und gähnt. Seine Seele hat nicht Lust, sich um Geistessachen zu mühen, der weite Umfang ihres Tempels ist hinreichend zu ihrer Weide. --
Die fleißige Hausfrau sitzt am Nährahmen und arbeitet für die Familie. Ein starker Knall, sie horchet auf. -- Noch einmal, sie sieht aus dem Fenster. Nun will sie sich nicht weiter darum kümmern; denn sie hat zu thun. Es schallt noch einmal, und sie horcht doch wieder auf: -- denn starke Eindrücke erzwingen die Aufmerksamkeit.
Ferdinand kömmt aus einer frohen, ihn in- teressirenden Gesellschaft auf sein Zimmer. Er nimmt seinen Euclid, um dem Beweise weiter nachzudenken, den er noch nicht gefaßt hatte: und will ganz darauf merken. Allein zwischen jedem Satz der Demonstration blitzt die Vorstel- lung von dem genoßnen Vergnügen auf, und trifft ihn -- er muß auf sie merken. --
Sorgfältig merkt der Reisende auf die Schön- heiten der Stadt, welche er zum erstenmal sieht; indeß die Bürger derselben unaufmerksam vor- übergehn. Jenem sind sie neu und regen daher die Begierde seiner Seele an, durch ihre Erkennt- niß die Summe der Vorstellungen, welche sie umfaßt, zu vermehren: Diese haben sie schon oft gesehen, und indem sie glauben, die Merkwür- digkeiten ihres Wohnorts zu kennen, halten sie
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und gaͤhnt. Seine Seele hat nicht Luſt, ſich um Geiſtesſachen zu muͤhen, der weite Umfang ihres Tempels iſt hinreichend zu ihrer Weide. —
Die fleißige Hausfrau ſitzt am Naͤhrahmen und arbeitet fuͤr die Familie. Ein ſtarker Knall, ſie horchet auf. — Noch einmal, ſie ſieht aus dem Fenſter. Nun will ſie ſich nicht weiter darum kuͤmmern; denn ſie hat zu thun. Es ſchallt noch einmal, und ſie horcht doch wieder auf: — denn ſtarke Eindruͤcke erzwingen die Aufmerkſamkeit.
Ferdinand koͤmmt aus einer frohen, ihn in- tereſſirenden Geſellſchaft auf ſein Zimmer. Er nimmt ſeinen Euclid, um dem Beweiſe weiter nachzudenken, den er noch nicht gefaßt hatte: und will ganz darauf merken. Allein zwiſchen jedem Satz der Demonſtration blitzt die Vorſtel- lung von dem genoßnen Vergnuͤgen auf, und trifft ihn — er muß auf ſie merken. —
Sorgfaͤltig merkt der Reiſende auf die Schoͤn- heiten der Stadt, welche er zum erſtenmal ſieht; indeß die Buͤrger derſelben unaufmerkſam vor- uͤbergehn. Jenem ſind ſie neu und regen daher die Begierde ſeiner Seele an, durch ihre Erkennt- niß die Summe der Vorſtellungen, welche ſie umfaßt, zu vermehren: Dieſe haben ſie ſchon oft geſehen, und indem ſie glauben, die Merkwuͤr- digkeiten ihres Wohnorts zu kennen, halten ſie
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und gaͤhnt. Seine Seele hat nicht Luſt, ſich um
Geiſtesſachen zu muͤhen, der weite Umfang ihres
Tempels iſt hinreichend zu ihrer Weide. —
Die fleißige Hausfrau ſitzt am Naͤhrahmen
und arbeitet fuͤr die Familie. Ein ſtarker Knall,
ſie horchet auf. — Noch einmal, ſie ſieht aus
dem Fenſter. Nun will ſie ſich nicht weiter darum
kuͤmmern; denn ſie hat zu thun. Es ſchallt noch
einmal, und ſie horcht doch wieder auf: — denn
ſtarke Eindruͤcke erzwingen die Aufmerkſamkeit.
Ferdinand koͤmmt aus einer frohen, ihn in-
tereſſirenden Geſellſchaft auf ſein Zimmer. Er
nimmt ſeinen Euclid, um dem Beweiſe weiter
nachzudenken, den er noch nicht gefaßt hatte:
und will ganz darauf merken. Allein zwiſchen
jedem Satz der Demonſtration blitzt die Vorſtel-
lung von dem genoßnen Vergnuͤgen auf, und trifft
ihn — er muß auf ſie merken. —
Sorgfaͤltig merkt der Reiſende auf die Schoͤn-
heiten der Stadt, welche er zum erſtenmal ſieht;
indeß die Buͤrger derſelben unaufmerkſam vor-
uͤbergehn. Jenem ſind ſie neu und regen daher
die Begierde ſeiner Seele an, durch ihre Erkennt-
niß die Summe der Vorſtellungen, welche ſie
umfaßt, zu vermehren: Dieſe haben ſie ſchon oft
geſehen, und indem ſie glauben, die Merkwuͤr-
digkeiten ihres Wohnorts zu kennen, halten ſie
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/57>, abgerufen am 16.02.2025.
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