Mit unauslöschlichen Zügen prägte sich das Bild des stolzen Tarquins, der die römische Frei- heit entheiligte, und eine römische Matrone schän- dete, in das Herz des patriotischen Bürgers; indeß neben demselben, eben so unauslöschlich, eines Bru- tus Gerechtigkeit glänzte.
Nur mit matten Farben mahlt sich in dem Bürger Deutschlands das Erdbeben, welches Länder und Städte in Ruinen zusammen warf; indeß der unglückliche Calabrese noch oft vor dem- selben schaudert.
Was man sieht, prägt sich tiefer ein, als was von den übrigen Sinnen vernommen wird; darum hält die Jmagination das Bild des ewigen Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Händel- sches Meisterconcert schon lange entschlüpft ist. --
Nichts ist dem, welcher sich in dem Lande der Träume am besten gefällt, erwünschter, als Dunkelheit und Stille. Da stört ihn nichts in seiner chimärischen Wirksamkeit: da läßt kein Sonnenstrahl seine Juno in Nebel zergehen: da straft kein Laut eines wirklichen Menschen seine gaucklerische Einbildungskraft Lügen. -- Daß Gespenster und Teufel nur im Finstern herum- schleichen dürften, ist eine eitle Erdichtung; sie haben das Recht am Mittag so gut, als in der Mitternachtsstunde zu spuken; nur daß, sobald der Hahn zu krähen anfängt, das Geklirr ihrer
Ketten
Mit unausloͤſchlichen Zuͤgen praͤgte ſich das Bild des ſtolzen Tarquins, der die roͤmiſche Frei- heit entheiligte, und eine roͤmiſche Matrone ſchaͤn- dete, in das Herz des patriotiſchen Buͤrgers; indeß neben demſelben, eben ſo unausloͤſchlich, eines Bru- tus Gerechtigkeit glaͤnzte.
Nur mit matten Farben mahlt ſich in dem Buͤrger Deutſchlands das Erdbeben, welches Laͤnder und Staͤdte in Ruinen zuſammen warf; indeß der ungluͤckliche Calabreſe noch oft vor dem- ſelben ſchaudert.
Was man ſieht, praͤgt ſich tiefer ein, als was von den uͤbrigen Sinnen vernommen wird; darum haͤlt die Jmagination das Bild des ewigen Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Haͤndel- ſches Meiſterconcert ſchon lange entſchluͤpft iſt. —
Nichts iſt dem, welcher ſich in dem Lande der Traͤume am beſten gefaͤllt, erwuͤnſchter, als Dunkelheit und Stille. Da ſtoͤrt ihn nichts in ſeiner chimaͤriſchen Wirkſamkeit: da laͤßt kein Sonnenſtrahl ſeine Juno in Nebel zergehen: da ſtraft kein Laut eines wirklichen Menſchen ſeine gauckleriſche Einbildungskraft Luͤgen. — Daß Geſpenſter und Teufel nur im Finſtern herum- ſchleichen duͤrften, iſt eine eitle Erdichtung; ſie haben das Recht am Mittag ſo gut, als in der Mitternachtsſtunde zu ſpuken; nur daß, ſobald der Hahn zu kraͤhen anfaͤngt, das Geklirr ihrer
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Mit unausloͤſchlichen Zuͤgen praͤgte ſich das
Bild des ſtolzen Tarquins, der die roͤmiſche Frei-
heit entheiligte, und eine roͤmiſche Matrone ſchaͤn-
dete, in das Herz des patriotiſchen Buͤrgers; indeß
neben demſelben, eben ſo unausloͤſchlich, eines Bru-
tus Gerechtigkeit glaͤnzte.
Nur mit matten Farben mahlt ſich in dem
Buͤrger Deutſchlands das Erdbeben, welches
Laͤnder und Staͤdte in Ruinen zuſammen warf;
indeß der ungluͤckliche Calabreſe noch oft vor dem-
ſelben ſchaudert.
Was man ſieht, praͤgt ſich tiefer ein, als
was von den uͤbrigen Sinnen vernommen wird;
darum haͤlt die Jmagination das Bild des ewigen
Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Haͤndel-
ſches Meiſterconcert ſchon lange entſchluͤpft iſt. —
Nichts iſt dem, welcher ſich in dem Lande
der Traͤume am beſten gefaͤllt, erwuͤnſchter, als
Dunkelheit und Stille. Da ſtoͤrt ihn nichts in
ſeiner chimaͤriſchen Wirkſamkeit: da laͤßt kein
Sonnenſtrahl ſeine Juno in Nebel zergehen: da
ſtraft kein Laut eines wirklichen Menſchen ſeine
gauckleriſche Einbildungskraft Luͤgen. — Daß
Geſpenſter und Teufel nur im Finſtern herum-
ſchleichen duͤrften, iſt eine eitle Erdichtung; ſie
haben das Recht am Mittag ſo gut, als in der
Mitternachtsſtunde zu ſpuken; nur daß, ſobald
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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