Die Einbildungskraft kann für den Menschen eine Quelle der Freuden oder der Leiden werden.
Sie kann die Freundin der Tugend seyn; aber auch die Kuplerin des Lasters.
Sie kann dem Verstande leuchten; aber auch denselben verblenden.
So wählt denn, Jünglinge und Mädchen, die Jhr es noch ganz in Eurer Gewalt habt, die- se gelenksame Kraft Eurer Seele zu leiten, wo- hin Jhr wollt; wählt, welches das Ziel Eurer Arbeit werden soll! Jhr bestimmt Euch gewiß alle dies herrliche Geschenk der Gottheit, von dem höchsten Verstande erfunden, und der väterlich- sten Güte verliehn, zu den guten Zwecken, die dasselbe befördern kann, zu gebrauchen, und ich kann daher auf Eure Zufriedenheit rechnen, wenn ich versuche, in den folgenden Blättern, eine kurze Anweisung zu geben, was man zu thun hat, wenn die Absicht, die Phantasie zur Be- förderung der Glückseligkeit und Vollkommenheit zu nutzen, erreicht werden soll.
I. Bilde die Einbildungskraft so, daß sie für dich eine Quelle der Freude wird.
O sie kann auch eine Quelle der Leiden wer- den! denn sie findet Stoff genug im Reich der
Mög-
R 5
Die Einbildungskraft kann fuͤr den Menſchen eine Quelle der Freuden oder der Leiden werden.
Sie kann die Freundin der Tugend ſeyn; aber auch die Kuplerin des Laſters.
Sie kann dem Verſtande leuchten; aber auch denſelben verblenden.
So waͤhlt denn, Juͤnglinge und Maͤdchen, die Jhr es noch ganz in Eurer Gewalt habt, die- ſe gelenkſame Kraft Eurer Seele zu leiten, wo- hin Jhr wollt; waͤhlt, welches das Ziel Eurer Arbeit werden ſoll! Jhr beſtimmt Euch gewiß alle dies herrliche Geſchenk der Gottheit, von dem hoͤchſten Verſtande erfunden, und der vaͤterlich- ſten Guͤte verliehn, zu den guten Zwecken, die daſſelbe befoͤrdern kann, zu gebrauchen, und ich kann daher auf Eure Zufriedenheit rechnen, wenn ich verſuche, in den folgenden Blaͤttern, eine kurze Anweiſung zu geben, was man zu thun hat, wenn die Abſicht, die Phantaſie zur Be- foͤrderung der Gluͤckſeligkeit und Vollkommenheit zu nutzen, erreicht werden ſoll.
I. Bilde die Einbildungskraft ſo, daß ſie fuͤr dich eine Quelle der Freude wird.
O ſie kann auch eine Quelle der Leiden wer- den! denn ſie findet Stoff genug im Reich der
Moͤg-
R 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0289"n="265"/><p><hirendition="#b">Die Einbildungskraft kann fuͤr den<lb/>
Menſchen eine Quelle der Freuden oder der<lb/>
Leiden werden.</hi></p><lb/><p><hirendition="#b">Sie kann die Freundin der Tugend ſeyn;<lb/>
aber auch die Kuplerin des Laſters.</hi></p><lb/><p><hirendition="#b">Sie kann dem Verſtande leuchten; aber<lb/>
auch denſelben verblenden.</hi></p><lb/><p>So waͤhlt denn, Juͤnglinge und Maͤdchen,<lb/>
die Jhr es noch ganz in Eurer Gewalt habt, die-<lb/>ſe gelenkſame Kraft Eurer Seele zu leiten, wo-<lb/>
hin Jhr wollt; waͤhlt, welches das Ziel Eurer<lb/>
Arbeit werden ſoll! Jhr beſtimmt Euch gewiß<lb/>
alle dies herrliche Geſchenk der Gottheit, von dem<lb/>
hoͤchſten Verſtande erfunden, und der vaͤterlich-<lb/>ſten Guͤte verliehn, zu den <hirendition="#b">guten</hi> Zwecken, die<lb/>
daſſelbe befoͤrdern kann, zu gebrauchen, und ich<lb/>
kann daher auf Eure Zufriedenheit rechnen,<lb/>
wenn ich verſuche, in den folgenden Blaͤttern,<lb/>
eine kurze Anweiſung zu geben, was man zu thun<lb/>
hat, wenn die Abſicht, die Phantaſie zur Be-<lb/>
foͤrderung der Gluͤckſeligkeit und Vollkommenheit<lb/>
zu nutzen, erreicht werden ſoll.</p><lb/><divn="3"><head><hirendition="#c"><hirendition="#aq">I</hi>.<lb/><hirendition="#b">Bilde die Einbildungskraft ſo, daß ſie fuͤr<lb/>
dich eine Quelle der Freude wird.</hi></hi></head><lb/><p>O ſie kann auch eine Quelle der Leiden wer-<lb/>
den! denn ſie findet Stoff genug im Reich der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Moͤg-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[265/0289]
Die Einbildungskraft kann fuͤr den
Menſchen eine Quelle der Freuden oder der
Leiden werden.
Sie kann die Freundin der Tugend ſeyn;
aber auch die Kuplerin des Laſters.
Sie kann dem Verſtande leuchten; aber
auch denſelben verblenden.
So waͤhlt denn, Juͤnglinge und Maͤdchen,
die Jhr es noch ganz in Eurer Gewalt habt, die-
ſe gelenkſame Kraft Eurer Seele zu leiten, wo-
hin Jhr wollt; waͤhlt, welches das Ziel Eurer
Arbeit werden ſoll! Jhr beſtimmt Euch gewiß
alle dies herrliche Geſchenk der Gottheit, von dem
hoͤchſten Verſtande erfunden, und der vaͤterlich-
ſten Guͤte verliehn, zu den guten Zwecken, die
daſſelbe befoͤrdern kann, zu gebrauchen, und ich
kann daher auf Eure Zufriedenheit rechnen,
wenn ich verſuche, in den folgenden Blaͤttern,
eine kurze Anweiſung zu geben, was man zu thun
hat, wenn die Abſicht, die Phantaſie zur Be-
foͤrderung der Gluͤckſeligkeit und Vollkommenheit
zu nutzen, erreicht werden ſoll.
I.
Bilde die Einbildungskraft ſo, daß ſie fuͤr
dich eine Quelle der Freude wird.
O ſie kann auch eine Quelle der Leiden wer-
den! denn ſie findet Stoff genug im Reich der
Moͤg-
R 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/289>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.