glücklichen Freund trauert, ob es wohl wünschte, daß Eurem Freunde das Unglück, das Euer Mit- leid erregte, nicht begegnet sey? -- O! Jhr würdet vielleicht die Rettung Eures Freundes mit allen Euren Gütern erkaufen; aber eben darum kann Euer Herz nicht wünschen, daß ihn das Unglück gar nicht betroffen habe, weil Euch sonst die Freude nicht geworden wäre, Eurem Freun- de zu beweisen, daß Jhr ihn liebet und Eure Freundschaft ihm nicht ganz unnütz sey. --
Aber auch dieses Gefühl, das das menschli- che Herz adelt, und, von Rousseau*) mit Recht, die Quelle aller menschlichen Tugenden genannt wird, kann geschwächt und erstickt werden.
Außer den objektiven Ursachen der Verminde- rung oder Aufhebung des Mitgefühls, die im Vo- rigen schon genannt sind, und auch eigentlich hie- her nicht gehören, nenne ich hier nur Rohheit und Unempfindlichkeit, und die selbstischen und feind- seligen Leidenschaften.
Wer einzig für die Befriedigung seiner gro- ben, sinnlichen Begierden lebt, und durch Bil- dung seines Herzens den natürlichen Anlagen gar
nicht
*)Discours sur l'origine & les fondemens de l'in- egalite parmi les hommes. Premiere partie. S. 91. f. und besonders S. 94. Zweybrücker Ausgabe.
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gluͤcklichen Freund trauert, ob es wohl wuͤnſchte, daß Eurem Freunde das Ungluͤck, das Euer Mit- leid erregte, nicht begegnet ſey? — O! Jhr wuͤrdet vielleicht die Rettung Eures Freundes mit allen Euren Guͤtern erkaufen; aber eben darum kann Euer Herz nicht wuͤnſchen, daß ihn das Ungluͤck gar nicht betroffen habe, weil Euch ſonſt die Freude nicht geworden waͤre, Eurem Freun- de zu beweiſen, daß Jhr ihn liebet und Eure Freundſchaft ihm nicht ganz unnuͤtz ſey. —
Aber auch dieſes Gefuͤhl, das das menſchli- che Herz adelt, und, von Rouſſeau*) mit Recht, die Quelle aller menſchlichen Tugenden genannt wird, kann geſchwaͤcht und erſtickt werden.
Außer den objektiven Urſachen der Verminde- rung oder Aufhebung des Mitgefuͤhls, die im Vo- rigen ſchon genannt ſind, und auch eigentlich hie- her nicht gehoͤren, nenne ich hier nur Rohheit und Unempfindlichkeit, und die ſelbſtiſchen und feind- ſeligen Leidenſchaften.
Wer einzig fuͤr die Befriedigung ſeiner gro- ben, ſinnlichen Begierden lebt, und durch Bil- dung ſeines Herzens den natuͤrlichen Anlagen gar
nicht
*)Diſcours ſur l'origine & les fondemens de l'in- egalité parmi les hommes. Premiere partie. S. 91. f. und beſonders S. 94. Zweybruͤcker Ausgabe.
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gluͤcklichen Freund trauert, ob es wohl wuͤnſchte,
daß Eurem Freunde das Ungluͤck, das Euer Mit-
leid erregte, nicht begegnet ſey? — O! Jhr
wuͤrdet vielleicht die Rettung Eures Freundes mit
allen Euren Guͤtern erkaufen; aber eben darum
kann Euer Herz nicht wuͤnſchen, daß ihn das
Ungluͤck gar nicht betroffen habe, weil Euch ſonſt
die Freude nicht geworden waͤre, Eurem Freun-
de zu beweiſen, daß Jhr ihn liebet und Eure
Freundſchaft ihm nicht ganz unnuͤtz ſey. —
Aber auch dieſes Gefuͤhl, das das menſchli-
che Herz adelt, und, von Rouſſeau *) mit
Recht, die Quelle aller menſchlichen Tugenden
genannt wird, kann geſchwaͤcht und erſtickt
werden.
Außer den objektiven Urſachen der Verminde-
rung oder Aufhebung des Mitgefuͤhls, die im Vo-
rigen ſchon genannt ſind, und auch eigentlich hie-
her nicht gehoͤren, nenne ich hier nur Rohheit und
Unempfindlichkeit, und die ſelbſtiſchen und feind-
ſeligen Leidenſchaften.
Wer einzig fuͤr die Befriedigung ſeiner gro-
ben, ſinnlichen Begierden lebt, und durch Bil-
dung ſeines Herzens den natuͤrlichen Anlagen gar
nicht
*) Diſcours ſur l'origine & les fondemens de l'in-
egalité parmi les hommes. Premiere partie. S.
91. f. und beſonders S. 94. Zweybruͤcker Ausgabe.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/245>, abgerufen am 27.07.2024.
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