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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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fen und zu zerreißen drohen; dann färben sich die
Vorstellungen der Phantasie mit der Trauerfarbe
des Herzens, und die Vergangenheit und Zu-
kunft erhält den düstern Anstrich der gegenwärti-
gen Momente. Man sieht seines Leidens kein
Ende, und stellt sich die genoßnen Freuden im
Verhältniß gegen das gegenwärtige Elend als gar
nicht zu achtende vor. Dann kömmt einem jeder
Zustand, ja selbst die Vernichtung erträglicher
vor; denn man meynt, es könne doch wenigstens
nicht elender werden.

Gekränkte Liebe und verletzte Ehre geben am
leichtesten dem Leben eine so finstre Ansicht, welche
nichts als Elend in demselben erwarten läßt.
Denn Liebe und Ehrbegierde sind diejenigen Leiden-
schaften, welche das Herz am meisten interessi-
ren, die ganze Seele des Menschen einnehmen,
und sich als die einzigen Gründe der Glückseligkeit
vorstellen. Wenn also diese zerstört werden, so
kann leicht die Freude am Leben vergehen, und
das Ende desselben angenehm scheinen. Cato
von Utika
kannte kein größeres Gut, als repu-
blikanische Freyheit, und kein schrecklichers Uebel
als Cäsars Oberherrschaft. Die Freyheit ging
unter; und Cäsar ward Sieger. Cato ent-
schloß sich also zum Selbstmord, weil ihm das
einzige Gut seines Lebens, die Nahrung seines
republikanischen Stolzes entrissen, und das größte

Uebel
U 5

fen und zu zerreißen drohen; dann faͤrben ſich die
Vorſtellungen der Phantaſie mit der Trauerfarbe
des Herzens, und die Vergangenheit und Zu-
kunft erhaͤlt den duͤſtern Anſtrich der gegenwaͤrti-
gen Momente. Man ſieht ſeines Leidens kein
Ende, und ſtellt ſich die genoßnen Freuden im
Verhaͤltniß gegen das gegenwaͤrtige Elend als gar
nicht zu achtende vor. Dann koͤmmt einem jeder
Zuſtand, ja ſelbſt die Vernichtung ertraͤglicher
vor; denn man meynt, es koͤnne doch wenigſtens
nicht elender werden.

Gekraͤnkte Liebe und verletzte Ehre geben am
leichteſten dem Leben eine ſo finſtre Anſicht, welche
nichts als Elend in demſelben erwarten laͤßt.
Denn Liebe und Ehrbegierde ſind diejenigen Leiden-
ſchaften, welche das Herz am meiſten intereſſi-
ren, die ganze Seele des Menſchen einnehmen,
und ſich als die einzigen Gruͤnde der Gluͤckſeligkeit
vorſtellen. Wenn alſo dieſe zerſtoͤrt werden, ſo
kann leicht die Freude am Leben vergehen, und
das Ende deſſelben angenehm ſcheinen. Cato
von Utika
kannte kein groͤßeres Gut, als repu-
blikaniſche Freyheit, und kein ſchrecklichers Uebel
als Caͤſars Oberherrſchaft. Die Freyheit ging
unter; und Caͤſar ward Sieger. Cato ent-
ſchloß ſich alſo zum Selbſtmord, weil ihm das
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[313/0029] fen und zu zerreißen drohen; dann faͤrben ſich die Vorſtellungen der Phantaſie mit der Trauerfarbe des Herzens, und die Vergangenheit und Zu- kunft erhaͤlt den duͤſtern Anſtrich der gegenwaͤrti- gen Momente. Man ſieht ſeines Leidens kein Ende, und ſtellt ſich die genoßnen Freuden im Verhaͤltniß gegen das gegenwaͤrtige Elend als gar nicht zu achtende vor. Dann koͤmmt einem jeder Zuſtand, ja ſelbſt die Vernichtung ertraͤglicher vor; denn man meynt, es koͤnne doch wenigſtens nicht elender werden. Gekraͤnkte Liebe und verletzte Ehre geben am leichteſten dem Leben eine ſo finſtre Anſicht, welche nichts als Elend in demſelben erwarten laͤßt. Denn Liebe und Ehrbegierde ſind diejenigen Leiden- ſchaften, welche das Herz am meiſten intereſſi- ren, die ganze Seele des Menſchen einnehmen, und ſich als die einzigen Gruͤnde der Gluͤckſeligkeit vorſtellen. Wenn alſo dieſe zerſtoͤrt werden, ſo kann leicht die Freude am Leben vergehen, und das Ende deſſelben angenehm ſcheinen. Cato von Utika kannte kein groͤßeres Gut, als repu- blikaniſche Freyheit, und kein ſchrecklichers Uebel als Caͤſars Oberherrſchaft. Die Freyheit ging unter; und Caͤſar ward Sieger. Cato ent- ſchloß ſich alſo zum Selbſtmord, weil ihm das einzige Gut ſeines Lebens, die Nahrung ſeines republikaniſchen Stolzes entriſſen, und das groͤßte Uebel U 5

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/29>, abgerufen am 25.11.2024.