Man will die Erfahrung gemacht haben, und irrt sich meiner Meynung nach nicht darin, daß kleine Leute am leichtesten in Zorn gerathen, und ihren Zorn am heftigsten äußern. Diesen kann wegen ihrer anscheinenden körperlichen Schwäche leicht einfallen, daß Andre glauben, sie ohne Be- sorgniß beleidigen zu können; und sie beeyfern sich daher bey jeder Gelegenheit zu zeigen, daß dieser Wahn irrig sey, und suchen das, was ihnen an Extension fehlt, durch Jntension zu ersetzen. --
Je weniger Selbstgefühl einer hat, desto leichter sprudelt er auf, weil er nicht gern jemand zur nähern Prüfung seiner Kraft und seines Werths zulassen möchte, und daher immer um- herspäht, ob sich ein Feind in der Ferne sehen lasse, damit er den Angreifer in Schrecken setze, und ihm die Lust benehme, näher vorzurücken. Eitle, pedantische, eingebildete, kränkliche Men- schen sind daher gewöhnlich sehr auffahrisch: ja man sucht auch sogar den Grund der Reizbarkeit des schönen Geschlechts in dem Gefühl der Schwäche, das ihm eigenthümlich seyn, und ihm den Namen des schwächern Geschlechtes verdient haben soll. Jch lasse mich indeß in der Voraussetzung, daß es mit der größern Reizbar- keit der Damen seine Richtigkeit hat, auf eine nähere Untersuchung hierüber nicht ein: und setze nichts hinzu, als daß es mir unbegreiflich ist, daß
das
Man will die Erfahrung gemacht haben, und irrt ſich meiner Meynung nach nicht darin, daß kleine Leute am leichteſten in Zorn gerathen, und ihren Zorn am heftigſten aͤußern. Dieſen kann wegen ihrer anſcheinenden koͤrperlichen Schwaͤche leicht einfallen, daß Andre glauben, ſie ohne Be- ſorgniß beleidigen zu koͤnnen; und ſie beeyfern ſich daher bey jeder Gelegenheit zu zeigen, daß dieſer Wahn irrig ſey, und ſuchen das, was ihnen an Extenſion fehlt, durch Jntenſion zu erſetzen. —
Je weniger Selbſtgefuͤhl einer hat, deſto leichter ſprudelt er auf, weil er nicht gern jemand zur naͤhern Pruͤfung ſeiner Kraft und ſeines Werths zulaſſen moͤchte, und daher immer um- herſpaͤht, ob ſich ein Feind in der Ferne ſehen laſſe, damit er den Angreifer in Schrecken ſetze, und ihm die Luſt benehme, naͤher vorzuruͤcken. Eitle, pedantiſche, eingebildete, kraͤnkliche Men- ſchen ſind daher gewoͤhnlich ſehr auffahriſch: ja man ſucht auch ſogar den Grund der Reizbarkeit des ſchoͤnen Geſchlechts in dem Gefuͤhl der Schwaͤche, das ihm eigenthuͤmlich ſeyn, und ihm den Namen des ſchwaͤchern Geſchlechtes verdient haben ſoll. Jch laſſe mich indeß in der Vorausſetzung, daß es mit der groͤßern Reizbar- keit der Damen ſeine Richtigkeit hat, auf eine naͤhere Unterſuchung hieruͤber nicht ein: und ſetze nichts hinzu, als daß es mir unbegreiflich iſt, daß
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Man will die Erfahrung gemacht haben, und
irrt ſich meiner Meynung nach nicht darin, daß
kleine Leute am leichteſten in Zorn gerathen, und
ihren Zorn am heftigſten aͤußern. Dieſen kann
wegen ihrer anſcheinenden koͤrperlichen Schwaͤche
leicht einfallen, daß Andre glauben, ſie ohne Be-
ſorgniß beleidigen zu koͤnnen; und ſie beeyfern ſich
daher bey jeder Gelegenheit zu zeigen, daß dieſer
Wahn irrig ſey, und ſuchen das, was ihnen an
Extenſion fehlt, durch Jntenſion zu erſetzen. —
Je weniger Selbſtgefuͤhl einer hat, deſto
leichter ſprudelt er auf, weil er nicht gern jemand
zur naͤhern Pruͤfung ſeiner Kraft und ſeines
Werths zulaſſen moͤchte, und daher immer um-
herſpaͤht, ob ſich ein Feind in der Ferne ſehen
laſſe, damit er den Angreifer in Schrecken ſetze,
und ihm die Luſt benehme, naͤher vorzuruͤcken.
Eitle, pedantiſche, eingebildete, kraͤnkliche Men-
ſchen ſind daher gewoͤhnlich ſehr auffahriſch: ja
man ſucht auch ſogar den Grund der Reizbarkeit
des ſchoͤnen Geſchlechts in dem Gefuͤhl der
Schwaͤche, das ihm eigenthuͤmlich ſeyn, und
ihm den Namen des ſchwaͤchern Geſchlechtes
verdient haben ſoll. Jch laſſe mich indeß in der
Vorausſetzung, daß es mit der groͤßern Reizbar-
keit der Damen ſeine Richtigkeit hat, auf eine
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nichts hinzu, als daß es mir unbegreiflich iſt, daß
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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