men, die sein Aberglaube ihn als die Urheber sei- nes Glücks oder Unglücks ansehen läßt. Das heißeste Klima ist in seinen Wirkungen dem kälte- sten ähnlich. Hier macht die Derbheit der Ner- ven, dort die Schlaffheit derselben den Menschen unempfindlich. Der Nordpol stählt ihn, der heißeste Süden schläfert ihn ein. Er thut und denkt, hier so wenig, als dort, mehr, als nöthig ist, ihn nicht verhungern zu lassen: und wo die Natur auch dies für ihn thut, ist sein ganzes Leben ein unthätiger Schlummer. Die gedankenleere Mi- ne der Südamerikaner, sagt Robertson in seiner vortrefflichen Geschichte von Amerika, ihr starrer, unbedeutender Blick, ihre leblose Unachtsamkeit, und ihre gänzliche Unwissenheit in Dingen, wo- mit die Gedanken vernünftiger Wesen sich am er- sten beschäfftigen sollten, machten auf die Spa- nier, als sie diese rohen Leute zum erstenmal sahen, einen solchen Eindruck, daß sie dieselben für Thiere einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben konnten, daß sie zum Menschengeschlechte gehör- ten. Man mußte das Ansehn einer päbstlichen Bulle anwenden, um diesen Wahn zu tilgen, und die Spanier davon zu überzeugen, daß die Ame- rikaner zu den Geschäfften der Menschheit fähig und zu ihren Privilegien berechtigt seyen. Der klarste Beweis von der sehr geringen Regsamkeit und Trägheit der Jmagination in den rohen Ein-
woh-
D 2
men, die ſein Aberglaube ihn als die Urheber ſei- nes Gluͤcks oder Ungluͤcks anſehen laͤßt. Das heißeſte Klima iſt in ſeinen Wirkungen dem kaͤlte- ſten aͤhnlich. Hier macht die Derbheit der Ner- ven, dort die Schlaffheit derſelben den Menſchen unempfindlich. Der Nordpol ſtaͤhlt ihn, der heißeſte Suͤden ſchlaͤfert ihn ein. Er thut und denkt, hier ſo wenig, als dort, mehr, als noͤthig iſt, ihn nicht verhungern zu laſſen: und wo die Natur auch dies fuͤr ihn thut, iſt ſein ganzes Leben ein unthaͤtiger Schlummer. Die gedankenleere Mi- ne der Suͤdamerikaner, ſagt Robertſon in ſeiner vortrefflichen Geſchichte von Amerika, ihr ſtarrer, unbedeutender Blick, ihre lebloſe Unachtſamkeit, und ihre gaͤnzliche Unwiſſenheit in Dingen, wo- mit die Gedanken vernuͤnftiger Weſen ſich am er- ſten beſchaͤfftigen ſollten, machten auf die Spa- nier, als ſie dieſe rohen Leute zum erſtenmal ſahen, einen ſolchen Eindruck, daß ſie dieſelben fuͤr Thiere einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben konnten, daß ſie zum Menſchengeſchlechte gehoͤr- ten. Man mußte das Anſehn einer paͤbſtlichen Bulle anwenden, um dieſen Wahn zu tilgen, und die Spanier davon zu uͤberzeugen, daß die Ame- rikaner zu den Geſchaͤfften der Menſchheit faͤhig und zu ihren Privilegien berechtigt ſeyen. Der klarſte Beweis von der ſehr geringen Regſamkeit und Traͤgheit der Jmagination in den rohen Ein-
woh-
D 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0075"n="51"/>
men, die ſein Aberglaube ihn als die Urheber ſei-<lb/>
nes Gluͤcks oder Ungluͤcks anſehen laͤßt. Das<lb/>
heißeſte Klima iſt in ſeinen <hirendition="#b">Wirkungen</hi> dem <hirendition="#b">kaͤlte-<lb/>ſten</hi> aͤhnlich. Hier macht die Derbheit der Ner-<lb/>
ven, dort die Schlaffheit derſelben den Menſchen<lb/>
unempfindlich. Der Nordpol ſtaͤhlt ihn, der<lb/>
heißeſte Suͤden ſchlaͤfert ihn ein. Er thut und<lb/>
denkt, hier ſo wenig, als dort, mehr, als noͤthig iſt,<lb/>
ihn nicht verhungern zu laſſen: und wo die Natur<lb/>
auch dies fuͤr ihn thut, iſt ſein ganzes Leben ein<lb/>
unthaͤtiger Schlummer. Die gedankenleere Mi-<lb/>
ne der Suͤdamerikaner, ſagt Robertſon in ſeiner<lb/>
vortrefflichen Geſchichte von Amerika, ihr ſtarrer,<lb/>
unbedeutender Blick, ihre lebloſe Unachtſamkeit,<lb/>
und ihre gaͤnzliche Unwiſſenheit in Dingen, wo-<lb/>
mit die Gedanken vernuͤnftiger Weſen ſich am er-<lb/>ſten beſchaͤfftigen ſollten, machten auf die Spa-<lb/>
nier, als ſie dieſe rohen Leute zum erſtenmal ſahen,<lb/>
einen ſolchen Eindruck, daß ſie dieſelben fuͤr Thiere<lb/>
einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben<lb/>
konnten, daß ſie zum Menſchengeſchlechte gehoͤr-<lb/>
ten. Man mußte das Anſehn einer paͤbſtlichen<lb/>
Bulle anwenden, um dieſen Wahn zu tilgen, und<lb/>
die Spanier davon zu uͤberzeugen, daß die Ame-<lb/>
rikaner zu den Geſchaͤfften der Menſchheit faͤhig<lb/>
und zu ihren Privilegien berechtigt ſeyen. Der<lb/>
klarſte Beweis von der ſehr geringen Regſamkeit<lb/>
und Traͤgheit der Jmagination in den rohen Ein-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">woh-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[51/0075]
men, die ſein Aberglaube ihn als die Urheber ſei-
nes Gluͤcks oder Ungluͤcks anſehen laͤßt. Das
heißeſte Klima iſt in ſeinen Wirkungen dem kaͤlte-
ſten aͤhnlich. Hier macht die Derbheit der Ner-
ven, dort die Schlaffheit derſelben den Menſchen
unempfindlich. Der Nordpol ſtaͤhlt ihn, der
heißeſte Suͤden ſchlaͤfert ihn ein. Er thut und
denkt, hier ſo wenig, als dort, mehr, als noͤthig iſt,
ihn nicht verhungern zu laſſen: und wo die Natur
auch dies fuͤr ihn thut, iſt ſein ganzes Leben ein
unthaͤtiger Schlummer. Die gedankenleere Mi-
ne der Suͤdamerikaner, ſagt Robertſon in ſeiner
vortrefflichen Geſchichte von Amerika, ihr ſtarrer,
unbedeutender Blick, ihre lebloſe Unachtſamkeit,
und ihre gaͤnzliche Unwiſſenheit in Dingen, wo-
mit die Gedanken vernuͤnftiger Weſen ſich am er-
ſten beſchaͤfftigen ſollten, machten auf die Spa-
nier, als ſie dieſe rohen Leute zum erſtenmal ſahen,
einen ſolchen Eindruck, daß ſie dieſelben fuͤr Thiere
einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben
konnten, daß ſie zum Menſchengeſchlechte gehoͤr-
ten. Man mußte das Anſehn einer paͤbſtlichen
Bulle anwenden, um dieſen Wahn zu tilgen, und
die Spanier davon zu uͤberzeugen, daß die Ame-
rikaner zu den Geſchaͤfften der Menſchheit faͤhig
und zu ihren Privilegien berechtigt ſeyen. Der
klarſte Beweis von der ſehr geringen Regſamkeit
und Traͤgheit der Jmagination in den rohen Ein-
woh-
D 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/75>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.