in Aufruhr zu bringen suchen, so verabscheuen wir in ihnen unsinnige Schwärmer, welche nicht für ein wahrhaftes Gut, sondern für Grillen, bey denen sie allein vielleicht ihre Rechnung fin- den, ihre Thätigkeit anspannen und ihr Leben wagen.
Schwärmen ist überhaupt lautes Ausschwei- fen, und die jedesmalige Ursache davon eine erhitzte, nicht von der Vernunft gefüllte, oder wenigstens von ihr nicht geleitete Phantasie. Der Gegenstand desselben aber kann entweder ein wirk- liches Ding oder eine Chimäre seyn. Jenes macht zum Schwärmer, wenn es die Leidenschaft über die Gebühr anregt, weil die Phantasie es mit Eigenschaften und Vollkommenheiten behängt, die es nicht hat, und die Vernunft nicht stark ge- nug ist, durch ihre Einsicht des wahren Werths des Gegenstandes die Einbildungskraft zu beleh- ren und zu leiten. Dieses erzeugt Schwärmerey, in so fern es den Menschen verleitet, in unbe- gränzten Regionen umherzuschweifen, wo für ihn nichts als Täuschung und Trug ist, und sein Herz gereizt wird, ohne gesättigt zu werden.
Leidenschaft ist die Seele jeder Schwärmerey, selbst derjenigen, welche sich mit dem Mantel der Jn- dolenz und Ertödtung aller Leidenschaften behängt. Denn nur Leidenschaft kann der Thatkraft solchen Schwung und solche Richtungen geben, als wir
sie
in Aufruhr zu bringen ſuchen, ſo verabſcheuen wir in ihnen unſinnige Schwaͤrmer, welche nicht fuͤr ein wahrhaftes Gut, ſondern fuͤr Grillen, bey denen ſie allein vielleicht ihre Rechnung fin- den, ihre Thaͤtigkeit anſpannen und ihr Leben wagen.
Schwaͤrmen iſt uͤberhaupt lautes Ausſchwei- fen, und die jedesmalige Urſache davon eine erhitzte, nicht von der Vernunft gefuͤllte, oder wenigſtens von ihr nicht geleitete Phantaſie. Der Gegenſtand deſſelben aber kann entweder ein wirk- liches Ding oder eine Chimaͤre ſeyn. Jenes macht zum Schwaͤrmer, wenn es die Leidenſchaft uͤber die Gebuͤhr anregt, weil die Phantaſie es mit Eigenſchaften und Vollkommenheiten behaͤngt, die es nicht hat, und die Vernunft nicht ſtark ge- nug iſt, durch ihre Einſicht des wahren Werths des Gegenſtandes die Einbildungskraft zu beleh- ren und zu leiten. Dieſes erzeugt Schwaͤrmerey, in ſo fern es den Menſchen verleitet, in unbe- graͤnzten Regionen umherzuſchweifen, wo fuͤr ihn nichts als Taͤuſchung und Trug iſt, und ſein Herz gereizt wird, ohne geſaͤttigt zu werden.
Leidenſchaft iſt die Seele jeder Schwaͤrmerey, ſelbſt derjenigen, welche ſich mit dem Mantel der Jn- dolenz und Ertoͤdtung aller Leidenſchaften behaͤngt. Denn nur Leidenſchaft kann der Thatkraft ſolchen Schwung und ſolche Richtungen geben, als wir
ſie
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in Aufruhr zu bringen ſuchen, ſo verabſcheuen
wir in ihnen unſinnige Schwaͤrmer, welche nicht
fuͤr ein wahrhaftes Gut, ſondern fuͤr Grillen,
bey denen ſie allein vielleicht ihre Rechnung fin-
den, ihre Thaͤtigkeit anſpannen und ihr Leben
wagen.
Schwaͤrmen iſt uͤberhaupt lautes Ausſchwei-
fen, und die jedesmalige Urſache davon eine
erhitzte, nicht von der Vernunft gefuͤllte, oder
wenigſtens von ihr nicht geleitete Phantaſie. Der
Gegenſtand deſſelben aber kann entweder ein wirk-
liches Ding oder eine Chimaͤre ſeyn. Jenes
macht zum Schwaͤrmer, wenn es die Leidenſchaft
uͤber die Gebuͤhr anregt, weil die Phantaſie es
mit Eigenſchaften und Vollkommenheiten behaͤngt,
die es nicht hat, und die Vernunft nicht ſtark ge-
nug iſt, durch ihre Einſicht des wahren Werths
des Gegenſtandes die Einbildungskraft zu beleh-
ren und zu leiten. Dieſes erzeugt Schwaͤrmerey,
in ſo fern es den Menſchen verleitet, in unbe-
graͤnzten Regionen umherzuſchweifen, wo fuͤr ihn
nichts als Taͤuſchung und Trug iſt, und ſein
Herz gereizt wird, ohne geſaͤttigt zu werden.
Leidenſchaft iſt die Seele jeder Schwaͤrmerey,
ſelbſt derjenigen, welche ſich mit dem Mantel der Jn-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/260>, abgerufen am 16.02.2025.
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