Wie bey der Schwärmerey des Begehrens, so auch bey der des Verabscheuens. Da ist keine Vollkommenheit, welche nicht vernichtet, keine Unvollkommenheit, welche dem schwärmerisch ver- abscheuten Gegenstande nicht zugeeignet würde. Wie sehr hat in unsern Tagen nicht der ehrwür- dige Stand der Geistlichen die Wahrheit dieser Behauptung fühlen müssen! Wie haben sich diejenigen, welche da glauben, daß Verachtung der Religion und ihrer Verkündiger Aufklärung heiße, bemüht, alle schwarze Merkmale zusam- menzufinden, und sie insgesamt in dem Begrif Priester zu vereinigen! Alles, was irgend ein Bösewicht im Priesterkleide in dem barbarischen Zeitalter der Hierarchie ausgeübt hat, ist begierig aufgehascht, und mit mancher Hyperbel dem gan- zen Stande zugeeignet worden.
Jch will hier nicht mehr Züge der sinnlichen Schwärmerey aufzeichnen, weil ich bey der Schil- derung der einzelnen Leidenschaften Gelegenheit ha- ben werde, darauf zurückzukommen, und nicht gesonnen bin zweymal dasselbe zu sagen. -- Jch füge hier noch einige Bemerkungen über die bey- den Arten der geistigen Schwärmerey an. Zu- erst von der intellektuellen oder Verstandesschwär- merey.
Hieher zähle ich alle diejenigen, welche in Wissenschaften und Künsten nicht mit dem Ver-
stande
Q 2
Wie bey der Schwaͤrmerey des Begehrens, ſo auch bey der des Verabſcheuens. Da iſt keine Vollkommenheit, welche nicht vernichtet, keine Unvollkommenheit, welche dem ſchwaͤrmeriſch ver- abſcheuten Gegenſtande nicht zugeeignet wuͤrde. Wie ſehr hat in unſern Tagen nicht der ehrwuͤr- dige Stand der Geiſtlichen die Wahrheit dieſer Behauptung fuͤhlen muͤſſen! Wie haben ſich diejenigen, welche da glauben, daß Verachtung der Religion und ihrer Verkuͤndiger Aufklaͤrung heiße, bemuͤht, alle ſchwarze Merkmale zuſam- menzufinden, und ſie insgeſamt in dem Begrif Prieſter zu vereinigen! Alles, was irgend ein Boͤſewicht im Prieſterkleide in dem barbariſchen Zeitalter der Hierarchie ausgeuͤbt hat, iſt begierig aufgehaſcht, und mit mancher Hyperbel dem gan- zen Stande zugeeignet worden.
Jch will hier nicht mehr Zuͤge der ſinnlichen Schwaͤrmerey aufzeichnen, weil ich bey der Schil- derung der einzelnen Leidenſchaften Gelegenheit ha- ben werde, darauf zuruͤckzukommen, und nicht geſonnen bin zweymal daſſelbe zu ſagen. — Jch fuͤge hier noch einige Bemerkungen uͤber die bey- den Arten der geiſtigen Schwaͤrmerey an. Zu- erſt von der intellektuellen oder Verſtandesſchwaͤr- merey.
Hieher zaͤhle ich alle diejenigen, welche in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten nicht mit dem Ver-
ſtande
Q 2
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Wie bey der Schwaͤrmerey des Begehrens,
ſo auch bey der des Verabſcheuens. Da iſt keine
Vollkommenheit, welche nicht vernichtet, keine
Unvollkommenheit, welche dem ſchwaͤrmeriſch ver-
abſcheuten Gegenſtande nicht zugeeignet wuͤrde.
Wie ſehr hat in unſern Tagen nicht der ehrwuͤr-
dige Stand der Geiſtlichen die Wahrheit dieſer
Behauptung fuͤhlen muͤſſen! Wie haben ſich
diejenigen, welche da glauben, daß Verachtung
der Religion und ihrer Verkuͤndiger Aufklaͤrung
heiße, bemuͤht, alle ſchwarze Merkmale zuſam-
menzufinden, und ſie insgeſamt in dem Begrif
Prieſter zu vereinigen! Alles, was irgend ein
Boͤſewicht im Prieſterkleide in dem barbariſchen
Zeitalter der Hierarchie ausgeuͤbt hat, iſt begierig
aufgehaſcht, und mit mancher Hyperbel dem gan-
zen Stande zugeeignet worden.
Jch will hier nicht mehr Zuͤge der ſinnlichen
Schwaͤrmerey aufzeichnen, weil ich bey der Schil-
derung der einzelnen Leidenſchaften Gelegenheit ha-
ben werde, darauf zuruͤckzukommen, und nicht
geſonnen bin zweymal daſſelbe zu ſagen. — Jch
fuͤge hier noch einige Bemerkungen uͤber die bey-
den Arten der geiſtigen Schwaͤrmerey an. Zu-
erſt von der intellektuellen oder Verſtandesſchwaͤr-
merey.
Hieher zaͤhle ich alle diejenigen, welche in
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/267>, abgerufen am 16.02.2025.
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