Sieben und zwanzigste Unterhaltung. Ueber die Furcht.
Wenn irgend etwas, das uns bevorsteht, von uns für ein Uebel, für etwas das unsere innere oder äußere Glückseligkeit stören könne, gehalten wird, so regt sich in unserm Gefühl der Affekt der Furcht. So fürchtet das Kind, welches sich verging, den Unwillen seines Vaters, und der Vater bey dem Anblick des kränklichen Soh- nes, für das Leben desselben. Sie nimmt zu und ab mit der Vorstellung von der Größe des Uebels und mit dem Gefühl von Kraft, demselben zu widerstehen, es zu ertragen, es abzuhalten.
Denkt man sich bey dem drohenden Uebel vorzüglich das Gut, welches dadurch geraubt wird, recht lebhaft und bestimmt, und den Ver- lust desselben gewiß, so wird die Furcht Ban- gigkeit. Bange stehn die Trojanischen Weiber und Kinder um ihre Kleinodien und die Heilig- thümer der Götter herum, welche eine Beute der Griechen werden sollen*); in Bangigkeit versetzt
den
*)Virgil. Aen. 2. v. 163 sq. Hic undique Troisgaza -- -- -- -- -- -- Congeritur: Pueri et pauidae longo ordine matres Stant circum.
Sieben und zwanzigſte Unterhaltung. Ueber die Furcht.
Wenn irgend etwas, das uns bevorſteht, von uns fuͤr ein Uebel, fuͤr etwas das unſere innere oder aͤußere Gluͤckſeligkeit ſtoͤren koͤnne, gehalten wird, ſo regt ſich in unſerm Gefuͤhl der Affekt der Furcht. So fuͤrchtet das Kind, welches ſich verging, den Unwillen ſeines Vaters, und der Vater bey dem Anblick des kraͤnklichen Soh- nes, fuͤr das Leben deſſelben. Sie nimmt zu und ab mit der Vorſtellung von der Groͤße des Uebels und mit dem Gefuͤhl von Kraft, demſelben zu widerſtehen, es zu ertragen, es abzuhalten.
Denkt man ſich bey dem drohenden Uebel vorzuͤglich das Gut, welches dadurch geraubt wird, recht lebhaft und beſtimmt, und den Ver- luſt deſſelben gewiß, ſo wird die Furcht Ban- gigkeit. Bange ſtehn die Trojaniſchen Weiber und Kinder um ihre Kleinodien und die Heilig- thuͤmer der Goͤtter herum, welche eine Beute der Griechen werden ſollen*); in Bangigkeit verſetzt
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*)Virgil. Aen. 2. v. 163 ſq. Hic undique Troïsgaza — — — — — — Congeritur: Pueri et pauidae longo ordine matres Stant circum.
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Sieben und zwanzigſte Unterhaltung.
Ueber die
Furcht.
Wenn irgend etwas, das uns bevorſteht, von
uns fuͤr ein Uebel, fuͤr etwas das unſere innere
oder aͤußere Gluͤckſeligkeit ſtoͤren koͤnne, gehalten
wird, ſo regt ſich in unſerm Gefuͤhl der Affekt
der Furcht. So fuͤrchtet das Kind, welches
ſich verging, den Unwillen ſeines Vaters, und
der Vater bey dem Anblick des kraͤnklichen Soh-
nes, fuͤr das Leben deſſelben. Sie nimmt zu und
ab mit der Vorſtellung von der Groͤße des Uebels
und mit dem Gefuͤhl von Kraft, demſelben zu
widerſtehen, es zu ertragen, es abzuhalten.
Denkt man ſich bey dem drohenden Uebel
vorzuͤglich das Gut, welches dadurch geraubt
wird, recht lebhaft und beſtimmt, und den Ver-
luſt deſſelben gewiß, ſo wird die Furcht Ban-
gigkeit. Bange ſtehn die Trojaniſchen Weiber
und Kinder um ihre Kleinodien und die Heilig-
thuͤmer der Goͤtter herum, welche eine Beute der
Griechen werden ſollen *); in Bangigkeit verſetzt
den
*) Virgil. Aen. 2. v. 163 ſq. Hic undique Troïsgaza
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Congeritur: Pueri et pauidae longo ordine
matres
Stant circum.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/326>, abgerufen am 28.07.2024.
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