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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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wohner auf den Oster-Jnseln ohne Schaam und
Scheu die schändlichsten Ausschweifungen erlaub-
ten; aber, sagt Herr Vaillant, "der berühmte
Mann hätte dreust hinzusetzen können, daß die
wilden Weiber sich diesen schändlichen Europäern
überlassen mußten, aus Furcht Schlachtopfer
des viehischen und grausamen Verfahrens zu wer-
den, dessen die Weißen sich mehr, als einmal,
schuldig gemacht haben*).

Es ist wahr, daß eine ganze Familie nur
eine gemeinschaftliche Hütte hat; wahr, daß der
Vater mit der Tochter, der Bruder mit der
Schwester und die Mutter mit dem Sohne auf
ein und demselben Bette liegen; aber bey Anbruch
der Morgenröthe, erwacht gewiß ein jeder mit
reinem Herzen, ohne vor dem Urheber aller Din-
ge oder einem seiner Geschöpfe, die er nach sei-
nem Bilde schuf, erröthen zu dürfen**).

Männer und Weiber zeigen bey dieser Na-
tion ein sittsames Betragen und feine Verschämt-
heit. Sind sie gleich noch unschuldig genug, um
ihre Nacktheit, ihr nahes Beysammenschlafen u.
dergl. für unschuldig, verdacht- und gefahrlos zu
halten; so geben sie doch nicht das, was die Na-
tur selbst verbergen zu wollen scheint, öffentlich
Preis. Nur nach vielen fruchtlosen Versuchen

ließen
*) Das. 2. Th. 97.
**) Das. 2. Th. 95 f.

wohner auf den Oſter-Jnſeln ohne Schaam und
Scheu die ſchaͤndlichſten Ausſchweifungen erlaub-
ten; aber, ſagt Herr Vaillant, „der beruͤhmte
Mann haͤtte dreuſt hinzuſetzen koͤnnen, daß die
wilden Weiber ſich dieſen ſchaͤndlichen Europaͤern
uͤberlaſſen mußten, aus Furcht Schlachtopfer
des viehiſchen und grauſamen Verfahrens zu wer-
den, deſſen die Weißen ſich mehr, als einmal,
ſchuldig gemacht haben*).

Es iſt wahr, daß eine ganze Familie nur
eine gemeinſchaftliche Huͤtte hat; wahr, daß der
Vater mit der Tochter, der Bruder mit der
Schweſter und die Mutter mit dem Sohne auf
ein und demſelben Bette liegen; aber bey Anbruch
der Morgenroͤthe, erwacht gewiß ein jeder mit
reinem Herzen, ohne vor dem Urheber aller Din-
ge oder einem ſeiner Geſchoͤpfe, die er nach ſei-
nem Bilde ſchuf, erroͤthen zu duͤrfen**).

Maͤnner und Weiber zeigen bey dieſer Na-
tion ein ſittſames Betragen und feine Verſchaͤmt-
heit. Sind ſie gleich noch unſchuldig genug, um
ihre Nacktheit, ihr nahes Beyſammenſchlafen u.
dergl. fuͤr unſchuldig, verdacht- und gefahrlos zu
halten; ſo geben ſie doch nicht das, was die Na-
tur ſelbſt verbergen zu wollen ſcheint, oͤffentlich
Preis. Nur nach vielen fruchtloſen Verſuchen

ließen
*) Daſ. 2. Th. 97.
**) Daſ. 2. Th. 95 f.
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[508/0224] wohner auf den Oſter-Jnſeln ohne Schaam und Scheu die ſchaͤndlichſten Ausſchweifungen erlaub- ten; aber, ſagt Herr Vaillant, „der beruͤhmte Mann haͤtte dreuſt hinzuſetzen koͤnnen, daß die wilden Weiber ſich dieſen ſchaͤndlichen Europaͤern uͤberlaſſen mußten, aus Furcht Schlachtopfer des viehiſchen und grauſamen Verfahrens zu wer- den, deſſen die Weißen ſich mehr, als einmal, ſchuldig gemacht haben *). Es iſt wahr, daß eine ganze Familie nur eine gemeinſchaftliche Huͤtte hat; wahr, daß der Vater mit der Tochter, der Bruder mit der Schweſter und die Mutter mit dem Sohne auf ein und demſelben Bette liegen; aber bey Anbruch der Morgenroͤthe, erwacht gewiß ein jeder mit reinem Herzen, ohne vor dem Urheber aller Din- ge oder einem ſeiner Geſchoͤpfe, die er nach ſei- nem Bilde ſchuf, erroͤthen zu duͤrfen **). Maͤnner und Weiber zeigen bey dieſer Na- tion ein ſittſames Betragen und feine Verſchaͤmt- heit. Sind ſie gleich noch unſchuldig genug, um ihre Nacktheit, ihr nahes Beyſammenſchlafen u. dergl. fuͤr unſchuldig, verdacht- und gefahrlos zu halten; ſo geben ſie doch nicht das, was die Na- tur ſelbſt verbergen zu wollen ſcheint, oͤffentlich Preis. Nur nach vielen fruchtloſen Verſuchen ließen *) Daſ. 2. Th. 97. **) Daſ. 2. Th. 95 f.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/224>, abgerufen am 23.11.2024.