Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

gerlichkeit näher zusammenrücken, und durch ihre
Minen, Geberden und Worte ihren großen
Abstand von ihr andeuten. Es ärgert sich der
Hitzige, wenn der Andre kalt und ungerührt ge-
gen ihn über steht; der Befehlende, wenn der
Andre unter seinem Befehlen sich die Federn vom
Rocke liest, an den Handkrausen zupft, oder sich
mit der Wegräumung eines Fleckens an seinem
Nagel beschäftigt. Es ärgert sich der Eitle, wenn
er in der Meynung in eine Gesellschaft tritt, daß
aller Augen sich auf ihn richten werden, und nun
keiner ihn bemerkt; der Prahler, wenn ein Au-
genzeuge ihn Lügen straft; der Empfindliche, wenn
der Witz ihn zu seinem Ziel nimmt; der Erin-
nernde, wenn man seine Erinnerungen lächerlich
macht; der Verweisende, wenn er seinen Ver-
weis nicht beweisen kann, und der Neidische, wenn
ihm ein Vortheil, den er gern gehabt hätte, ab-
gewonnen ist.

Verdruß kann auch Der empfinden, welcher
auf wahre Vollkommenheit gegründetes Selbstge-
fühl hat: Aergerniß aber nur selten, und nur in
dem einzigen Falle, wenn ein seiner Kraft wür-
diger, edler, wichtiger Zweck es erfordert, daß
sein Werth erkannt werde, und er sich gegen einen
Andern emporhebe. So kann der Mann sich
ärgern, wenn in einer Gesellschaft schwacher Leu-
te, auf die er wirken soll, seine Tugend, seine

Ehre,
Rr 2

gerlichkeit naͤher zuſammenruͤcken, und durch ihre
Minen, Geberden und Worte ihren großen
Abſtand von ihr andeuten. Es aͤrgert ſich der
Hitzige, wenn der Andre kalt und ungeruͤhrt ge-
gen ihn uͤber ſteht; der Befehlende, wenn der
Andre unter ſeinem Befehlen ſich die Federn vom
Rocke lieſt, an den Handkrauſen zupft, oder ſich
mit der Wegraͤumung eines Fleckens an ſeinem
Nagel beſchaͤftigt. Es aͤrgert ſich der Eitle, wenn
er in der Meynung in eine Geſellſchaft tritt, daß
aller Augen ſich auf ihn richten werden, und nun
keiner ihn bemerkt; der Prahler, wenn ein Au-
genzeuge ihn Luͤgen ſtraft; der Empfindliche, wenn
der Witz ihn zu ſeinem Ziel nimmt; der Erin-
nernde, wenn man ſeine Erinnerungen laͤcherlich
macht; der Verweiſende, wenn er ſeinen Ver-
weis nicht beweiſen kann, und der Neidiſche, wenn
ihm ein Vortheil, den er gern gehabt haͤtte, ab-
gewonnen iſt.

Verdruß kann auch Der empfinden, welcher
auf wahre Vollkommenheit gegruͤndetes Selbſtge-
fuͤhl hat: Aergerniß aber nur ſelten, und nur in
dem einzigen Falle, wenn ein ſeiner Kraft wuͤr-
diger, edler, wichtiger Zweck es erfordert, daß
ſein Werth erkannt werde, und er ſich gegen einen
Andern emporhebe. So kann der Mann ſich
aͤrgern, wenn in einer Geſellſchaft ſchwacher Leu-
te, auf die er wirken ſoll, ſeine Tugend, ſeine

Ehre,
Rr 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0343" n="627"/>
gerlichkeit na&#x0364;her zu&#x017F;ammenru&#x0364;cken, und durch ihre<lb/>
Minen, Geberden und Worte ihren großen<lb/>
Ab&#x017F;tand von ihr andeuten. Es a&#x0364;rgert &#x017F;ich der<lb/>
Hitzige, wenn der Andre kalt und ungeru&#x0364;hrt ge-<lb/>
gen ihn u&#x0364;ber &#x017F;teht; der Befehlende, wenn der<lb/>
Andre unter &#x017F;einem Befehlen &#x017F;ich die Federn vom<lb/>
Rocke lie&#x017F;t, an den Handkrau&#x017F;en zupft, oder &#x017F;ich<lb/>
mit der Wegra&#x0364;umung eines Fleckens an &#x017F;einem<lb/>
Nagel be&#x017F;cha&#x0364;ftigt. Es a&#x0364;rgert &#x017F;ich der Eitle, wenn<lb/>
er in der Meynung in eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft tritt, daß<lb/>
aller Augen &#x017F;ich auf ihn richten werden, und nun<lb/>
keiner ihn bemerkt; der Prahler, wenn ein Au-<lb/>
genzeuge ihn Lu&#x0364;gen &#x017F;traft; der Empfindliche, wenn<lb/>
der Witz ihn zu &#x017F;einem Ziel nimmt; der Erin-<lb/>
nernde, wenn man &#x017F;eine Erinnerungen la&#x0364;cherlich<lb/>
macht; der Verwei&#x017F;ende, wenn er &#x017F;einen Ver-<lb/>
weis nicht bewei&#x017F;en kann, und der Neidi&#x017F;che, wenn<lb/>
ihm ein Vortheil, den er gern gehabt ha&#x0364;tte, ab-<lb/>
gewonnen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Verdruß kann auch Der empfinden, welcher<lb/>
auf wahre Vollkommenheit gegru&#x0364;ndetes Selb&#x017F;tge-<lb/>
fu&#x0364;hl hat: Aergerniß aber nur &#x017F;elten, und nur in<lb/>
dem einzigen Falle, wenn ein &#x017F;einer Kraft wu&#x0364;r-<lb/>
diger, edler, wichtiger Zweck es erfordert, daß<lb/>
&#x017F;ein Werth erkannt werde, und er &#x017F;ich gegen einen<lb/>
Andern emporhebe. So kann der <hi rendition="#b">Mann</hi> &#x017F;ich<lb/>
a&#x0364;rgern, wenn in einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;chwacher Leu-<lb/>
te, auf die er wirken &#x017F;oll, &#x017F;eine Tugend, &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Rr 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Ehre,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[627/0343] gerlichkeit naͤher zuſammenruͤcken, und durch ihre Minen, Geberden und Worte ihren großen Abſtand von ihr andeuten. Es aͤrgert ſich der Hitzige, wenn der Andre kalt und ungeruͤhrt ge- gen ihn uͤber ſteht; der Befehlende, wenn der Andre unter ſeinem Befehlen ſich die Federn vom Rocke lieſt, an den Handkrauſen zupft, oder ſich mit der Wegraͤumung eines Fleckens an ſeinem Nagel beſchaͤftigt. Es aͤrgert ſich der Eitle, wenn er in der Meynung in eine Geſellſchaft tritt, daß aller Augen ſich auf ihn richten werden, und nun keiner ihn bemerkt; der Prahler, wenn ein Au- genzeuge ihn Luͤgen ſtraft; der Empfindliche, wenn der Witz ihn zu ſeinem Ziel nimmt; der Erin- nernde, wenn man ſeine Erinnerungen laͤcherlich macht; der Verweiſende, wenn er ſeinen Ver- weis nicht beweiſen kann, und der Neidiſche, wenn ihm ein Vortheil, den er gern gehabt haͤtte, ab- gewonnen iſt. Verdruß kann auch Der empfinden, welcher auf wahre Vollkommenheit gegruͤndetes Selbſtge- fuͤhl hat: Aergerniß aber nur ſelten, und nur in dem einzigen Falle, wenn ein ſeiner Kraft wuͤr- diger, edler, wichtiger Zweck es erfordert, daß ſein Werth erkannt werde, und er ſich gegen einen Andern emporhebe. So kann der Mann ſich aͤrgern, wenn in einer Geſellſchaft ſchwacher Leu- te, auf die er wirken ſoll, ſeine Tugend, ſeine Ehre, Rr 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/343
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/343>, abgerufen am 25.11.2024.