Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


zählt, so wird der, welcher jenen hört und dieses
liest, gerührt. Sein Herz fühlt jeden Ausdruck,
strömt in Liebe, Verehrung und Theilnehmung
zusammen, und übergiebt sich in diesem Augenblick
mit Freuden dem, der es rührte.

Der Enthusiasmus ruft alle Kräfte zusam-
men, um für das Gute und Große thätig zu
seyn: die Rührung zerschmelzt alle Triebe und
Kräfte, die dem Guten und Edlen entgegen sind,
folgt willig jedem Zuge desselben, wirkt ein völli-
ges Dahingeben. -- Um Enthusiasmus zu be-
wirken, muß die Vernunft den Ehrtrieb für ihr
Jnteresse gewinnen. Um Rührung hervorzubrin-
gen, die Liebe und Sympathie. Jm Enthusias-
mus regt sich Muth und stolzes Selbstgefühl.
Die Rührung macht demüthig und sanftmüthig;
der Enthusiasmus gießt Feuer und Heiterkeit ins
Auge; die Rührung Thränen und Wehmuth.

Man kann vorzüglich zwey Arten der Rüh-
rung unterscheiden, die Rührung des moralischen
Gefühls und die Rührung der Sympathie. Je-
ne entsteht, wenn irgend etwas, zum Beyspiel,
eine würdevolle Rede, eine edle Handlung, die
schöne Natur, alle Begierden der gröbern Sinn-
lichkeit unterdrücken, und die edlen und sanften
Gefühle im Herzen erwecken. Diese aber wird
hervorgebracht, wenn unverdiente Leiden oder
schuldlose Freuden unsrer Brüder in unser Herz

über-
Oo 5


zaͤhlt, ſo wird der, welcher jenen hoͤrt und dieſes
lieſt, geruͤhrt. Sein Herz fuͤhlt jeden Ausdruck,
ſtroͤmt in Liebe, Verehrung und Theilnehmung
zuſammen, und uͤbergiebt ſich in dieſem Augenblick
mit Freuden dem, der es ruͤhrte.

Der Enthuſiasmus ruft alle Kraͤfte zuſam-
men, um fuͤr das Gute und Große thaͤtig zu
ſeyn: die Ruͤhrung zerſchmelzt alle Triebe und
Kraͤfte, die dem Guten und Edlen entgegen ſind,
folgt willig jedem Zuge deſſelben, wirkt ein voͤlli-
ges Dahingeben. — Um Enthuſiasmus zu be-
wirken, muß die Vernunft den Ehrtrieb fuͤr ihr
Jntereſſe gewinnen. Um Ruͤhrung hervorzubrin-
gen, die Liebe und Sympathie. Jm Enthuſias-
mus regt ſich Muth und ſtolzes Selbſtgefuͤhl.
Die Ruͤhrung macht demuͤthig und ſanftmuͤthig;
der Enthuſiasmus gießt Feuer und Heiterkeit ins
Auge; die Ruͤhrung Thraͤnen und Wehmuth.

Man kann vorzuͤglich zwey Arten der Ruͤh-
rung unterſcheiden, die Ruͤhrung des moraliſchen
Gefuͤhls und die Ruͤhrung der Sympathie. Je-
ne entſteht, wenn irgend etwas, zum Beyſpiel,
eine wuͤrdevolle Rede, eine edle Handlung, die
ſchoͤne Natur, alle Begierden der groͤbern Sinn-
lichkeit unterdruͤcken, und die edlen und ſanften
Gefuͤhle im Herzen erwecken. Dieſe aber wird
hervorgebracht, wenn unverdiente Leiden oder
ſchuldloſe Freuden unſrer Bruͤder in unſer Herz

uͤber-
Oo 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0301" n="585"/><lb/>
za&#x0364;hlt, &#x017F;o wird der, welcher jenen ho&#x0364;rt und die&#x017F;es<lb/>
lie&#x017F;t, geru&#x0364;hrt. Sein Herz fu&#x0364;hlt jeden Ausdruck,<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;mt in Liebe, Verehrung und Theilnehmung<lb/>
zu&#x017F;ammen, und u&#x0364;bergiebt &#x017F;ich in die&#x017F;em Augenblick<lb/>
mit Freuden dem, der es ru&#x0364;hrte.</p><lb/>
        <p>Der Enthu&#x017F;iasmus ruft alle Kra&#x0364;fte zu&#x017F;am-<lb/>
men, um fu&#x0364;r das Gute und Große tha&#x0364;tig zu<lb/>
&#x017F;eyn: die Ru&#x0364;hrung zer&#x017F;chmelzt alle Triebe und<lb/>
Kra&#x0364;fte, die dem Guten und Edlen <hi rendition="#b">entgegen</hi> &#x017F;ind,<lb/>
folgt willig jedem Zuge de&#x017F;&#x017F;elben, wirkt ein vo&#x0364;lli-<lb/>
ges Dahingeben. &#x2014; Um Enthu&#x017F;iasmus zu be-<lb/>
wirken, muß die Vernunft den Ehrtrieb fu&#x0364;r ihr<lb/>
Jntere&#x017F;&#x017F;e gewinnen. Um Ru&#x0364;hrung hervorzubrin-<lb/>
gen, die Liebe und Sympathie. Jm Enthu&#x017F;ias-<lb/>
mus regt &#x017F;ich Muth und &#x017F;tolzes Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl.<lb/>
Die Ru&#x0364;hrung macht demu&#x0364;thig und &#x017F;anftmu&#x0364;thig;<lb/>
der Enthu&#x017F;iasmus gießt Feuer und Heiterkeit ins<lb/>
Auge; die Ru&#x0364;hrung Thra&#x0364;nen und Wehmuth.</p><lb/>
        <p>Man kann vorzu&#x0364;glich zwey Arten der Ru&#x0364;h-<lb/>
rung unter&#x017F;cheiden, die Ru&#x0364;hrung des morali&#x017F;chen<lb/>
Gefu&#x0364;hls und die Ru&#x0364;hrung der Sympathie. Je-<lb/>
ne ent&#x017F;teht, wenn irgend etwas, zum Bey&#x017F;piel,<lb/>
eine wu&#x0364;rdevolle Rede, eine edle Handlung, die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ne Natur, alle Begierden der gro&#x0364;bern Sinn-<lb/>
lichkeit unterdru&#x0364;cken, und die edlen und &#x017F;anften<lb/>
Gefu&#x0364;hle im Herzen erwecken. Die&#x017F;e aber wird<lb/>
hervorgebracht, wenn unverdiente Leiden oder<lb/>
&#x017F;chuldlo&#x017F;e Freuden un&#x017F;rer Bru&#x0364;der in un&#x017F;er Herz<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Oo 5</fw><fw place="bottom" type="catch">u&#x0364;ber-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[585/0301] zaͤhlt, ſo wird der, welcher jenen hoͤrt und dieſes lieſt, geruͤhrt. Sein Herz fuͤhlt jeden Ausdruck, ſtroͤmt in Liebe, Verehrung und Theilnehmung zuſammen, und uͤbergiebt ſich in dieſem Augenblick mit Freuden dem, der es ruͤhrte. Der Enthuſiasmus ruft alle Kraͤfte zuſam- men, um fuͤr das Gute und Große thaͤtig zu ſeyn: die Ruͤhrung zerſchmelzt alle Triebe und Kraͤfte, die dem Guten und Edlen entgegen ſind, folgt willig jedem Zuge deſſelben, wirkt ein voͤlli- ges Dahingeben. — Um Enthuſiasmus zu be- wirken, muß die Vernunft den Ehrtrieb fuͤr ihr Jntereſſe gewinnen. Um Ruͤhrung hervorzubrin- gen, die Liebe und Sympathie. Jm Enthuſias- mus regt ſich Muth und ſtolzes Selbſtgefuͤhl. Die Ruͤhrung macht demuͤthig und ſanftmuͤthig; der Enthuſiasmus gießt Feuer und Heiterkeit ins Auge; die Ruͤhrung Thraͤnen und Wehmuth. Man kann vorzuͤglich zwey Arten der Ruͤh- rung unterſcheiden, die Ruͤhrung des moraliſchen Gefuͤhls und die Ruͤhrung der Sympathie. Je- ne entſteht, wenn irgend etwas, zum Beyſpiel, eine wuͤrdevolle Rede, eine edle Handlung, die ſchoͤne Natur, alle Begierden der groͤbern Sinn- lichkeit unterdruͤcken, und die edlen und ſanften Gefuͤhle im Herzen erwecken. Dieſe aber wird hervorgebracht, wenn unverdiente Leiden oder ſchuldloſe Freuden unſrer Bruͤder in unſer Herz uͤber- Oo 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/301
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/301>, abgerufen am 25.11.2024.