Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

sich also nicht selbst bestimmt, sondern von den
Gegenständen seiner Begierde fortgerissen wird,
heißt Leidenschaft.

Zweyte Unterhaltung.
Ueber die
Selbstliebe.

Es ist über den letzten Grund der Bestimmung
des Willens, den Beweger des Begehrungsver-
mögens eine große Verschiedenheit der Meynun-
gen gewesen. Jeder von den Philosophen, wel-
cher darüber dachte, suchte ihn mit seinen übrigen
Hypothesen in Zusammenhang zu bringen, und
wich daher, wie in diesen, so auch in jenem, von
andern ab. Diejenigen, welche die Seelenlehre
metaphysisch behandelten, wählten zur Bezeichnung
des letzten Grundes des Begehrens wenigstens ei-
nen metaphysischen Namen, Trieb nach Vollkom-
menheit, nach Jdeenbeschäftigung u. dergl.;
andre, welche die Seele sich nicht so geistig dach-
ten, nahmen die körperliche Empfindung (Sensi-
bilite physique
) als dasjenige an, wornach sich
der Mensch im Begehren oder Zurückstoßen rich-
te. Jch will hier nicht alle verschiedne Meynun-
gen der Weltweisen über diese Sache beybringen,
noch weniger mich in eine Kritik derselben ein-

lassen,

ſich alſo nicht ſelbſt beſtimmt, ſondern von den
Gegenſtaͤnden ſeiner Begierde fortgeriſſen wird,
heißt Leidenſchaft.

Zweyte Unterhaltung.
Ueber die
Selbſtliebe.

Es iſt uͤber den letzten Grund der Beſtimmung
des Willens, den Beweger des Begehrungsver-
moͤgens eine große Verſchiedenheit der Meynun-
gen geweſen. Jeder von den Philoſophen, wel-
cher daruͤber dachte, ſuchte ihn mit ſeinen uͤbrigen
Hypotheſen in Zuſammenhang zu bringen, und
wich daher, wie in dieſen, ſo auch in jenem, von
andern ab. Diejenigen, welche die Seelenlehre
metaphyſiſch behandelten, waͤhlten zur Bezeichnung
des letzten Grundes des Begehrens wenigſtens ei-
nen metaphyſiſchen Namen, Trieb nach Vollkom-
menheit, nach Jdeenbeſchaͤftigung u. dergl.;
andre, welche die Seele ſich nicht ſo geiſtig dach-
ten, nahmen die koͤrperliche Empfindung (Senſi-
bilité phyſique
) als dasjenige an, wornach ſich
der Menſch im Begehren oder Zuruͤckſtoßen rich-
te. Jch will hier nicht alle verſchiedne Meynun-
gen der Weltweiſen uͤber dieſe Sache beybringen,
noch weniger mich in eine Kritik derſelben ein-

laſſen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="306"/>
&#x017F;ich al&#x017F;o nicht &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;timmt, &#x017F;ondern von den<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;einer Begierde fortgeri&#x017F;&#x017F;en wird,<lb/>
heißt <hi rendition="#b">Leiden&#x017F;chaft</hi>.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>Zweyte Unterhaltung.<lb/>
Ueber die<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Selb&#x017F;tliebe.</hi></hi></head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t u&#x0364;ber den letzten Grund der Be&#x017F;timmung<lb/>
des Willens, den Beweger des Begehrungsver-<lb/>
mo&#x0364;gens eine große Ver&#x017F;chiedenheit der Meynun-<lb/>
gen gewe&#x017F;en. Jeder von den Philo&#x017F;ophen, wel-<lb/>
cher daru&#x0364;ber dachte, &#x017F;uchte ihn mit &#x017F;einen u&#x0364;brigen<lb/>
Hypothe&#x017F;en in Zu&#x017F;ammenhang zu bringen, und<lb/>
wich daher, wie in die&#x017F;en, &#x017F;o auch in jenem, von<lb/>
andern ab. Diejenigen, welche die Seelenlehre<lb/>
metaphy&#x017F;i&#x017F;ch behandelten, wa&#x0364;hlten zur Bezeichnung<lb/>
des letzten Grundes des Begehrens wenig&#x017F;tens ei-<lb/>
nen metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Namen, Trieb nach Vollkom-<lb/>
menheit, nach Jdeenbe&#x017F;cha&#x0364;ftigung u. dergl.;<lb/>
andre, welche die Seele &#x017F;ich nicht &#x017F;o gei&#x017F;tig dach-<lb/>
ten, nahmen die ko&#x0364;rperliche Empfindung (<hi rendition="#aq">Sen&#x017F;i-<lb/>
bilité phy&#x017F;ique</hi>) als dasjenige an, wornach &#x017F;ich<lb/>
der Men&#x017F;ch im Begehren oder Zuru&#x0364;ck&#x017F;toßen rich-<lb/>
te. Jch will hier nicht alle ver&#x017F;chiedne Meynun-<lb/>
gen der Weltwei&#x017F;en u&#x0364;ber die&#x017F;e Sache beybringen,<lb/>
noch weniger mich in eine Kritik der&#x017F;elben ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">la&#x017F;&#x017F;en,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0022] ſich alſo nicht ſelbſt beſtimmt, ſondern von den Gegenſtaͤnden ſeiner Begierde fortgeriſſen wird, heißt Leidenſchaft. Zweyte Unterhaltung. Ueber die Selbſtliebe. Es iſt uͤber den letzten Grund der Beſtimmung des Willens, den Beweger des Begehrungsver- moͤgens eine große Verſchiedenheit der Meynun- gen geweſen. Jeder von den Philoſophen, wel- cher daruͤber dachte, ſuchte ihn mit ſeinen uͤbrigen Hypotheſen in Zuſammenhang zu bringen, und wich daher, wie in dieſen, ſo auch in jenem, von andern ab. Diejenigen, welche die Seelenlehre metaphyſiſch behandelten, waͤhlten zur Bezeichnung des letzten Grundes des Begehrens wenigſtens ei- nen metaphyſiſchen Namen, Trieb nach Vollkom- menheit, nach Jdeenbeſchaͤftigung u. dergl.; andre, welche die Seele ſich nicht ſo geiſtig dach- ten, nahmen die koͤrperliche Empfindung (Senſi- bilité phyſique) als dasjenige an, wornach ſich der Menſch im Begehren oder Zuruͤckſtoßen rich- te. Jch will hier nicht alle verſchiedne Meynun- gen der Weltweiſen uͤber dieſe Sache beybringen, noch weniger mich in eine Kritik derſelben ein- laſſen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/22
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/22>, abgerufen am 21.11.2024.