Es durstet meine Seele hin nach Gott, Nach dem lebend'gen Gott: Wenn werd' ich wieder kommen Und Gottes Antlitz schaun! Längst waren meine Thränen mir Morgen- und Abendbrodt; Da Tag für Tag man zu mir sprach: Wo hilft dir nun dein Gott? Da dacht' ich denn (und floß in Thränen über) Wie ich einst auch zu Gottes Tempel ging, Mitging im Haufen Jubelnder, Danksingender, im lauten, tanzenden Chor*).
So wie das Leiden um so stärker zum Mit- gefühl auffordert, je weniger Andere, besonders heterogene, Gefühle der Anblick desselben hervor- bringt; so auch die Freude. Wenn man in den Aeußerungen derselben nur herzliche und reine Freude liest, freut man sich gewiß mit; so wie im Gegentheil die Mitfreude unterdrückt wird, wenn die Aeußerungen des freudigen von Gefüh- len und Gesinnungen zeugen, die dem Herzen des sympathisirenden nicht gefallen, und also, durch die unangenehmen Empfindungen, welche sie erwecken, der Freude den Eingang in die See- le versperren.
Mit der übermüthigen, ausgelassenen, un- edlen Freude sympathisirt man nicht; aber wer
freut
*) Der 42. Psalm.
Es durſtet meine Seele hin nach Gott, Nach dem lebend'gen Gott: Wenn werd' ich wieder kommen Und Gottes Antlitz ſchaun! Laͤngſt waren meine Thraͤnen mir Morgen- und Abendbrodt; Da Tag fuͤr Tag man zu mir ſprach: Wo hilft dir nun dein Gott? Da dacht' ich denn (und floß in Thraͤnen uͤber) Wie ich einſt auch zu Gottes Tempel ging, Mitging im Haufen Jubelnder, Dankſingender, im lauten, tanzenden Chor*).
So wie das Leiden um ſo ſtaͤrker zum Mit- gefuͤhl auffordert, je weniger Andere, beſonders heterogene, Gefuͤhle der Anblick deſſelben hervor- bringt; ſo auch die Freude. Wenn man in den Aeußerungen derſelben nur herzliche und reine Freude lieſt, freut man ſich gewiß mit; ſo wie im Gegentheil die Mitfreude unterdruͤckt wird, wenn die Aeußerungen des freudigen von Gefuͤh- len und Geſinnungen zeugen, die dem Herzen des ſympathiſirenden nicht gefallen, und alſo, durch die unangenehmen Empfindungen, welche ſie erwecken, der Freude den Eingang in die See- le verſperren.
Mit der uͤbermuͤthigen, ausgelaſſenen, un- edlen Freude ſympathiſirt man nicht; aber wer
freut
*) Der 42. Pſalm.
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Es durſtet meine Seele hin nach Gott,
Nach dem lebend'gen Gott:
Wenn werd' ich wieder kommen
Und Gottes Antlitz ſchaun!
Laͤngſt waren meine Thraͤnen mir
Morgen- und Abendbrodt;
Da Tag fuͤr Tag man zu mir ſprach:
Wo hilft dir nun dein Gott?
Da dacht' ich denn (und floß in Thraͤnen uͤber)
Wie ich einſt auch zu Gottes Tempel ging,
Mitging im Haufen Jubelnder,
Dankſingender, im lauten, tanzenden Chor *).
So wie das Leiden um ſo ſtaͤrker zum Mit-
gefuͤhl auffordert, je weniger Andere, beſonders
heterogene, Gefuͤhle der Anblick deſſelben hervor-
bringt; ſo auch die Freude. Wenn man in den
Aeußerungen derſelben nur herzliche und reine
Freude lieſt, freut man ſich gewiß mit; ſo wie
im Gegentheil die Mitfreude unterdruͤckt wird,
wenn die Aeußerungen des freudigen von Gefuͤh-
len und Geſinnungen zeugen, die dem Herzen
des ſympathiſirenden nicht gefallen, und alſo,
durch die unangenehmen Empfindungen, welche
ſie erwecken, der Freude den Eingang in die See-
le verſperren.
Mit der uͤbermuͤthigen, ausgelaſſenen, un-
edlen Freude ſympathiſirt man nicht; aber wer
freut
*) Der 42. Pſalm.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/243>, abgerufen am 23.11.2024.
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