Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Eben so ist es mit den Beschäftigungen, bey
welchen der Körper und seine Gliedmaßen in Thä-
tigkeit sind. Durch die Anstrengung, sie mag
nun intensiv oder extensiv stark seyn, erschlaffen
die thätigen Organe, und die Seele empfindet
daher Unlust über der Beschäftigung, weil ihre
Befehle von dem ermatteten Körper nur langsam
und schlecht ausgeführt werden.

Ueberhaupt aber strebt die Seele unaufhör-
lich nach einer Erweiterung ihres Vorstellungs-
kreises, besonders dann, wenn sie sich so weit ent-
wickelt hat, daß sie nicht blos für die Sache des
Körpers thätig ist, wie bey dem ungebildeten Thei-
le der Menschen, welche man, und zwar allein
in dieser Hinsicht mit Recht, gemeine Leute
nennt*); sondern sich schon ihrer vorzüglichen

Be-
*) Gebildete Leute pflegen die Hirten und andre, wel-
che einsame, nicht unterhaltende Geschäfte betreiben
müssen, vorzüglich deshalb zu bedauren, weil diese
Leute viel Langeweile haben, und in einem bestän-
digen Einerley leben müssen. Aber grade von die-
ser Seite empfinden solche Menschen am wenigsten
etwas, das Bedauren erregen dürfte. Sie fühlen
keine Langeweile -- ihr Jdeenkreis ist so klein als
ihre Hütte, und so wie diese ihnen nicht zu eng vor-
kommt, weil sie für sich und die Kleinigkeiten, welche
zu ihrer Wirthschaft gehören, Platz genug darin
finden; so auch jener nicht, weil sie selbst unter der
kleinen

Eben ſo iſt es mit den Beſchaͤftigungen, bey
welchen der Koͤrper und ſeine Gliedmaßen in Thaͤ-
tigkeit ſind. Durch die Anſtrengung, ſie mag
nun intenſiv oder extenſiv ſtark ſeyn, erſchlaffen
die thaͤtigen Organe, und die Seele empfindet
daher Unluſt uͤber der Beſchaͤftigung, weil ihre
Befehle von dem ermatteten Koͤrper nur langſam
und ſchlecht ausgefuͤhrt werden.

Ueberhaupt aber ſtrebt die Seele unaufhoͤr-
lich nach einer Erweiterung ihres Vorſtellungs-
kreiſes, beſonders dann, wenn ſie ſich ſo weit ent-
wickelt hat, daß ſie nicht blos fuͤr die Sache des
Koͤrpers thaͤtig iſt, wie bey dem ungebildeten Thei-
le der Menſchen, welche man, und zwar allein
in dieſer Hinſicht mit Recht, gemeine Leute
nennt*); ſondern ſich ſchon ihrer vorzuͤglichen

Be-
*) Gebildete Leute pflegen die Hirten und andre, wel-
che einſame, nicht unterhaltende Geſchaͤfte betreiben
muͤſſen, vorzuͤglich deshalb zu bedauren, weil dieſe
Leute viel Langeweile haben, und in einem beſtaͤn-
digen Einerley leben muͤſſen. Aber grade von die-
ſer Seite empfinden ſolche Menſchen am wenigſten
etwas, das Bedauren erregen duͤrfte. Sie fuͤhlen
keine Langeweile — ihr Jdeenkreis iſt ſo klein als
ihre Huͤtte, und ſo wie dieſe ihnen nicht zu eng vor-
kommt, weil ſie fuͤr ſich und die Kleinigkeiten, welche
zu ihrer Wirthſchaft gehoͤren, Platz genug darin
finden; ſo auch jener nicht, weil ſie ſelbſt unter der
kleinen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0056" n="340"/>
        <p>Eben &#x017F;o i&#x017F;t es mit den Be&#x017F;cha&#x0364;ftigungen, bey<lb/>
welchen der Ko&#x0364;rper und &#x017F;eine Gliedmaßen in Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeit &#x017F;ind. Durch die An&#x017F;trengung, &#x017F;ie mag<lb/>
nun inten&#x017F;iv oder exten&#x017F;iv &#x017F;tark &#x017F;eyn, er&#x017F;chlaffen<lb/>
die tha&#x0364;tigen Organe, und die Seele empfindet<lb/>
daher Unlu&#x017F;t u&#x0364;ber der Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung, weil ihre<lb/>
Befehle von dem ermatteten Ko&#x0364;rper nur lang&#x017F;am<lb/>
und &#x017F;chlecht ausgefu&#x0364;hrt werden.</p><lb/>
        <p>Ueberhaupt aber &#x017F;trebt die Seele unaufho&#x0364;r-<lb/>
lich nach einer Erweiterung ihres Vor&#x017F;tellungs-<lb/>
krei&#x017F;es, be&#x017F;onders dann, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o weit ent-<lb/>
wickelt hat, daß &#x017F;ie nicht blos fu&#x0364;r die Sache des<lb/>
Ko&#x0364;rpers tha&#x0364;tig i&#x017F;t, wie bey dem ungebildeten Thei-<lb/>
le der Men&#x017F;chen, welche man, und zwar allein<lb/>
in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht mit Recht, gemeine Leute<lb/>
nennt<note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="*)">Gebildete Leute pflegen die Hirten und andre, wel-<lb/>
che ein&#x017F;ame, nicht unterhaltende Ge&#x017F;cha&#x0364;fte betreiben<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, vorzu&#x0364;glich deshalb zu bedauren, weil die&#x017F;e<lb/>
Leute viel Langeweile haben, und in einem be&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digen Einerley leben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Aber grade von die-<lb/>
&#x017F;er Seite empfinden &#x017F;olche Men&#x017F;chen am wenig&#x017F;ten<lb/>
etwas, das Bedauren erregen du&#x0364;rfte. Sie fu&#x0364;hlen<lb/>
keine Langeweile &#x2014; ihr Jdeenkreis i&#x017F;t &#x017F;o klein als<lb/>
ihre Hu&#x0364;tte, und &#x017F;o wie die&#x017F;e ihnen nicht zu eng vor-<lb/>
kommt, weil &#x017F;ie fu&#x0364;r &#x017F;ich und die Kleinigkeiten, welche<lb/>
zu ihrer Wirth&#x017F;chaft geho&#x0364;ren, Platz genug darin<lb/>
finden; &#x017F;o auch jener nicht, weil &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t unter der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kleinen</fw></note>; &#x017F;ondern &#x017F;ich &#x017F;chon ihrer vorzu&#x0364;glichen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Be-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0056] Eben ſo iſt es mit den Beſchaͤftigungen, bey welchen der Koͤrper und ſeine Gliedmaßen in Thaͤ- tigkeit ſind. Durch die Anſtrengung, ſie mag nun intenſiv oder extenſiv ſtark ſeyn, erſchlaffen die thaͤtigen Organe, und die Seele empfindet daher Unluſt uͤber der Beſchaͤftigung, weil ihre Befehle von dem ermatteten Koͤrper nur langſam und ſchlecht ausgefuͤhrt werden. Ueberhaupt aber ſtrebt die Seele unaufhoͤr- lich nach einer Erweiterung ihres Vorſtellungs- kreiſes, beſonders dann, wenn ſie ſich ſo weit ent- wickelt hat, daß ſie nicht blos fuͤr die Sache des Koͤrpers thaͤtig iſt, wie bey dem ungebildeten Thei- le der Menſchen, welche man, und zwar allein in dieſer Hinſicht mit Recht, gemeine Leute nennt *); ſondern ſich ſchon ihrer vorzuͤglichen Be- *) Gebildete Leute pflegen die Hirten und andre, wel- che einſame, nicht unterhaltende Geſchaͤfte betreiben muͤſſen, vorzuͤglich deshalb zu bedauren, weil dieſe Leute viel Langeweile haben, und in einem beſtaͤn- digen Einerley leben muͤſſen. Aber grade von die- ſer Seite empfinden ſolche Menſchen am wenigſten etwas, das Bedauren erregen duͤrfte. Sie fuͤhlen keine Langeweile — ihr Jdeenkreis iſt ſo klein als ihre Huͤtte, und ſo wie dieſe ihnen nicht zu eng vor- kommt, weil ſie fuͤr ſich und die Kleinigkeiten, welche zu ihrer Wirthſchaft gehoͤren, Platz genug darin finden; ſo auch jener nicht, weil ſie ſelbſt unter der kleinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/56
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/56>, abgerufen am 22.11.2024.