Fünfte Unterhaltung. Ueber die Wirksamkeit der Einbildungskraft in Traumerscheinungen.
Ob die Seele in dem Zustande des tiefen Schla- fes überhaupt Vorstellungen habe; und wenn die- ses statt fände, ob dieselben dunkler oder klarer, als beym Wachen seyen, ist eine Frage, welche schon oft sehr verschieden beantwortet, aber, wie mich wenigstens dünkt, doch noch nicht entschie- den ist, und sich vielleicht gar nicht entscheiden läßt. Jch habe mich zwar selbst in einer Abhand- lung über die Träume*) für die Meinung er- klärt, nach welcher die Vorstellungen im Schlafe viel klarer sind, als im Wachen, weil die Seele von den sie zerstreuenden Empfindungen der äußern Sinne in ihrer Thätigkeit nicht gestört wird, und also ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich selbst an- wenden kann. Allein bey fernerem Nachdenken hierüber, ist es mir vorgekommen, als wenn sich dies doch nicht so fest behaupten ließe. Denn ein auf sichre Erfahrungen gestützter Beweis ist unmöglich. Kein Bewußtseyn -- gesetzt auch,
es
*) Philosoph. Blicke etc. von H. und V. 2tes Stück.
Fuͤnfte Unterhaltung. Ueber die Wirkſamkeit der Einbildungskraft in Traumerſcheinungen.
Ob die Seele in dem Zuſtande des tiefen Schla- fes uͤberhaupt Vorſtellungen habe; und wenn die- ſes ſtatt faͤnde, ob dieſelben dunkler oder klarer, als beym Wachen ſeyen, iſt eine Frage, welche ſchon oft ſehr verſchieden beantwortet, aber, wie mich wenigſtens duͤnkt, doch noch nicht entſchie- den iſt, und ſich vielleicht gar nicht entſcheiden laͤßt. Jch habe mich zwar ſelbſt in einer Abhand- lung uͤber die Traͤume*) fuͤr die Meinung er- klaͤrt, nach welcher die Vorſtellungen im Schlafe viel klarer ſind, als im Wachen, weil die Seele von den ſie zerſtreuenden Empfindungen der aͤußern Sinne in ihrer Thaͤtigkeit nicht geſtoͤrt wird, und alſo ihre ganze Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt an- wenden kann. Allein bey fernerem Nachdenken hieruͤber, iſt es mir vorgekommen, als wenn ſich dies doch nicht ſo feſt behaupten ließe. Denn ein auf ſichre Erfahrungen geſtuͤtzter Beweis iſt unmoͤglich. Kein Bewußtſeyn — geſetzt auch,
es
*) Philoſoph. Blicke ꝛc. von H. und V. 2tes Stuͤck.
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Fuͤnfte Unterhaltung.
Ueber
die Wirkſamkeit der Einbildungskraft
in Traumerſcheinungen.
Ob die Seele in dem Zuſtande des tiefen Schla-
fes uͤberhaupt Vorſtellungen habe; und wenn die-
ſes ſtatt faͤnde, ob dieſelben dunkler oder klarer,
als beym Wachen ſeyen, iſt eine Frage, welche
ſchon oft ſehr verſchieden beantwortet, aber, wie
mich wenigſtens duͤnkt, doch noch nicht entſchie-
den iſt, und ſich vielleicht gar nicht entſcheiden
laͤßt. Jch habe mich zwar ſelbſt in einer Abhand-
lung uͤber die Traͤume *) fuͤr die Meinung er-
klaͤrt, nach welcher die Vorſtellungen im Schlafe
viel klarer ſind, als im Wachen, weil die Seele
von den ſie zerſtreuenden Empfindungen der aͤußern
Sinne in ihrer Thaͤtigkeit nicht geſtoͤrt wird, und
alſo ihre ganze Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt an-
wenden kann. Allein bey fernerem Nachdenken
hieruͤber, iſt es mir vorgekommen, als wenn ſich
dies doch nicht ſo feſt behaupten ließe. Denn
ein auf ſichre Erfahrungen geſtuͤtzter Beweis iſt
unmoͤglich. Kein Bewußtſeyn — geſetzt auch,
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*) Philoſoph. Blicke ꝛc. von H. und V. 2tes Stuͤck.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/87>, abgerufen am 16.02.2025.
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