es so groß und so fürchterlich, daß es ihm vor- kömmt, als hätte jede Kraft demselben erliegen müssen. Verkleinerung des Uebels kann daher unmöglich angenehme Gefühle in ihm hervorbrin- gen, sondern muß vielmehr durch die Beleidigung seiner Eigenliebe die Disharmonie seiner Gefühle noch vermehren. Mitleiden, Einstimmung in seine Klagen und in seine Uebertreibungen gewin- nen sein Herz, und bahnen den nachfolgenden Tröstungen den Weg.
Zerstreuungen lindern den Schmerz des Trau- rigen nicht; für ihn giebt es gar keine. Seine Traurigkeit ist stärker, als alles, was ihn von ihr abziehen will; alles, alles, was Andre zerstreut, erinnert ihn nur noch bitterer an die unglückliche Stimmung seines Herzens. Einsamkeit ist ihm am liebsten, denn da sieht und hört er doch nicht, wie in dem Kreise ruhiger und freudiger Men- schen, so gegenwärtig, was ihm fehlet und quä- let. Nur die Zeit kann ihn trösten. Denn nach und nach zerstreuen sich doch die Wolken der Trau- rigkeit etwas, und Vorstellungen von dem Gu- ten, was doch für ihn auch noch da ist, schleichen sich an sein Herz, und werden ihm ein zwar lang- sam, aber desto sichrer mildernder Balsam.
Alle Aeußerungen des Traurigen zeugen von dem lebhaften Gefühl seiner Kraftlosigkeit, seiner Niedergeschlagenheit, seiner Unempfindlichkeit für
alles
es ſo groß und ſo fuͤrchterlich, daß es ihm vor- koͤmmt, als haͤtte jede Kraft demſelben erliegen muͤſſen. Verkleinerung des Uebels kann daher unmoͤglich angenehme Gefuͤhle in ihm hervorbrin- gen, ſondern muß vielmehr durch die Beleidigung ſeiner Eigenliebe die Disharmonie ſeiner Gefuͤhle noch vermehren. Mitleiden, Einſtimmung in ſeine Klagen und in ſeine Uebertreibungen gewin- nen ſein Herz, und bahnen den nachfolgenden Troͤſtungen den Weg.
Zerſtreuungen lindern den Schmerz des Trau- rigen nicht; fuͤr ihn giebt es gar keine. Seine Traurigkeit iſt ſtaͤrker, als alles, was ihn von ihr abziehen will; alles, alles, was Andre zerſtreut, erinnert ihn nur noch bitterer an die ungluͤckliche Stimmung ſeines Herzens. Einſamkeit iſt ihm am liebſten, denn da ſieht und hoͤrt er doch nicht, wie in dem Kreiſe ruhiger und freudiger Men- ſchen, ſo gegenwaͤrtig, was ihm fehlet und quaͤ- let. Nur die Zeit kann ihn troͤſten. Denn nach und nach zerſtreuen ſich doch die Wolken der Trau- rigkeit etwas, und Vorſtellungen von dem Gu- ten, was doch fuͤr ihn auch noch da iſt, ſchleichen ſich an ſein Herz, und werden ihm ein zwar lang- ſam, aber deſto ſichrer mildernder Balſam.
Alle Aeußerungen des Traurigen zeugen von dem lebhaften Gefuͤhl ſeiner Kraftloſigkeit, ſeiner Niedergeſchlagenheit, ſeiner Unempfindlichkeit fuͤr
alles
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es ſo groß und ſo fuͤrchterlich, daß es ihm vor-
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muͤſſen. Verkleinerung des Uebels kann daher
unmoͤglich angenehme Gefuͤhle in ihm hervorbrin-
gen, ſondern muß vielmehr durch die Beleidigung
ſeiner Eigenliebe die Disharmonie ſeiner Gefuͤhle
noch vermehren. Mitleiden, Einſtimmung in
ſeine Klagen und in ſeine Uebertreibungen gewin-
nen ſein Herz, und bahnen den nachfolgenden
Troͤſtungen den Weg.
Zerſtreuungen lindern den Schmerz des Trau-
rigen nicht; fuͤr ihn giebt es gar keine. Seine
Traurigkeit iſt ſtaͤrker, als alles, was ihn von ihr
abziehen will; alles, alles, was Andre zerſtreut,
erinnert ihn nur noch bitterer an die ungluͤckliche
Stimmung ſeines Herzens. Einſamkeit iſt ihm
am liebſten, denn da ſieht und hoͤrt er doch nicht,
wie in dem Kreiſe ruhiger und freudiger Men-
ſchen, ſo gegenwaͤrtig, was ihm fehlet und quaͤ-
let. Nur die Zeit kann ihn troͤſten. Denn nach
und nach zerſtreuen ſich doch die Wolken der Trau-
rigkeit etwas, und Vorſtellungen von dem Gu-
ten, was doch fuͤr ihn auch noch da iſt, ſchleichen
ſich an ſein Herz, und werden ihm ein zwar lang-
ſam, aber deſto ſichrer mildernder Balſam.
Alle Aeußerungen des Traurigen zeugen von
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/321>, abgerufen am 22.11.2024.
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