sonst wohl geschehen war; aber statt, daß er zu andrer Zeit der munterste Gesellschafter war, fiel er itzt in einen Schlaf. Man weckte ihn endlich -- er erschrak. Es war schon spät, doch jagte ihn die bange Verwirrung seiner Seele noch zu einem seiner Bekannten. So war er an diesem Tage von einem zum andern getrieben, gleich als wenn er von Jedem Hülfe und Rettung erwartete, um die er zu bitten nicht im Stande war, wegen der Angst, die ihn beklemmte. Gegen Mitter- nacht ging er zu Hause. Die That sollte itzo ge- schehen -- aber die Liebe zum Leben verschob die Ausführung von einem Augenblick zum andern. Er öfnete das Fenster, und wie es zu geschehen pflegt, daß man in dem Zustande, wo alle na- türliche Hofnung verschwunden ist, auf alles, auch auf Wunder hoft, so schien auch er immerfort noch zu hoffen, ohne zu wissen worauf? -- So brachte er die Nacht zu, und die Dämme- rung verkündigte schon den folgenden Tag, wel- cher die Veruntreuung des anvertrauten Gutes bekannt gemacht hätte. Da geschah endlich die That, vor welcher seine Natur so lange und so weit sie konnte, geflohn war.
Wie nun die Liebe zum Leben zuweilen unter- drückt werden kann, wenn nemlich die Regentin aller Neigungen des Herzens, die Selbstliebe, ihre Rechnung beym Leben nicht findet, so kann
sie
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ſonſt wohl geſchehen war; aber ſtatt, daß er zu andrer Zeit der munterſte Geſellſchafter war, fiel er itzt in einen Schlaf. Man weckte ihn endlich — er erſchrak. Es war ſchon ſpaͤt, doch jagte ihn die bange Verwirrung ſeiner Seele noch zu einem ſeiner Bekannten. So war er an dieſem Tage von einem zum andern getrieben, gleich als wenn er von Jedem Huͤlfe und Rettung erwartete, um die er zu bitten nicht im Stande war, wegen der Angſt, die ihn beklemmte. Gegen Mitter- nacht ging er zu Hauſe. Die That ſollte itzo ge- ſchehen — aber die Liebe zum Leben verſchob die Ausfuͤhrung von einem Augenblick zum andern. Er oͤfnete das Fenſter, und wie es zu geſchehen pflegt, daß man in dem Zuſtande, wo alle na- tuͤrliche Hofnung verſchwunden iſt, auf alles, auch auf Wunder hoft, ſo ſchien auch er immerfort noch zu hoffen, ohne zu wiſſen worauf? — So brachte er die Nacht zu, und die Daͤmme- rung verkuͤndigte ſchon den folgenden Tag, wel- cher die Veruntreuung des anvertrauten Gutes bekannt gemacht haͤtte. Da geſchah endlich die That, vor welcher ſeine Natur ſo lange und ſo weit ſie konnte, geflohn war.
Wie nun die Liebe zum Leben zuweilen unter- druͤckt werden kann, wenn nemlich die Regentin aller Neigungen des Herzens, die Selbſtliebe, ihre Rechnung beym Leben nicht findet, ſo kann
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ſonſt wohl geſchehen war; aber ſtatt, daß er zu
andrer Zeit der munterſte Geſellſchafter war, fiel
er itzt in einen Schlaf. Man weckte ihn endlich
— er erſchrak. Es war ſchon ſpaͤt, doch jagte
ihn die bange Verwirrung ſeiner Seele noch zu
einem ſeiner Bekannten. So war er an dieſem
Tage von einem zum andern getrieben, gleich als
wenn er von Jedem Huͤlfe und Rettung erwartete,
um die er zu bitten nicht im Stande war, wegen
der Angſt, die ihn beklemmte. Gegen Mitter-
nacht ging er zu Hauſe. Die That ſollte itzo ge-
ſchehen — aber die Liebe zum Leben verſchob die
Ausfuͤhrung von einem Augenblick zum andern.
Er oͤfnete das Fenſter, und wie es zu geſchehen
pflegt, daß man in dem Zuſtande, wo alle na-
tuͤrliche Hofnung verſchwunden iſt, auf alles, auch
auf Wunder hoft, ſo ſchien auch er immerfort
noch zu hoffen, ohne zu wiſſen worauf? —
So brachte er die Nacht zu, und die Daͤmme-
rung verkuͤndigte ſchon den folgenden Tag, wel-
cher die Veruntreuung des anvertrauten Gutes
bekannt gemacht haͤtte. Da geſchah endlich die
That, vor welcher ſeine Natur ſo lange und ſo
weit ſie konnte, geflohn war.
Wie nun die Liebe zum Leben zuweilen unter-
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ihre Rechnung beym Leben nicht findet, ſo kann
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/39>, abgerufen am 25.11.2024.
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