seyn kann, erschrickt er vor jeder Aeußerung, die von Kraft zeugt, und sucht sie zu unterdrücken, damit sein schwaches Gebäude nicht dadurch er- schüttert werde. Er verlangt von seinen Unter- gebnen selbst das Unmögliche. Sie sollen jeden seiner unordentlichen Wünsche, jede seiner un- regelmäßigen Neigungen, jede seiner eigensinni- gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe ihnen, wenn sie die Foderungen seines Wahn- sinns nicht erfüllen können oder wollen!
Wenn nicht ein gutes Herz und menschen- freundliche und billige Grundsätze den Trieb zum Herrschen leiten, so artet er in despotischen Sinn aus, und hat die traurigsten Folgen für den Herrschsüchtigen selbst, und für die, welche ihr Verhältniß an ihn schließt.
Jener wird von einem beständigen Argwohn und Mißtrauen gequält, weil er wohl weiß, daß er Andern eine Last ist, und jeder von Herzen wünschte, sich seiner zu entledigen. Vertrauen und Freundschaft sind ihm daher unbekannte Ge- fühle; die Menschlichkeit verläßt ihn, weil er die Menschheit nicht achtet. Er verschließt sich, wie Dionys, in einen ewigen Kerker, und lebt seine Tage freudenleer, von den größten Foltern des Herzens, Neid, Mißgunst, Furcht und Schrecken gequält.
Welch
ſeyn kann, erſchrickt er vor jeder Aeußerung, die von Kraft zeugt, und ſucht ſie zu unterdruͤcken, damit ſein ſchwaches Gebaͤude nicht dadurch er- ſchuͤttert werde. Er verlangt von ſeinen Unter- gebnen ſelbſt das Unmoͤgliche. Sie ſollen jeden ſeiner unordentlichen Wuͤnſche, jede ſeiner un- regelmaͤßigen Neigungen, jede ſeiner eigenſinni- gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe ihnen, wenn ſie die Foderungen ſeines Wahn- ſinns nicht erfuͤllen koͤnnen oder wollen!
Wenn nicht ein gutes Herz und menſchen- freundliche und billige Grundſaͤtze den Trieb zum Herrſchen leiten, ſo artet er in deſpotiſchen Sinn aus, und hat die traurigſten Folgen fuͤr den Herrſchſuͤchtigen ſelbſt, und fuͤr die, welche ihr Verhaͤltniß an ihn ſchließt.
Jener wird von einem beſtaͤndigen Argwohn und Mißtrauen gequaͤlt, weil er wohl weiß, daß er Andern eine Laſt iſt, und jeder von Herzen wuͤnſchte, ſich ſeiner zu entledigen. Vertrauen und Freundſchaft ſind ihm daher unbekannte Ge- fuͤhle; die Menſchlichkeit verlaͤßt ihn, weil er die Menſchheit nicht achtet. Er verſchließt ſich, wie Dionys, in einen ewigen Kerker, und lebt ſeine Tage freudenleer, von den groͤßten Foltern des Herzens, Neid, Mißgunſt, Furcht und Schrecken gequaͤlt.
Welch
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ſeyn kann, erſchrickt er vor jeder Aeußerung, die
von Kraft zeugt, und ſucht ſie zu unterdruͤcken,
damit ſein ſchwaches Gebaͤude nicht dadurch er-
ſchuͤttert werde. Er verlangt von ſeinen Unter-
gebnen ſelbſt das Unmoͤgliche. Sie ſollen jeden
ſeiner unordentlichen Wuͤnſche, jede ſeiner un-
regelmaͤßigen Neigungen, jede ſeiner eigenſinni-
gen Launen errathen und befriedigen. Und wehe
ihnen, wenn ſie die Foderungen ſeines Wahn-
ſinns nicht erfuͤllen koͤnnen oder wollen!
Wenn nicht ein gutes Herz und menſchen-
freundliche und billige Grundſaͤtze den Trieb zum
Herrſchen leiten, ſo artet er in deſpotiſchen Sinn
aus, und hat die traurigſten Folgen fuͤr den
Herrſchſuͤchtigen ſelbſt, und fuͤr die, welche ihr
Verhaͤltniß an ihn ſchließt.
Jener wird von einem beſtaͤndigen Argwohn
und Mißtrauen gequaͤlt, weil er wohl weiß, daß
er Andern eine Laſt iſt, und jeder von Herzen
wuͤnſchte, ſich ſeiner zu entledigen. Vertrauen
und Freundſchaft ſind ihm daher unbekannte Ge-
fuͤhle; die Menſchlichkeit verlaͤßt ihn, weil er
die Menſchheit nicht achtet. Er verſchließt ſich,
wie Dionys, in einen ewigen Kerker, und lebt
ſeine Tage freudenleer, von den groͤßten Foltern
des Herzens, Neid, Mißgunſt, Furcht und
Schrecken gequaͤlt.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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