mittlern Jahrhunderten -- und man wird hun- dert Beyspiele von den ungeheuren Prätensionen der Pfaffen und Bischöfe finden. Die Geistli- chen, unter deren Aufsicht die Schulen und Aca- demien standen, und welchen sie sehr am Herzen lagen, weil sie ihnen die Herrschaft über den Ver- stand der Menschen und das Monopolium der Ge- lehrsamkeit erhielten, verschaften ihnen die ausge- zeichnetsten Vorrechte, und brachten es selbst da- hin, daß die Schüler und Studenten der weltli- chen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen waren. Herr Abt Millot erzählt in seiner Universalge- schichte hievon ein auffallendes Factum: Jm Jahr 1304 hatte der Stadtrichter zu Paris einen Schüler hängen lassen. Der geistliche Richter stellte einen förmlichen Befehl aus, daß die sämt- lichen Pfarrer sich in Procession nach der Woh- nung des Stadtrichters begeben, Steine hinein- werfen, und dabey ausrufen sollten: "Weg mit "dir, verdammter Satan! Erkenne deine Bos- "heit, und gieb unsrer Mutter, der heiligen Kir- "che, deren Freyheiten du gekränket hast, die "schuldige Ehre; wo nicht, so sey dein Loos, wie "das Loos des Dathan und Abiram, die lebendig "von der Erde verschlungen wurden." Alle Schulen wurden geschlossen; die Stadtobrigkeit sahe sich genöthigt, der Universität die verlangte Genugthuung zu geben, und nach Rom zu ge-
hen,
mittlern Jahrhunderten — und man wird hun- dert Beyſpiele von den ungeheuren Praͤtenſionen der Pfaffen und Biſchoͤfe finden. Die Geiſtli- chen, unter deren Aufſicht die Schulen und Aca- demien ſtanden, und welchen ſie ſehr am Herzen lagen, weil ſie ihnen die Herrſchaft uͤber den Ver- ſtand der Menſchen und das Monopolium der Ge- lehrſamkeit erhielten, verſchaften ihnen die ausge- zeichnetſten Vorrechte, und brachten es ſelbſt da- hin, daß die Schuͤler und Studenten der weltli- chen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen waren. Herr Abt Millot erzaͤhlt in ſeiner Univerſalge- ſchichte hievon ein auffallendes Factum: Jm Jahr 1304 hatte der Stadtrichter zu Paris einen Schuͤler haͤngen laſſen. Der geiſtliche Richter ſtellte einen foͤrmlichen Befehl aus, daß die ſaͤmt- lichen Pfarrer ſich in Proceſſion nach der Woh- nung des Stadtrichters begeben, Steine hinein- werfen, und dabey ausrufen ſollten: „Weg mit „dir, verdammter Satan! Erkenne deine Bos- „heit, und gieb unſrer Mutter, der heiligen Kir- „che, deren Freyheiten du gekraͤnket haſt, die „ſchuldige Ehre; wo nicht, ſo ſey dein Loos, wie „das Loos des Dathan und Abiram, die lebendig „von der Erde verſchlungen wurden.„ Alle Schulen wurden geſchloſſen; die Stadtobrigkeit ſahe ſich genoͤthigt, der Univerſitaͤt die verlangte Genugthuung zu geben, und nach Rom zu ge-
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mittlern Jahrhunderten — und man wird hun-
dert Beyſpiele von den ungeheuren Praͤtenſionen
der Pfaffen und Biſchoͤfe finden. Die Geiſtli-
chen, unter deren Aufſicht die Schulen und Aca-
demien ſtanden, und welchen ſie ſehr am Herzen
lagen, weil ſie ihnen die Herrſchaft uͤber den Ver-
ſtand der Menſchen und das Monopolium der Ge-
lehrſamkeit erhielten, verſchaften ihnen die ausge-
zeichnetſten Vorrechte, und brachten es ſelbſt da-
hin, daß die Schuͤler und Studenten der weltli-
chen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen waren.
Herr Abt Millot erzaͤhlt in ſeiner Univerſalge-
ſchichte hievon ein auffallendes Factum: Jm
Jahr 1304 hatte der Stadtrichter zu Paris einen
Schuͤler haͤngen laſſen. Der geiſtliche Richter
ſtellte einen foͤrmlichen Befehl aus, daß die ſaͤmt-
lichen Pfarrer ſich in Proceſſion nach der Woh-
nung des Stadtrichters begeben, Steine hinein-
werfen, und dabey ausrufen ſollten: „Weg mit
„dir, verdammter Satan! Erkenne deine Bos-
„heit, und gieb unſrer Mutter, der heiligen Kir-
„che, deren Freyheiten du gekraͤnket haſt, die
„ſchuldige Ehre; wo nicht, ſo ſey dein Loos, wie
„das Loos des Dathan und Abiram, die lebendig
„von der Erde verſchlungen wurden.„ Alle
Schulen wurden geſchloſſen; die Stadtobrigkeit
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/163>, abgerufen am 24.11.2024.
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