Hütten acht bis zehnjährige Kinder um die schwa- chen Greise versammlet, um ihnen Nahrung zu reichen und Hülfe zu leisten*).
Jn einer abgesonderten Hütte lag ein Kran- ker in einem schaudervollen Zustande. Schon seit einem Jahre hatte er daselbst gelegen, und niemand es gewagt, sich ihm zu nähern, weil jeder die Krankheit für ansteckend hielt und halten mußte, weil Frau und Kinder des Elenden eini- ge Monate zuvor daran verstorben waren. Der edle Menschenfreund Vaillant suchte ihnen die Furcht vor der Krankheit zu benehmen, ging selbst zu dem Kranken, half ihn in eine neue Hüt- te tragen, und die Mitglieder der Horde folgten seinem Beyspiel, und trugen, sobald ihre Furcht verscheucht war, treue Sorge für den Kranken**).
Jeder wird die Behauptungen mancher Rei- seschreiber von der Sitten- und Schamlosigkeit der Hottentotten für Verläumdungen halten, wenn er die vorhergehenden Beyspiele von dem zarten und menschlichen Herzen derselben, und das, was Herr Vaillant, der diese Völker sah, noch be- sonders über diesen Punkt bemerkt, gelesen hat.
Es ist wahr, was Forster in seiner Reise um die Welt erzählt, daß die Matrosen der Schifsequipage sich mit den Weibern der Ein-
woh-
*) Das. 2. Th. 21.
**) Das. 2. Th. 22. ff.
Huͤtten acht bis zehnjaͤhrige Kinder um die ſchwa- chen Greiſe verſammlet, um ihnen Nahrung zu reichen und Huͤlfe zu leiſten*).
Jn einer abgeſonderten Huͤtte lag ein Kran- ker in einem ſchaudervollen Zuſtande. Schon ſeit einem Jahre hatte er daſelbſt gelegen, und niemand es gewagt, ſich ihm zu naͤhern, weil jeder die Krankheit fuͤr anſteckend hielt und halten mußte, weil Frau und Kinder des Elenden eini- ge Monate zuvor daran verſtorben waren. Der edle Menſchenfreund Vaillant ſuchte ihnen die Furcht vor der Krankheit zu benehmen, ging ſelbſt zu dem Kranken, half ihn in eine neue Huͤt- te tragen, und die Mitglieder der Horde folgten ſeinem Beyſpiel, und trugen, ſobald ihre Furcht verſcheucht war, treue Sorge fuͤr den Kranken**).
Jeder wird die Behauptungen mancher Rei- ſeſchreiber von der Sitten- und Schamloſigkeit der Hottentotten fuͤr Verlaͤumdungen halten, wenn er die vorhergehenden Beyſpiele von dem zarten und menſchlichen Herzen derſelben, und das, was Herr Vaillant, der dieſe Voͤlker ſah, noch be- ſonders uͤber dieſen Punkt bemerkt, geleſen hat.
Es iſt wahr, was Forſter in ſeiner Reiſe um die Welt erzaͤhlt, daß die Matroſen der Schifsequipage ſich mit den Weibern der Ein-
woh-
*) Daſ. 2. Th. 21.
**) Daſ. 2. Th. 22. ff.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0223"n="507"/>
Huͤtten acht bis zehnjaͤhrige Kinder um die ſchwa-<lb/>
chen Greiſe verſammlet, um ihnen Nahrung zu<lb/>
reichen und Huͤlfe zu leiſten<noteplace="foot"n="*)">Daſ. 2. Th. 21.</note>.</p><lb/><p>Jn einer abgeſonderten Huͤtte lag ein Kran-<lb/>
ker in einem ſchaudervollen Zuſtande. Schon<lb/>ſeit einem Jahre hatte er daſelbſt gelegen, und<lb/>
niemand es gewagt, ſich ihm zu naͤhern, weil<lb/>
jeder die Krankheit fuͤr anſteckend hielt und halten<lb/>
mußte, weil Frau und Kinder des Elenden eini-<lb/>
ge Monate zuvor daran verſtorben waren. Der<lb/>
edle Menſchenfreund <hirendition="#b">Vaillant</hi>ſuchte ihnen die<lb/>
Furcht vor der Krankheit zu benehmen, ging<lb/>ſelbſt zu dem Kranken, half ihn in eine neue Huͤt-<lb/>
te tragen, und die Mitglieder der Horde folgten<lb/>ſeinem Beyſpiel, und trugen, ſobald ihre Furcht<lb/>
verſcheucht war, treue Sorge fuͤr den Kranken<noteplace="foot"n="**)">Daſ. 2. Th. 22. ff.</note>.</p><lb/><p>Jeder wird die Behauptungen mancher Rei-<lb/>ſeſchreiber von der Sitten- und Schamloſigkeit<lb/>
der Hottentotten fuͤr Verlaͤumdungen halten, wenn<lb/>
er die vorhergehenden Beyſpiele von dem zarten<lb/>
und menſchlichen Herzen derſelben, und das, was<lb/>
Herr <hirendition="#b">Vaillant</hi>, der dieſe Voͤlker ſah, noch be-<lb/>ſonders uͤber dieſen Punkt bemerkt, geleſen hat.</p><lb/><p>Es iſt wahr, was <hirendition="#b">Forſter</hi> in ſeiner Reiſe<lb/>
um die Welt erzaͤhlt, daß die Matroſen der<lb/>
Schifsequipage ſich mit den Weibern der Ein-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">woh-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[507/0223]
Huͤtten acht bis zehnjaͤhrige Kinder um die ſchwa-
chen Greiſe verſammlet, um ihnen Nahrung zu
reichen und Huͤlfe zu leiſten *).
Jn einer abgeſonderten Huͤtte lag ein Kran-
ker in einem ſchaudervollen Zuſtande. Schon
ſeit einem Jahre hatte er daſelbſt gelegen, und
niemand es gewagt, ſich ihm zu naͤhern, weil
jeder die Krankheit fuͤr anſteckend hielt und halten
mußte, weil Frau und Kinder des Elenden eini-
ge Monate zuvor daran verſtorben waren. Der
edle Menſchenfreund Vaillant ſuchte ihnen die
Furcht vor der Krankheit zu benehmen, ging
ſelbſt zu dem Kranken, half ihn in eine neue Huͤt-
te tragen, und die Mitglieder der Horde folgten
ſeinem Beyſpiel, und trugen, ſobald ihre Furcht
verſcheucht war, treue Sorge fuͤr den Kranken **).
Jeder wird die Behauptungen mancher Rei-
ſeſchreiber von der Sitten- und Schamloſigkeit
der Hottentotten fuͤr Verlaͤumdungen halten, wenn
er die vorhergehenden Beyſpiele von dem zarten
und menſchlichen Herzen derſelben, und das, was
Herr Vaillant, der dieſe Voͤlker ſah, noch be-
ſonders uͤber dieſen Punkt bemerkt, geleſen hat.
Es iſt wahr, was Forſter in ſeiner Reiſe
um die Welt erzaͤhlt, daß die Matroſen der
Schifsequipage ſich mit den Weibern der Ein-
woh-
*) Daſ. 2. Th. 21.
**) Daſ. 2. Th. 22. ff.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/223>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.