den weichlichen, sein Leben mehr als seine Ehre lie- benden Soldaten, das Gerücht des bevorstehen- den Krieges, den Gefangnen das Urtheil, wel- chem er entgegensieht, und den Abergläubischen die Prophezeyungen des jüngsten Tages.
Keine Furcht ist quälender, als die Angst, oder diejenige Art der Furcht, welche aus der ungeheuren Vorstellung von der Größe des Uebels und der peinigenden Ungewißheit über die Art des- selben entspringt. Ach, seufzt der Angstvolle, wenn das Uebel, das mich ängstet, nur erst vor- über wäre, und doch flieht er so weit und so lan- ge er kann vor demselben zurück. Die folternde Ungewißheit über die Art desselben reißt seine ge- ängstete Seele von einer schrecklichen Vorstellung zur andern, und läßt ihn selbst den Tod, der doch nur Ein wirkliches Uebel ist, wünschenswerther erscheinen, als die Ursache seiner Angst, die ihn alle mögliche Uebel vergegenwärtigt. Als Me- dina Sidonia, Führer der unüberwindlichen Flotte, nach der völligen Niederlage derselben nach Madrit zurückgekommen war, und im Au- dienzsaal den König Philipp erwartete, ängstet ihn der Gedanke an das, was der Unwille des Königs über ihn verhängen wird, auf die peinigendste Weise.
"Jm Feuer Des Englischen Geschützes war mir's leichter, Als hier auf diesem Pflaster."
Furcht
Qq 2
den weichlichen, ſein Leben mehr als ſeine Ehre lie- benden Soldaten, das Geruͤcht des bevorſtehen- den Krieges, den Gefangnen das Urtheil, wel- chem er entgegenſieht, und den Aberglaͤubiſchen die Prophezeyungen des juͤngſten Tages.
Keine Furcht iſt quaͤlender, als die Angſt, oder diejenige Art der Furcht, welche aus der ungeheuren Vorſtellung von der Groͤße des Uebels und der peinigenden Ungewißheit uͤber die Art deſ- ſelben entſpringt. Ach, ſeufzt der Angſtvolle, wenn das Uebel, das mich aͤngſtet, nur erſt vor- uͤber waͤre, und doch flieht er ſo weit und ſo lan- ge er kann vor demſelben zuruͤck. Die folternde Ungewißheit uͤber die Art deſſelben reißt ſeine ge- aͤngſtete Seele von einer ſchrecklichen Vorſtellung zur andern, und laͤßt ihn ſelbſt den Tod, der doch nur Ein wirkliches Uebel iſt, wuͤnſchenswerther erſcheinen, als die Urſache ſeiner Angſt, die ihn alle moͤgliche Uebel vergegenwaͤrtigt. Als Me- dina Sidonia, Fuͤhrer der unuͤberwindlichen Flotte, nach der voͤlligen Niederlage derſelben nach Madrit zuruͤckgekommen war, und im Au- dienzſaal den Koͤnig Philipp erwartete, aͤngſtet ihn der Gedanke an das, was der Unwille des Koͤnigs uͤber ihn verhaͤngen wird, auf die peinigendſte Weiſe.
„Jm Feuer Des Engliſchen Geſchuͤtzes war mir's leichter, Als hier auf dieſem Pflaſter.„
Furcht
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den weichlichen, ſein Leben mehr als ſeine Ehre lie-
benden Soldaten, das Geruͤcht des bevorſtehen-
den Krieges, den Gefangnen das Urtheil, wel-
chem er entgegenſieht, und den Aberglaͤubiſchen
die Prophezeyungen des juͤngſten Tages.
Keine Furcht iſt quaͤlender, als die Angſt,
oder diejenige Art der Furcht, welche aus der
ungeheuren Vorſtellung von der Groͤße des Uebels
und der peinigenden Ungewißheit uͤber die Art deſ-
ſelben entſpringt. Ach, ſeufzt der Angſtvolle,
wenn das Uebel, das mich aͤngſtet, nur erſt vor-
uͤber waͤre, und doch flieht er ſo weit und ſo lan-
ge er kann vor demſelben zuruͤck. Die folternde
Ungewißheit uͤber die Art deſſelben reißt ſeine ge-
aͤngſtete Seele von einer ſchrecklichen Vorſtellung
zur andern, und laͤßt ihn ſelbſt den Tod, der doch
nur Ein wirkliches Uebel iſt, wuͤnſchenswerther
erſcheinen, als die Urſache ſeiner Angſt, die ihn
alle moͤgliche Uebel vergegenwaͤrtigt. Als Me-
dina Sidonia, Fuͤhrer der unuͤberwindlichen
Flotte, nach der voͤlligen Niederlage derſelben
nach Madrit zuruͤckgekommen war, und im Au-
dienzſaal den Koͤnig Philipp erwartete, aͤngſtet ihn
der Gedanke an das, was der Unwille des Koͤnigs
uͤber ihn verhaͤngen wird, auf die peinigendſte Weiſe.
„Jm Feuer
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Als hier auf dieſem Pflaſter.„
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/327>, abgerufen am 22.11.2024.
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