Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
Er mag mit Dornen dräun, von Klippen starren,
Bey jedem Schritte mögen Ungeheuer
Sich mir entgegen stürzen.
Mich erschreckt kein Hinderniß, kein Feind,
Jch folge dir!*) --
III.
Bilde die Einbildungskraft zum Vortheil
des Verstandes
.

Auch dem Verstande, das heißt, dem Denk-
vermögen des Menschen, kann die Phantasie nach-
theilig und vortheilhaft werden: das erste, wenn
sie sich der Oberherrschaft bemächtiget, den Ver-
stand durch ihre Träumereyen bethört, ihm ihre
Einbildungen für Wahrheit verkauft, und ihm
nicht erlaubt, sein Recht der Kritik aller Vorstel-
lungen zu gebrauchen; wie wir davon oben in den
Schwärmern und Verrückten Beyspiele gesehen
haben: das zweyte, wenn sie, was ihre Bestimmung
ist, dem Verstande in der Belebung und Verdeutli-
chung seiner Begriffe behülflich ist, das Allgemeine
im Einzelnen vorstellt, und die abstrakten Wahr-
heiten versinnlicht.

Um dem nachtheiligen Einfluß, welchen die
Phantasie auf das Denkvermögen haben kann,

vor-
*) Die Wahl des Herkules, ein lyrisches Drama.
D. Merk. 1773. Aug. 133.
T
Er mag mit Dornen draͤun, von Klippen ſtarren,
Bey jedem Schritte moͤgen Ungeheuer
Sich mir entgegen ſtuͤrzen.
Mich erſchreckt kein Hinderniß, kein Feind,
Jch folge dir!*)
III.
Bilde die Einbildungskraft zum Vortheil
des Verſtandes
.

Auch dem Verſtande, das heißt, dem Denk-
vermoͤgen des Menſchen, kann die Phantaſie nach-
theilig und vortheilhaft werden: das erſte, wenn
ſie ſich der Oberherrſchaft bemaͤchtiget, den Ver-
ſtand durch ihre Traͤumereyen bethoͤrt, ihm ihre
Einbildungen fuͤr Wahrheit verkauft, und ihm
nicht erlaubt, ſein Recht der Kritik aller Vorſtel-
lungen zu gebrauchen; wie wir davon oben in den
Schwaͤrmern und Verruͤckten Beyſpiele geſehen
haben: das zweyte, wenn ſie, was ihre Beſtimmung
iſt, dem Verſtande in der Belebung und Verdeutli-
chung ſeiner Begriffe behuͤlflich iſt, das Allgemeine
im Einzelnen vorſtellt, und die abſtrakten Wahr-
heiten verſinnlicht.

Um dem nachtheiligen Einfluß, welchen die
Phantaſie auf das Denkvermoͤgen haben kann,

vor-
*) Die Wahl des Herkules, ein lyriſches Drama.
D. Merk. 1773. Aug. 133.
T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <cit>
              <quote><pb facs="#f0313" n="289"/>
Er mag mit Dornen dra&#x0364;un, von Klippen &#x017F;tarren,<lb/>
Bey jedem Schritte mo&#x0364;gen Ungeheuer<lb/>
Sich mir entgegen &#x017F;tu&#x0364;rzen.<lb/>
Mich er&#x017F;chreckt kein Hinderniß, kein Feind,<lb/>
Jch folge dir!<note place="foot" n="*)">Die Wahl des Herkules, ein lyri&#x017F;ches Drama.<lb/>
D. Merk. 1773. Aug. 133.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T</fw></note> &#x2014;</quote>
            </cit>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">III</hi>.<lb/><hi rendition="#b">Bilde die Einbildungskraft zum Vortheil<lb/>
des Ver&#x017F;tandes</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p>Auch dem Ver&#x017F;tande, das heißt, dem Denk-<lb/>
vermo&#x0364;gen des Men&#x017F;chen, kann die Phanta&#x017F;ie nach-<lb/>
theilig und vortheilhaft werden: das er&#x017F;te, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich der Oberherr&#x017F;chaft bema&#x0364;chtiget, den Ver-<lb/>
&#x017F;tand durch ihre Tra&#x0364;umereyen betho&#x0364;rt, ihm ihre<lb/>
Einbildungen fu&#x0364;r Wahrheit verkauft, und ihm<lb/>
nicht erlaubt, &#x017F;ein Recht der Kritik aller Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen zu gebrauchen; wie wir davon oben in den<lb/>
Schwa&#x0364;rmern und Verru&#x0364;ckten Bey&#x017F;piele ge&#x017F;ehen<lb/>
haben: das zweyte, wenn &#x017F;ie, was ihre Be&#x017F;timmung<lb/>
i&#x017F;t, dem Ver&#x017F;tande in der Belebung und Verdeutli-<lb/>
chung &#x017F;einer Begriffe behu&#x0364;lflich i&#x017F;t, das Allgemeine<lb/>
im Einzelnen vor&#x017F;tellt, und die ab&#x017F;trakten Wahr-<lb/>
heiten ver&#x017F;innlicht.</p><lb/>
            <p>Um dem nachtheiligen Einfluß, welchen die<lb/>
Phanta&#x017F;ie auf das Denkvermo&#x0364;gen haben kann,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vor-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0313] Er mag mit Dornen draͤun, von Klippen ſtarren, Bey jedem Schritte moͤgen Ungeheuer Sich mir entgegen ſtuͤrzen. Mich erſchreckt kein Hinderniß, kein Feind, Jch folge dir! *) — III. Bilde die Einbildungskraft zum Vortheil des Verſtandes. Auch dem Verſtande, das heißt, dem Denk- vermoͤgen des Menſchen, kann die Phantaſie nach- theilig und vortheilhaft werden: das erſte, wenn ſie ſich der Oberherrſchaft bemaͤchtiget, den Ver- ſtand durch ihre Traͤumereyen bethoͤrt, ihm ihre Einbildungen fuͤr Wahrheit verkauft, und ihm nicht erlaubt, ſein Recht der Kritik aller Vorſtel- lungen zu gebrauchen; wie wir davon oben in den Schwaͤrmern und Verruͤckten Beyſpiele geſehen haben: das zweyte, wenn ſie, was ihre Beſtimmung iſt, dem Verſtande in der Belebung und Verdeutli- chung ſeiner Begriffe behuͤlflich iſt, das Allgemeine im Einzelnen vorſtellt, und die abſtrakten Wahr- heiten verſinnlicht. Um dem nachtheiligen Einfluß, welchen die Phantaſie auf das Denkvermoͤgen haben kann, vor- *) Die Wahl des Herkules, ein lyriſches Drama. D. Merk. 1773. Aug. 133. T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/313
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/313>, abgerufen am 18.12.2024.