schwingen könnten; zu kalt, um das Göttliche zu fühlen, zu schwach, es zu erreichen.
Eyfersucht schleicht sich sehr leicht in das Herz des Liebenden. Er will ganz allein im Besitz und Genuß des geliebten Gegenstandes seyn, und fürchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be- wegung, Einschränkung seines Besitzes, Störung seines Genusses. Ein deutlicher Beweis, wie mich dünkt, daß der Liebe das edle Selbstgefühl, der feste Glaube an sich selbst, welche mit einer edlen Seele unzertrennlich verbunden sind, fehlen. Liebe, möchte ich daher sagen, entsteht aus dem Gefühl selbsteigner Schwäche und Unvollkommen- heit. Der Liebende muß sich mit etwas verein- baren, wenn er sich als Etwas fühlen soll: er ist, wie das Zero (Nulle), das für sich keinen Werth hat, sondern denselben erst durch eine mit ihm verbundene andere Zahl erhält. Daher vergißt auch der Liebende sich selbst ganz, und, indem Freunde ihr Herz mit einander theilen, giebt je- ner sein ganzes Herz dem Geliebten. Wenn er nur Hofnung hat, diesen durch Etwas sich näher zu bringen, und fester an sich zu schließen, dann hat er keine Pflichten mehr gegen sich selbst. Er vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und Bequemlichkeit bedarf, berechnet seine Einnahme
und
ſchwingen koͤnnten; zu kalt, um das Goͤttliche zu fuͤhlen, zu ſchwach, es zu erreichen.
Eyferſucht ſchleicht ſich ſehr leicht in das Herz des Liebenden. Er will ganz allein im Beſitz und Genuß des geliebten Gegenſtandes ſeyn, und fuͤrchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be- wegung, Einſchraͤnkung ſeines Beſitzes, Stoͤrung ſeines Genuſſes. Ein deutlicher Beweis, wie mich duͤnkt, daß der Liebe das edle Selbſtgefuͤhl, der feſte Glaube an ſich ſelbſt, welche mit einer edlen Seele unzertrennlich verbunden ſind, fehlen. Liebe, moͤchte ich daher ſagen, entſteht aus dem Gefuͤhl ſelbſteigner Schwaͤche und Unvollkommen- heit. Der Liebende muß ſich mit etwas verein- baren, wenn er ſich als Etwas fuͤhlen ſoll: er iſt, wie das Zero (Nulle), das fuͤr ſich keinen Werth hat, ſondern denſelben erſt durch eine mit ihm verbundene andere Zahl erhaͤlt. Daher vergißt auch der Liebende ſich ſelbſt ganz, und, indem Freunde ihr Herz mit einander theilen, giebt je- ner ſein ganzes Herz dem Geliebten. Wenn er nur Hofnung hat, dieſen durch Etwas ſich naͤher zu bringen, und feſter an ſich zu ſchließen, dann hat er keine Pflichten mehr gegen ſich ſelbſt. Er vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und Bequemlichkeit bedarf, berechnet ſeine Einnahme
und
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ſchwingen koͤnnten; zu kalt, um das Goͤttliche zu
fuͤhlen, zu ſchwach, es zu erreichen.
Eyferſucht ſchleicht ſich ſehr leicht in das Herz
des Liebenden. Er will ganz allein im Beſitz und
Genuß des geliebten Gegenſtandes ſeyn, und
fuͤrchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be-
wegung, Einſchraͤnkung ſeines Beſitzes, Stoͤrung
ſeines Genuſſes. Ein deutlicher Beweis, wie
mich duͤnkt, daß der Liebe das edle Selbſtgefuͤhl,
der feſte Glaube an ſich ſelbſt, welche mit einer
edlen Seele unzertrennlich verbunden ſind, fehlen.
Liebe, moͤchte ich daher ſagen, entſteht aus dem
Gefuͤhl ſelbſteigner Schwaͤche und Unvollkommen-
heit. Der Liebende muß ſich mit etwas verein-
baren, wenn er ſich als Etwas fuͤhlen ſoll: er iſt,
wie das Zero (Nulle), das fuͤr ſich keinen Werth
hat, ſondern denſelben erſt durch eine mit ihm
verbundene andere Zahl erhaͤlt. Daher vergißt
auch der Liebende ſich ſelbſt ganz, und, indem
Freunde ihr Herz mit einander theilen, giebt je-
ner ſein ganzes Herz dem Geliebten. Wenn er
nur Hofnung hat, dieſen durch Etwas ſich naͤher
zu bringen, und feſter an ſich zu ſchließen, dann
hat er keine Pflichten mehr gegen ſich ſelbſt. Er
vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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