung
ganz unmerkbar ſeyn kann, um die Handlung zu
bewirken. Man kann es aber ſehr leicht gewahr
werden, daß es ſich ſo verhaͤlt, wie eben bemerkt
iſt, wenn man ſich nur an den Zuſtand erinnert,
wo die Thaͤtigkeit mit der Traͤgheit zu kaͤmpfen
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/64>, abgerufen am 24.11.2024.
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