Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen, welches ich beydes den Verfassern gelehr-
ter Compendien der Psychologie überlasse; son-
dern nur ganz kurz und klar sagen, was ich für
den letzten Grund der Willensbestimmung halte,
das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele
beym Begehren und Verabscheuen geleitet werde.

Und dies ist nach meiner Meynung der Trieb
des Subjekts zu seiner Erhaltung überhaupt und
seines Wohlbefindens insbesondere, oder die
Selbstliebe.

Aus dieser lassen sich alle Erscheinungen des
menschlichen Begehrungsvermögens ungezwungen
und ohne Mühe erklären, wenn man nur das
Wort im natürlichen Sinn nimmt, und es nicht,
wie so oft geschieht, mit Eigennutz und Selbst-
sucht verwechselt. Auch die Gesinnungen und
Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden
in der Selbstliebe ihren Grund; denn was kann
wohl für den, welcher fühlt, süßer seyn, was
mehr zur Erhöhung seines Wohlbefindens beytra-
gen, als für den, mit welchem sein Herz ihn in-
nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben,
was er hat?

Sie ist unverkennbar in den Handlungen des
uneigennützigsten, und alle äußere und körperliche
Güter verachtenden Stoikers; denn er setzt sein
höchstes Wohlbefinden in die Erhabenheit über

das,
U 2

laſſen, welches ich beydes den Verfaſſern gelehr-
ter Compendien der Pſychologie uͤberlaſſe; ſon-
dern nur ganz kurz und klar ſagen, was ich fuͤr
den letzten Grund der Willensbeſtimmung halte,
das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele
beym Begehren und Verabſcheuen geleitet werde.

Und dies iſt nach meiner Meynung der Trieb
des Subjekts zu ſeiner Erhaltung uͤberhaupt und
ſeines Wohlbefindens insbeſondere, oder die
Selbſtliebe.

Aus dieſer laſſen ſich alle Erſcheinungen des
menſchlichen Begehrungsvermoͤgens ungezwungen
und ohne Muͤhe erklaͤren, wenn man nur das
Wort im natuͤrlichen Sinn nimmt, und es nicht,
wie ſo oft geſchieht, mit Eigennutz und Selbſt-
ſucht verwechſelt. Auch die Geſinnungen und
Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden
in der Selbſtliebe ihren Grund; denn was kann
wohl fuͤr den, welcher fuͤhlt, ſuͤßer ſeyn, was
mehr zur Erhoͤhung ſeines Wohlbefindens beytra-
gen, als fuͤr den, mit welchem ſein Herz ihn in-
nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben,
was er hat?

Sie iſt unverkennbar in den Handlungen des
uneigennuͤtzigſten, und alle aͤußere und koͤrperliche
Guͤter verachtenden Stoikers; denn er ſetzt ſein
hoͤchſtes Wohlbefinden in die Erhabenheit uͤber

das,
U 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="307"/>
la&#x017F;&#x017F;en, welches ich beydes den Verfa&#x017F;&#x017F;ern gelehr-<lb/>
ter Compendien der P&#x017F;ychologie u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e; &#x017F;on-<lb/>
dern nur ganz kurz und klar &#x017F;agen, was ich fu&#x0364;r<lb/>
den letzten Grund der Willensbe&#x017F;timmung halte,<lb/>
das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele<lb/>
beym Begehren und Verab&#x017F;cheuen geleitet werde.</p><lb/>
        <p>Und dies i&#x017F;t nach meiner Meynung der Trieb<lb/>
des Subjekts zu &#x017F;einer Erhaltung u&#x0364;berhaupt und<lb/>
&#x017F;eines Wohlbefindens insbe&#x017F;ondere, oder die<lb/><hi rendition="#b">Selb&#x017F;tliebe</hi>.</p><lb/>
        <p>Aus die&#x017F;er la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich alle Er&#x017F;cheinungen des<lb/>
men&#x017F;chlichen Begehrungsvermo&#x0364;gens ungezwungen<lb/>
und ohne Mu&#x0364;he erkla&#x0364;ren, wenn man nur das<lb/>
Wort im <hi rendition="#b">natu&#x0364;rlichen</hi> Sinn nimmt, und es nicht,<lb/>
wie &#x017F;o oft ge&#x017F;chieht, mit Eigennutz und Selb&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;ucht verwech&#x017F;elt. Auch die Ge&#x017F;innungen und<lb/>
Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden<lb/>
in der Selb&#x017F;tliebe ihren Grund; denn was kann<lb/>
wohl fu&#x0364;r den, welcher fu&#x0364;hlt, &#x017F;u&#x0364;ßer &#x017F;eyn, was<lb/>
mehr zur Erho&#x0364;hung &#x017F;eines Wohlbefindens beytra-<lb/>
gen, als fu&#x0364;r den, mit welchem &#x017F;ein Herz ihn in-<lb/>
nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben,<lb/>
was er hat?</p><lb/>
        <p>Sie i&#x017F;t unverkennbar in den Handlungen des<lb/>
uneigennu&#x0364;tzig&#x017F;ten, und alle a&#x0364;ußere und ko&#x0364;rperliche<lb/>
Gu&#x0364;ter verachtenden Stoikers; denn er &#x017F;etzt &#x017F;ein<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;tes Wohlbefinden in die Erhabenheit u&#x0364;ber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 2</fw><fw place="bottom" type="catch">das,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0023] laſſen, welches ich beydes den Verfaſſern gelehr- ter Compendien der Pſychologie uͤberlaſſe; ſon- dern nur ganz kurz und klar ſagen, was ich fuͤr den letzten Grund der Willensbeſtimmung halte, das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele beym Begehren und Verabſcheuen geleitet werde. Und dies iſt nach meiner Meynung der Trieb des Subjekts zu ſeiner Erhaltung uͤberhaupt und ſeines Wohlbefindens insbeſondere, oder die Selbſtliebe. Aus dieſer laſſen ſich alle Erſcheinungen des menſchlichen Begehrungsvermoͤgens ungezwungen und ohne Muͤhe erklaͤren, wenn man nur das Wort im natuͤrlichen Sinn nimmt, und es nicht, wie ſo oft geſchieht, mit Eigennutz und Selbſt- ſucht verwechſelt. Auch die Geſinnungen und Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden in der Selbſtliebe ihren Grund; denn was kann wohl fuͤr den, welcher fuͤhlt, ſuͤßer ſeyn, was mehr zur Erhoͤhung ſeines Wohlbefindens beytra- gen, als fuͤr den, mit welchem ſein Herz ihn in- nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben, was er hat? Sie iſt unverkennbar in den Handlungen des uneigennuͤtzigſten, und alle aͤußere und koͤrperliche Guͤter verachtenden Stoikers; denn er ſetzt ſein hoͤchſtes Wohlbefinden in die Erhabenheit uͤber das, U 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/23
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/23>, abgerufen am 21.11.2024.