das, was andre Menschen afficirt, und kennt kein andres Gut, als das geistige und moralische.
Selbstliebe ist es, welche den Schwärmer treibt, seinen Leib zu quälen, und ihn den här- testen Kasteiungen zu unterwerfen, denn er hoft dadurch sich zu heiligen und den Himmel zu ver- dienen, welches er höher schätzt, als alles, was seiner irdischen Sinnlichkeit angenehm ist.
Was konnte auch die Natur wohl schicklicher zur Hauptfeder des Begehrungsvermögens wäh- len, als diesen Trieb, sich zu erhalten, sich in einem angenehmen Zustand zu erhalten? Laßt uns nur nicht vor einem Namen, dem der Miß- brauch eine gehässige Bedeutung untergeschoben hat, erschrecken, und der Natur den Vorwurf machen, daß sie ihrem Hauptzweck, Menschen an Menschen zu schließen, entgegen gehandelt habe; indem sie die Liebe zum Jch zur Bewegerin des Willens gemacht hat. Wer dies tadeln will, tadelt die Natur in ihrer weisesten Einrichtung. Denn wodurch konnte sie wohl jenen Zweck besser erreichen, als dadurch, daß sie einen Menschen von dem andern empfinden ließ, daß sie das Wohl- befinden der Menschen so innig verwebte?
Folgt nur den Befehlen und Einrichtungen der Natur, legt nur ihre Meynung nicht falsch aus! dann werdet ihr einsehn, daß die natür- liche Selbstliebe euch treibt, auch eure Brüder
zu
das, was andre Menſchen afficirt, und kennt kein andres Gut, als das geiſtige und moraliſche.
Selbſtliebe iſt es, welche den Schwaͤrmer treibt, ſeinen Leib zu quaͤlen, und ihn den haͤr- teſten Kaſteiungen zu unterwerfen, denn er hoft dadurch ſich zu heiligen und den Himmel zu ver- dienen, welches er hoͤher ſchaͤtzt, als alles, was ſeiner irdiſchen Sinnlichkeit angenehm iſt.
Was konnte auch die Natur wohl ſchicklicher zur Hauptfeder des Begehrungsvermoͤgens waͤh- len, als dieſen Trieb, ſich zu erhalten, ſich in einem angenehmen Zuſtand zu erhalten? Laßt uns nur nicht vor einem Namen, dem der Miß- brauch eine gehaͤſſige Bedeutung untergeſchoben hat, erſchrecken, und der Natur den Vorwurf machen, daß ſie ihrem Hauptzweck, Menſchen an Menſchen zu ſchließen, entgegen gehandelt habe; indem ſie die Liebe zum Jch zur Bewegerin des Willens gemacht hat. Wer dies tadeln will, tadelt die Natur in ihrer weiſeſten Einrichtung. Denn wodurch konnte ſie wohl jenen Zweck beſſer erreichen, als dadurch, daß ſie einen Menſchen von dem andern empfinden ließ, daß ſie das Wohl- befinden der Menſchen ſo innig verwebte?
Folgt nur den Befehlen und Einrichtungen der Natur, legt nur ihre Meynung nicht falſch aus! dann werdet ihr einſehn, daß die natuͤr- liche Selbſtliebe euch treibt, auch eure Bruͤder
zu
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das, was andre Menſchen afficirt, und kennt
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Selbſtliebe iſt es, welche den Schwaͤrmer
treibt, ſeinen Leib zu quaͤlen, und ihn den haͤr-
teſten Kaſteiungen zu unterwerfen, denn er hoft
dadurch ſich zu heiligen und den Himmel zu ver-
dienen, welches er hoͤher ſchaͤtzt, als alles, was
ſeiner irdiſchen Sinnlichkeit angenehm iſt.
Was konnte auch die Natur wohl ſchicklicher
zur Hauptfeder des Begehrungsvermoͤgens waͤh-
len, als dieſen Trieb, ſich zu erhalten, ſich in
einem angenehmen Zuſtand zu erhalten? Laßt
uns nur nicht vor einem Namen, dem der Miß-
brauch eine gehaͤſſige Bedeutung untergeſchoben
hat, erſchrecken, und der Natur den Vorwurf
machen, daß ſie ihrem Hauptzweck, Menſchen
an Menſchen zu ſchließen, entgegen gehandelt
habe; indem ſie die Liebe zum Jch zur Bewegerin
des Willens gemacht hat. Wer dies tadeln will,
tadelt die Natur in ihrer weiſeſten Einrichtung.
Denn wodurch konnte ſie wohl jenen Zweck beſſer
erreichen, als dadurch, daß ſie einen Menſchen
von dem andern empfinden ließ, daß ſie das Wohl-
befinden der Menſchen ſo innig verwebte?
Folgt nur den Befehlen und Einrichtungen
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/24>, abgerufen am 24.11.2024.
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