Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Andere; aber darum ist auch das Band der
Freundschaft für die Ewigkeit gewebt, das Band
der Liebe nur für Monden und Jahre. Freund-
schaft ist ganz Zutrauen; keine Verläumdung, kei-
ne Verkleinerung schadet dem Freunde in dem Her-
zen des Freundes; er verachtet den Verläumder,
und fährt fort, den Freund zu lieben. Aber die
Liebe ist mißtrauisch, und kann in ihrem Gefolge
das schwärzeste aller Ungeheuer, die Eyfersucht
leiden. Freundschaft ist tolerant, aber eine frey-
müthige, wenn gleich liebreiche Erzieherin des
Freundes: Liebe ist blind gegen die Unvollkommen-

heiten
mit gar nicht geleugnet haben, daß auch unter An-
dern Verbindungen, ja recht feste Verbindungen
möglich sind. Aber nicht gute können denn doch
nur sich, nicht ihre Herzen verbinden. Denn
auch der, welcher selbst böse ist, ja dieser noch mehr,
wie der Gute, muß Mißtrauen in den, der ihm
gleich ist, setzen, weil er aus eigner Erfahrung
weiß, daß der, welcher einmal von der Bahn des
Guten abwich, sich Stürmen aussetzt, die ihn bald
hier, bald dahin verschlagen. Voltaire sagt, wie
mich dünkt, sehr richtig: Les mechants n'ont, que
des complices, les voluptueux ont des compagnons
de debauche
, les gens interesses ont des associes,
les politiques assemblent des factieux, les princes
ont des courtisans, les hommes vertueux sont
les seuls, qui aient des amis." Diction. philo-
soph. article Amitie.
Mm 3

Andere; aber darum iſt auch das Band der
Freundſchaft fuͤr die Ewigkeit gewebt, das Band
der Liebe nur fuͤr Monden und Jahre. Freund-
ſchaft iſt ganz Zutrauen; keine Verlaͤumdung, kei-
ne Verkleinerung ſchadet dem Freunde in dem Her-
zen des Freundes; er verachtet den Verlaͤumder,
und faͤhrt fort, den Freund zu lieben. Aber die
Liebe iſt mißtrauiſch, und kann in ihrem Gefolge
das ſchwaͤrzeſte aller Ungeheuer, die Eyferſucht
leiden. Freundſchaft iſt tolerant, aber eine frey-
muͤthige, wenn gleich liebreiche Erzieherin des
Freundes: Liebe iſt blind gegen die Unvollkommen-

heiten
mit gar nicht geleugnet haben, daß auch unter An-
dern Verbindungen, ja recht feſte Verbindungen
moͤglich ſind. Aber nicht gute koͤnnen denn doch
nur ſich, nicht ihre Herzen verbinden. Denn
auch der, welcher ſelbſt boͤſe iſt, ja dieſer noch mehr,
wie der Gute, muß Mißtrauen in den, der ihm
gleich iſt, ſetzen, weil er aus eigner Erfahrung
weiß, daß der, welcher einmal von der Bahn des
Guten abwich, ſich Stuͤrmen ausſetzt, die ihn bald
hier, bald dahin verſchlagen. Voltaire ſagt, wie
mich duͤnkt, ſehr richtig: Les mechants n'ont, que
des complices, les voluptueux ont des compagnons
de debauche
, les gens intereſſés ont des aſſociés,
les politiques aſſemblent des factieux, les princes
ont des courtiſans, les hommes vertueux ſont
les ſeuls, qui aient des amis.„ Diction. philo-
ſoph. article Amitié.
Mm 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="549"/>
Andere; aber darum i&#x017F;t auch das Band der<lb/>
Freund&#x017F;chaft fu&#x0364;r die Ewigkeit gewebt, das Band<lb/>
der Liebe nur fu&#x0364;r Monden und Jahre. Freund-<lb/>
&#x017F;chaft i&#x017F;t ganz Zutrauen; keine Verla&#x0364;umdung, kei-<lb/>
ne Verkleinerung &#x017F;chadet dem Freunde in dem Her-<lb/>
zen des Freundes; er verachtet den Verla&#x0364;umder,<lb/>
und fa&#x0364;hrt fort, den Freund zu lieben. Aber die<lb/>
Liebe i&#x017F;t mißtraui&#x017F;ch, und kann in ihrem Gefolge<lb/>
das &#x017F;chwa&#x0364;rze&#x017F;te aller Ungeheuer, die <hi rendition="#b">Eyfer&#x017F;ucht</hi><lb/>
leiden. Freund&#x017F;chaft i&#x017F;t tolerant, aber eine frey-<lb/>
mu&#x0364;thige, wenn gleich liebreiche Erzieherin des<lb/>
Freundes: Liebe i&#x017F;t blind gegen die Unvollkommen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Mm 3</fw><fw place="bottom" type="catch">heiten</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_22_2" prev="#seg2pn_22_1" place="foot" n="*)">mit gar nicht geleugnet haben, daß auch unter An-<lb/>
dern Verbindungen, ja recht fe&#x017F;te Verbindungen<lb/>
mo&#x0364;glich &#x017F;ind. Aber <hi rendition="#fr">nicht gute</hi> ko&#x0364;nnen denn doch<lb/>
nur <hi rendition="#fr">&#x017F;ich</hi>, nicht ihre <hi rendition="#fr">Herzen</hi> verbinden. Denn<lb/>
auch der, welcher &#x017F;elb&#x017F;t bo&#x0364;&#x017F;e i&#x017F;t, ja die&#x017F;er noch mehr,<lb/>
wie der Gute, muß Mißtrauen in den, der ihm<lb/>
gleich i&#x017F;t, &#x017F;etzen, weil er aus eigner Erfahrung<lb/>
weiß, daß der, welcher einmal von der Bahn des<lb/>
Guten abwich, &#x017F;ich Stu&#x0364;rmen aus&#x017F;etzt, die ihn bald<lb/>
hier, bald dahin ver&#x017F;chlagen. Voltaire &#x017F;agt, wie<lb/>
mich du&#x0364;nkt, &#x017F;ehr richtig: <hi rendition="#aq">Les <hi rendition="#i">mechants</hi> n'ont, que<lb/>
des <hi rendition="#i">complices</hi>, les <hi rendition="#i">voluptueux</hi> ont des <hi rendition="#i">compagnons<lb/>
de debauche</hi>, les <hi rendition="#i">gens intere&#x017F;&#x017F;és</hi> ont des <hi rendition="#i">a&#x017F;&#x017F;ociés</hi>,<lb/>
les <hi rendition="#i">politiques</hi> a&#x017F;&#x017F;emblent des <hi rendition="#i">factieux</hi>, les <hi rendition="#i">princes</hi><lb/>
ont des <hi rendition="#i">courti&#x017F;ans</hi>, les <hi rendition="#i">hommes vertueux</hi> &#x017F;ont<lb/>
les &#x017F;euls, qui aient des <hi rendition="#i">amis</hi>.&#x201E; Diction. philo-<lb/>
&#x017F;oph. article Amitié.</hi></note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[549/0265] Andere; aber darum iſt auch das Band der Freundſchaft fuͤr die Ewigkeit gewebt, das Band der Liebe nur fuͤr Monden und Jahre. Freund- ſchaft iſt ganz Zutrauen; keine Verlaͤumdung, kei- ne Verkleinerung ſchadet dem Freunde in dem Her- zen des Freundes; er verachtet den Verlaͤumder, und faͤhrt fort, den Freund zu lieben. Aber die Liebe iſt mißtrauiſch, und kann in ihrem Gefolge das ſchwaͤrzeſte aller Ungeheuer, die Eyferſucht leiden. Freundſchaft iſt tolerant, aber eine frey- muͤthige, wenn gleich liebreiche Erzieherin des Freundes: Liebe iſt blind gegen die Unvollkommen- heiten *) *) mit gar nicht geleugnet haben, daß auch unter An- dern Verbindungen, ja recht feſte Verbindungen moͤglich ſind. Aber nicht gute koͤnnen denn doch nur ſich, nicht ihre Herzen verbinden. Denn auch der, welcher ſelbſt boͤſe iſt, ja dieſer noch mehr, wie der Gute, muß Mißtrauen in den, der ihm gleich iſt, ſetzen, weil er aus eigner Erfahrung weiß, daß der, welcher einmal von der Bahn des Guten abwich, ſich Stuͤrmen ausſetzt, die ihn bald hier, bald dahin verſchlagen. Voltaire ſagt, wie mich duͤnkt, ſehr richtig: Les mechants n'ont, que des complices, les voluptueux ont des compagnons de debauche, les gens intereſſés ont des aſſociés, les politiques aſſemblent des factieux, les princes ont des courtiſans, les hommes vertueux ſont les ſeuls, qui aient des amis.„ Diction. philo- ſoph. article Amitié. Mm 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/265
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/265>, abgerufen am 22.11.2024.