kaltes Fieber blasen, wenn ich daran dächte, wel- chen Schaden ein zu starker Wind auf der See thun könnte. Jch würde den Sand nicht durch das Stundenglas laufen sehn, daß ich nicht an Sandbänke dächte, und meinen reichen Andreas (der Name des Schifs) schon strandend säh, wie er seinen hohen Mast über seine Seiten herab- bückte, um sein Grabmal zu küssen. Würde ich zur Kirche gehn, und das heilige steinerne Grabmal betrachten, und nicht sogleich an gefähr- liche Felsen denken, welche die Seite meines schö- nen Schifs nur berühren dürfen, um alle die Specereyen auf das Meer auszuschütten, die brausenden Fluthen in meine Stoffe zu kleiden, und mit einem Worte, itzt so viel werth, und itzt nichts werth, einander gleich zu machen?
Keine Vollkommenheit bleibt übrig, welche dem Gegenstand, der Herz und Phantasie ent- zündet, nicht angedichtet; keine Unvollkommenheit, die nicht überstrichen würde. Es geht, wie Ariost von der Liebe sagt: Was Menschen sehen, macht die Liebe unsichtbar; das Unsichtbare sichtbar*).
Wie
Would scatter all the spices on the stream Enrobe the roaring waters with my Silks, And, in a word, but even now worth this, And now worth nothing? --
*)Quel, che l'uom vede, amor le fa inuisibile E l'inuisibel fa veder amore.
kaltes Fieber blaſen, wenn ich daran daͤchte, wel- chen Schaden ein zu ſtarker Wind auf der See thun koͤnnte. Jch wuͤrde den Sand nicht durch das Stundenglas laufen ſehn, daß ich nicht an Sandbaͤnke daͤchte, und meinen reichen Andreas (der Name des Schifs) ſchon ſtrandend ſaͤh, wie er ſeinen hohen Maſt uͤber ſeine Seiten herab- buͤckte, um ſein Grabmal zu kuͤſſen. Wuͤrde ich zur Kirche gehn, und das heilige ſteinerne Grabmal betrachten, und nicht ſogleich an gefaͤhr- liche Felſen denken, welche die Seite meines ſchoͤ- nen Schifs nur beruͤhren duͤrfen, um alle die Specereyen auf das Meer auszuſchuͤtten, die brauſenden Fluthen in meine Stoffe zu kleiden, und mit einem Worte, itzt ſo viel werth, und itzt nichts werth, einander gleich zu machen?
Keine Vollkommenheit bleibt uͤbrig, welche dem Gegenſtand, der Herz und Phantaſie ent- zuͤndet, nicht angedichtet; keine Unvollkommenheit, die nicht uͤberſtrichen wuͤrde. Es geht, wie Arioſt von der Liebe ſagt: Was Menſchen ſehen, macht die Liebe unſichtbar; das Unſichtbare ſichtbar*).
Wie
Would ſcatter all the ſpices on the ſtream Enrobe the roaring waters with my Silks, And, in a word, but even now worth this, And now worth nothing? —
*)Quel, che l'uom vede, amor le fa inuiſibile E l'inuiſibel fa veder amore.
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kaltes Fieber blaſen, wenn ich daran daͤchte, wel-
chen Schaden ein zu ſtarker Wind auf der See
thun koͤnnte. Jch wuͤrde den Sand nicht durch
das Stundenglas laufen ſehn, daß ich nicht an
Sandbaͤnke daͤchte, und meinen reichen Andreas
(der Name des Schifs) ſchon ſtrandend ſaͤh, wie
er ſeinen hohen Maſt uͤber ſeine Seiten herab-
buͤckte, um ſein Grabmal zu kuͤſſen. Wuͤrde
ich zur Kirche gehn, und das heilige ſteinerne
Grabmal betrachten, und nicht ſogleich an gefaͤhr-
liche Felſen denken, welche die Seite meines ſchoͤ-
nen Schifs nur beruͤhren duͤrfen, um alle die
Specereyen auf das Meer auszuſchuͤtten, die
brauſenden Fluthen in meine Stoffe zu kleiden,
und mit einem Worte, itzt ſo viel werth, und
itzt nichts werth, einander gleich zu machen?
Keine Vollkommenheit bleibt uͤbrig, welche
dem Gegenſtand, der Herz und Phantaſie ent-
zuͤndet, nicht angedichtet; keine Unvollkommenheit,
die nicht uͤberſtrichen wuͤrde. Es geht, wie Arioſt
von der Liebe ſagt: Was Menſchen ſehen, macht
die Liebe unſichtbar; das Unſichtbare ſichtbar *).
Wie
*)
*) Quel, che l'uom vede, amor le fa inuiſibile
E l'inuiſibel fa veder amore.
*) Would ſcatter all the ſpices on the ſtream
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/266>, abgerufen am 16.02.2025.
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