lauf' ißt auf einmal mit meinem seekranken, mü- den Schiffe an die zerschmetternden Klippen! Hier ist Glück zu erwarten, wohin du dich auch verschlägst."
Und nun trinkt er das Gift, um bey Julien zu sterben.
Julie erwacht, und sieht ihren Geliebten todt neben sich, und in seiner Hand den Giftbe- cher. Auch ihr ist itzt das Leben ein Elend und der Tod eine Freude.
"Böser Mann, sagt sie, alles auszutrinken und keinen freundschaftlichen Tropfen übrig zu lassen, um mir nachzuhelfen! Jch will deine Lippen küssen; vielleicht hängt noch so viel Gift daran, als nöthig ist, mir durch ein Erquickungs- mittel den Tod zu geben."
Aber der Weg dünkt ihr zu lang: sie fürch- tet aufgehalten zu werden; drum nimmt sie den Dolch und ersticht sich*).
Keine Angst ist fürchterlicher, als die, wel- che aus dem Gewissen ins Herz dringt: keine Angst kann so leicht zur Verzweiflung und dem Wunsch der Vernichtung des Lebens führen, als diese. Wohin der von dem Bewußtseyn seiner Schuld erbleichende flieht, flieht mit ihm sein bö- ses Gewissen, versehn mit den qualvollsten Fol- tern. Fallet über mich Berge, und bedeckt mich
ihr
*) Shakesp. Romeo und Julie, letzt. Act. letzt. Auftr.
lauf' ißt auf einmal mit meinem ſeekranken, muͤ- den Schiffe an die zerſchmetternden Klippen! Hier iſt Gluͤck zu erwarten, wohin du dich auch verſchlaͤgſt.„
Und nun trinkt er das Gift, um bey Julien zu ſterben.
Julie erwacht, und ſieht ihren Geliebten todt neben ſich, und in ſeiner Hand den Giftbe- cher. Auch ihr iſt itzt das Leben ein Elend und der Tod eine Freude.
„Boͤſer Mann, ſagt ſie, alles auszutrinken und keinen freundſchaftlichen Tropfen uͤbrig zu laſſen, um mir nachzuhelfen! Jch will deine Lippen kuͤſſen; vielleicht haͤngt noch ſo viel Gift daran, als noͤthig iſt, mir durch ein Erquickungs- mittel den Tod zu geben.„
Aber der Weg duͤnkt ihr zu lang: ſie fuͤrch- tet aufgehalten zu werden; drum nimmt ſie den Dolch und erſticht ſich*).
Keine Angſt iſt fuͤrchterlicher, als die, wel- che aus dem Gewiſſen ins Herz dringt: keine Angſt kann ſo leicht zur Verzweiflung und dem Wunſch der Vernichtung des Lebens fuͤhren, als dieſe. Wohin der von dem Bewußtſeyn ſeiner Schuld erbleichende flieht, flieht mit ihm ſein boͤ- ſes Gewiſſen, verſehn mit den qualvollſten Fol- tern. Fallet uͤber mich Berge, und bedeckt mich
ihr
*) Shakeſp. Romeo und Julie, letzt. Act. letzt. Auftr.
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[315/0031]
lauf' ißt auf einmal mit meinem ſeekranken, muͤ-
den Schiffe an die zerſchmetternden Klippen!
Hier iſt Gluͤck zu erwarten, wohin du dich auch
verſchlaͤgſt.„
Und nun trinkt er das Gift, um bey Julien
zu ſterben.
Julie erwacht, und ſieht ihren Geliebten
todt neben ſich, und in ſeiner Hand den Giftbe-
cher. Auch ihr iſt itzt das Leben ein Elend und
der Tod eine Freude.
„Boͤſer Mann, ſagt ſie, alles auszutrinken
und keinen freundſchaftlichen Tropfen uͤbrig zu
laſſen, um mir nachzuhelfen! Jch will deine
Lippen kuͤſſen; vielleicht haͤngt noch ſo viel Gift
daran, als noͤthig iſt, mir durch ein Erquickungs-
mittel den Tod zu geben.„
Aber der Weg duͤnkt ihr zu lang: ſie fuͤrch-
tet aufgehalten zu werden; drum nimmt ſie den
Dolch und erſticht ſich *).
Keine Angſt iſt fuͤrchterlicher, als die, wel-
che aus dem Gewiſſen ins Herz dringt: keine
Angſt kann ſo leicht zur Verzweiflung und dem
Wunſch der Vernichtung des Lebens fuͤhren, als
dieſe. Wohin der von dem Bewußtſeyn ſeiner
Schuld erbleichende flieht, flieht mit ihm ſein boͤ-
ſes Gewiſſen, verſehn mit den qualvollſten Fol-
tern. Fallet uͤber mich Berge, und bedeckt mich
ihr
*) Shakeſp. Romeo und Julie, letzt. Act. letzt. Auftr.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/31>, abgerufen am 16.02.2025.
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