Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

per, wenigstens das Blut, nimmt Theil an dem
freyen Spiele der Gemüthskräfte. "Das Ge-
sicht ist in allen seinen Theilen offen und frey, die
Stirne heiter und ausgeglättet; das Haupt
schwillt sanft aus den Schultern empor; in dem
sprechenden Auge sieht man den ganzen Rand
des lichtvollern Apfels; der Mund zeigt das lieb-
liche semihians labellum des kleinen catullischen
Torquats; der Körper ist von den Händen unbe-
deckt; der Gang sich hebend und munter; Leich-
tigkeit, Geschmeidigkeit, Gebundenheit, mit Ei-
nem Worte: Grazie herrscht in den Bewegungen
aller Glieder."*) Kein Gedanke an Leiden und
Unglück, kein Gefühl von Einschränkung und
Abhängigkeit in dem Herzen des Freudigen; und,
wenn auch der ruhige Zuschauer manche Mängel
seines Zustandes bemerkt, ihm selbst vergegen-
wärtigen sie sich entweder gar nicht, oder so, daß
sie in ihm zu einer neuen Quelle angenehmer Ge-
fühle werden**).

Je mehr alles, was in und an dem Men-
schen ist, in seine angenehmen Gefühle einstimmt,
desto größer ist die Freude, die er empfindet; die

höchste
*) Engels Mimik. 1. Th. S. 245.
**) Rochefaucault sagt, wie mich dünkt, sehr richtig:
On n'auroit gueres de plaisir, si on ne se flatoit
jamais.
Man würde nie Freude haben, wenn
man sich nie schmeichelte.

per, wenigſtens das Blut, nimmt Theil an dem
freyen Spiele der Gemuͤthskraͤfte. „Das Ge-
ſicht iſt in allen ſeinen Theilen offen und frey, die
Stirne heiter und ausgeglaͤttet; das Haupt
ſchwillt ſanft aus den Schultern empor; in dem
ſprechenden Auge ſieht man den ganzen Rand
des lichtvollern Apfels; der Mund zeigt das lieb-
liche ſemihians labellum des kleinen catulliſchen
Torquats; der Koͤrper iſt von den Haͤnden unbe-
deckt; der Gang ſich hebend und munter; Leich-
tigkeit, Geſchmeidigkeit, Gebundenheit, mit Ei-
nem Worte: Grazie herrſcht in den Bewegungen
aller Glieder.„*) Kein Gedanke an Leiden und
Ungluͤck, kein Gefuͤhl von Einſchraͤnkung und
Abhaͤngigkeit in dem Herzen des Freudigen; und,
wenn auch der ruhige Zuſchauer manche Maͤngel
ſeines Zuſtandes bemerkt, ihm ſelbſt vergegen-
waͤrtigen ſie ſich entweder gar nicht, oder ſo, daß
ſie in ihm zu einer neuen Quelle angenehmer Ge-
fuͤhle werden**).

Je mehr alles, was in und an dem Men-
ſchen iſt, in ſeine angenehmen Gefuͤhle einſtimmt,
deſto groͤßer iſt die Freude, die er empfindet; die

hoͤchſte
*) Engels Mimik. 1. Th. S. 245.
**) Rochefaucault ſagt, wie mich duͤnkt, ſehr richtig:
On n'auroit gueres de plaiſir, ſi on ne ſe flatoit
jamais.
Man wuͤrde nie Freude haben, wenn
man ſich nie ſchmeichelte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0314" n="598"/>
per, wenig&#x017F;tens das Blut, nimmt Theil an dem<lb/>
freyen Spiele der Gemu&#x0364;thskra&#x0364;fte. &#x201E;Das Ge-<lb/>
&#x017F;icht i&#x017F;t in allen &#x017F;einen Theilen offen und frey, die<lb/>
Stirne heiter und ausgegla&#x0364;ttet; das Haupt<lb/>
&#x017F;chwillt &#x017F;anft aus den Schultern empor; in dem<lb/>
&#x017F;prechenden Auge &#x017F;ieht man den ganzen Rand<lb/>
des lichtvollern Apfels; der Mund zeigt das lieb-<lb/>
liche <hi rendition="#aq">&#x017F;emihians labellum</hi> des kleinen catulli&#x017F;chen<lb/>
Torquats; der Ko&#x0364;rper i&#x017F;t von den Ha&#x0364;nden unbe-<lb/>
deckt; der Gang &#x017F;ich hebend und munter; Leich-<lb/>
tigkeit, Ge&#x017F;chmeidigkeit, Gebundenheit, mit Ei-<lb/>
nem Worte: Grazie herr&#x017F;cht in den Bewegungen<lb/>
aller Glieder.&#x201E;<note place="foot" n="*)">Engels Mimik. 1. Th. S. 245.</note> Kein Gedanke an Leiden und<lb/>
Unglu&#x0364;ck, kein Gefu&#x0364;hl von Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung und<lb/>
Abha&#x0364;ngigkeit in dem Herzen des Freudigen; und,<lb/>
wenn auch der ruhige Zu&#x017F;chauer manche Ma&#x0364;ngel<lb/>
&#x017F;eines Zu&#x017F;tandes bemerkt, ihm &#x017F;elb&#x017F;t vergegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigen &#x017F;ie &#x017F;ich entweder gar nicht, oder &#x017F;o, daß<lb/>
&#x017F;ie in ihm zu einer neuen Quelle angenehmer Ge-<lb/>
fu&#x0364;hle werden<note place="foot" n="**)">Rochefaucault &#x017F;agt, wie mich du&#x0364;nkt, &#x017F;ehr richtig:<lb/><hi rendition="#aq">On n'auroit gueres de plai&#x017F;ir, &#x017F;i on ne &#x017F;e flatoit<lb/>
jamais.</hi> Man wu&#x0364;rde nie Freude haben, wenn<lb/>
man &#x017F;ich nie &#x017F;chmeichelte.</note>.</p><lb/>
        <p>Je mehr alles, was in und an dem Men-<lb/>
&#x017F;chen i&#x017F;t, in &#x017F;eine angenehmen Gefu&#x0364;hle ein&#x017F;timmt,<lb/>
de&#x017F;to gro&#x0364;ßer i&#x017F;t die Freude, die er empfindet; die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ho&#x0364;ch&#x017F;te</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[598/0314] per, wenigſtens das Blut, nimmt Theil an dem freyen Spiele der Gemuͤthskraͤfte. „Das Ge- ſicht iſt in allen ſeinen Theilen offen und frey, die Stirne heiter und ausgeglaͤttet; das Haupt ſchwillt ſanft aus den Schultern empor; in dem ſprechenden Auge ſieht man den ganzen Rand des lichtvollern Apfels; der Mund zeigt das lieb- liche ſemihians labellum des kleinen catulliſchen Torquats; der Koͤrper iſt von den Haͤnden unbe- deckt; der Gang ſich hebend und munter; Leich- tigkeit, Geſchmeidigkeit, Gebundenheit, mit Ei- nem Worte: Grazie herrſcht in den Bewegungen aller Glieder.„ *) Kein Gedanke an Leiden und Ungluͤck, kein Gefuͤhl von Einſchraͤnkung und Abhaͤngigkeit in dem Herzen des Freudigen; und, wenn auch der ruhige Zuſchauer manche Maͤngel ſeines Zuſtandes bemerkt, ihm ſelbſt vergegen- waͤrtigen ſie ſich entweder gar nicht, oder ſo, daß ſie in ihm zu einer neuen Quelle angenehmer Ge- fuͤhle werden **). Je mehr alles, was in und an dem Men- ſchen iſt, in ſeine angenehmen Gefuͤhle einſtimmt, deſto groͤßer iſt die Freude, die er empfindet; die hoͤchſte *) Engels Mimik. 1. Th. S. 245. **) Rochefaucault ſagt, wie mich duͤnkt, ſehr richtig: On n'auroit gueres de plaiſir, ſi on ne ſe flatoit jamais. Man wuͤrde nie Freude haben, wenn man ſich nie ſchmeichelte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/314
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/314>, abgerufen am 22.11.2024.