So wie nun der fleißige Naturforscher die Werke der Natur sorgfältig beobachtet und samm- let, um seine Einsicht in ihren Zweck und Plan immer mehr und mehr zu erweitern; so müssen wir auch die Freuden sorgfältig aufsuchen und sammeln, um von dem Zweck ihres Daseyns, die Menschen glückselig zu machen, Nutzen für unser Herz zu ziehen.
Jch weiß überhaupt außer der Tugend kein besseres Mittel den Gleichmuth und die Ruhe zu erhalten, als die fleißige Unterhaltung mit der Natur. Diese gewöhnt das Herz an erhabne, reine und uneigennützige Freuden -- giebt immer aus ihrem Schatz, und ist immer neu. -- Und die Wahrnehmung, daß zwar in der Natur ein immerwährender Wechsel von Entstehen und Ver- gehen -- eine Mischung von Unvollkommenheit und Vollkommenheit ist; indeß der Gang der Ver- vollkommung doch ungestört bleibt, und vielmehr durch jene Unvollkommenheiten befördert wird; diese Wahrnehmung geht in das Herz analogisch über, und hält den Muth auch in wirklichen Lei- den durch die Hofnung aufrecht, daß des Men- schen Schicksal keine Ausnahme von der Regel der Natur machen wird, sondern seine Uebel und Leiden selbst ein Beförderungsmittel seiner Ver- vollkommung sind.
So
So wie nun der fleißige Naturforſcher die Werke der Natur ſorgfaͤltig beobachtet und ſamm- let, um ſeine Einſicht in ihren Zweck und Plan immer mehr und mehr zu erweitern; ſo muͤſſen wir auch die Freuden ſorgfaͤltig aufſuchen und ſammeln, um von dem Zweck ihres Daſeyns, die Menſchen gluͤckſelig zu machen, Nutzen fuͤr unſer Herz zu ziehen.
Jch weiß uͤberhaupt außer der Tugend kein beſſeres Mittel den Gleichmuth und die Ruhe zu erhalten, als die fleißige Unterhaltung mit der Natur. Dieſe gewoͤhnt das Herz an erhabne, reine und uneigennuͤtzige Freuden — giebt immer aus ihrem Schatz, und iſt immer neu. — Und die Wahrnehmung, daß zwar in der Natur ein immerwaͤhrender Wechſel von Entſtehen und Ver- gehen — eine Miſchung von Unvollkommenheit und Vollkommenheit iſt; indeß der Gang der Ver- vollkommung doch ungeſtoͤrt bleibt, und vielmehr durch jene Unvollkommenheiten befoͤrdert wird; dieſe Wahrnehmung geht in das Herz analogiſch uͤber, und haͤlt den Muth auch in wirklichen Lei- den durch die Hofnung aufrecht, daß des Men- ſchen Schickſal keine Ausnahme von der Regel der Natur machen wird, ſondern ſeine Uebel und Leiden ſelbſt ein Befoͤrderungsmittel ſeiner Ver- vollkommung ſind.
So
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0293"n="269"/><p>So wie nun der fleißige Naturforſcher die<lb/>
Werke der Natur ſorgfaͤltig beobachtet und ſamm-<lb/>
let, um ſeine Einſicht in ihren Zweck und Plan<lb/>
immer mehr und mehr zu erweitern; ſo muͤſſen<lb/>
wir auch die Freuden ſorgfaͤltig aufſuchen und<lb/>ſammeln, um von dem Zweck ihres Daſeyns,<lb/>
die Menſchen gluͤckſelig zu machen, Nutzen fuͤr<lb/>
unſer Herz zu ziehen.</p><lb/><p>Jch weiß uͤberhaupt außer der Tugend kein<lb/>
beſſeres Mittel den Gleichmuth und die Ruhe zu<lb/>
erhalten, als die fleißige Unterhaltung mit der<lb/>
Natur. Dieſe gewoͤhnt das Herz an erhabne,<lb/>
reine und uneigennuͤtzige Freuden — giebt immer<lb/>
aus ihrem Schatz, und iſt immer neu. — Und<lb/>
die Wahrnehmung, daß zwar in der Natur ein<lb/>
immerwaͤhrender Wechſel von Entſtehen und Ver-<lb/>
gehen — eine Miſchung von Unvollkommenheit<lb/>
und Vollkommenheit iſt; indeß der Gang der Ver-<lb/>
vollkommung doch ungeſtoͤrt bleibt, und vielmehr<lb/>
durch jene Unvollkommenheiten befoͤrdert wird;<lb/>
dieſe Wahrnehmung geht in das Herz analogiſch<lb/>
uͤber, und haͤlt den Muth auch in wirklichen Lei-<lb/>
den durch die Hofnung aufrecht, daß des Men-<lb/>ſchen Schickſal keine Ausnahme von der Regel<lb/>
der Natur machen wird, ſondern ſeine Uebel und<lb/>
Leiden ſelbſt ein Befoͤrderungsmittel ſeiner Ver-<lb/>
vollkommung ſind.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">So</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[269/0293]
So wie nun der fleißige Naturforſcher die
Werke der Natur ſorgfaͤltig beobachtet und ſamm-
let, um ſeine Einſicht in ihren Zweck und Plan
immer mehr und mehr zu erweitern; ſo muͤſſen
wir auch die Freuden ſorgfaͤltig aufſuchen und
ſammeln, um von dem Zweck ihres Daſeyns,
die Menſchen gluͤckſelig zu machen, Nutzen fuͤr
unſer Herz zu ziehen.
Jch weiß uͤberhaupt außer der Tugend kein
beſſeres Mittel den Gleichmuth und die Ruhe zu
erhalten, als die fleißige Unterhaltung mit der
Natur. Dieſe gewoͤhnt das Herz an erhabne,
reine und uneigennuͤtzige Freuden — giebt immer
aus ihrem Schatz, und iſt immer neu. — Und
die Wahrnehmung, daß zwar in der Natur ein
immerwaͤhrender Wechſel von Entſtehen und Ver-
gehen — eine Miſchung von Unvollkommenheit
und Vollkommenheit iſt; indeß der Gang der Ver-
vollkommung doch ungeſtoͤrt bleibt, und vielmehr
durch jene Unvollkommenheiten befoͤrdert wird;
dieſe Wahrnehmung geht in das Herz analogiſch
uͤber, und haͤlt den Muth auch in wirklichen Lei-
den durch die Hofnung aufrecht, daß des Men-
ſchen Schickſal keine Ausnahme von der Regel
der Natur machen wird, ſondern ſeine Uebel und
Leiden ſelbſt ein Befoͤrderungsmittel ſeiner Ver-
vollkommung ſind.
So
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/293>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.