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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Grabe nehmt. -- Du bist ein seliger Geist;
aber ich bin an ein feuriges Rad gebunden, wel-
ches meine eignen Thränen gleich zerschmolznem
Bley erhitzt.
*)

Er kniet nieder -- ein dunkler Antrieb, seine
Tochter um Vergebung zu flehen, beugt ihm die
Knie -- und da Kordelia um seinen Segen bit-
tet, und ihm sagt: "Nein, Mylord, ihr müßt
nicht knien," antwortet er: "O, spotte meiner
nicht; ich bin ein sehr thörichter kindischer Greis,
achtzig Jahr und drüber; nicht eine Stunde mehr
oder weniger; und, aufrichtig zu reden, ich
fürchte, ich bin nicht so ganz bey Verstande.
Mich dünkt, ich soll Euch und diesen Mann hier
kennen; und doch bin ich zweifelhaft; denn ich
weiß gar nicht, was dies für ein Ort ist, und so
viel ich mich auch besinne, kenne ich doch diese
Kleider nicht; nein, ich weiß nicht, wo ich diese
Nacht Herberge genommen habe. Lacht nicht
über mich, denn, so wahr ich lebe, ich denke,
diese Lady hier sey mein Kind Kordelia."
**)

Die zärtliche Begegnung seiner Tochter voll-
endete die von der Natur angefangne Heilung.
Er erkennt sie und die Wahrheit ihrer Liebe ganz;
und nun ist keine Macht im Stande, ihn wieder
von ihr zu trennen, und sein Bewußtseyn

aufs
*) 4. Aufz. 7. Austr.
**) Daselbst.


Grabe nehmt. — Du biſt ein ſeliger Geiſt;
aber ich bin an ein feuriges Rad gebunden, wel-
ches meine eignen Thraͤnen gleich zerſchmolznem
Bley erhitzt.
*)

Er kniet nieder — ein dunkler Antrieb, ſeine
Tochter um Vergebung zu flehen, beugt ihm die
Knie — und da Kordelia um ſeinen Segen bit-
tet, und ihm ſagt: „Nein, Mylord, ihr muͤßt
nicht knien,„ antwortet er: „O, ſpotte meiner
nicht; ich bin ein ſehr thoͤrichter kindiſcher Greis,
achtzig Jahr und druͤber; nicht eine Stunde mehr
oder weniger; und, aufrichtig zu reden, ich
fuͤrchte, ich bin nicht ſo ganz bey Verſtande.
Mich duͤnkt, ich ſoll Euch und dieſen Mann hier
kennen; und doch bin ich zweifelhaft; denn ich
weiß gar nicht, was dies fuͤr ein Ort iſt, und ſo
viel ich mich auch beſinne, kenne ich doch dieſe
Kleider nicht; nein, ich weiß nicht, wo ich dieſe
Nacht Herberge genommen habe. Lacht nicht
uͤber mich, denn, ſo wahr ich lebe, ich denke,
dieſe Lady hier ſey mein Kind Kordelia.„
**)

Die zaͤrtliche Begegnung ſeiner Tochter voll-
endete die von der Natur angefangne Heilung.
Er erkennt ſie und die Wahrheit ihrer Liebe ganz;
und nun iſt keine Macht im Stande, ihn wieder
von ihr zu trennen, und ſein Bewußtſeyn

aufs
*) 4. Aufz. 7. Auſtr.
**) Daſelbſt.
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[207/0231] Grabe nehmt. — Du biſt ein ſeliger Geiſt; aber ich bin an ein feuriges Rad gebunden, wel- ches meine eignen Thraͤnen gleich zerſchmolznem Bley erhitzt. *) Er kniet nieder — ein dunkler Antrieb, ſeine Tochter um Vergebung zu flehen, beugt ihm die Knie — und da Kordelia um ſeinen Segen bit- tet, und ihm ſagt: „Nein, Mylord, ihr muͤßt nicht knien,„ antwortet er: „O, ſpotte meiner nicht; ich bin ein ſehr thoͤrichter kindiſcher Greis, achtzig Jahr und druͤber; nicht eine Stunde mehr oder weniger; und, aufrichtig zu reden, ich fuͤrchte, ich bin nicht ſo ganz bey Verſtande. Mich duͤnkt, ich ſoll Euch und dieſen Mann hier kennen; und doch bin ich zweifelhaft; denn ich weiß gar nicht, was dies fuͤr ein Ort iſt, und ſo viel ich mich auch beſinne, kenne ich doch dieſe Kleider nicht; nein, ich weiß nicht, wo ich dieſe Nacht Herberge genommen habe. Lacht nicht uͤber mich, denn, ſo wahr ich lebe, ich denke, dieſe Lady hier ſey mein Kind Kordelia.„ **) Die zaͤrtliche Begegnung ſeiner Tochter voll- endete die von der Natur angefangne Heilung. Er erkennt ſie und die Wahrheit ihrer Liebe ganz; und nun iſt keine Macht im Stande, ihn wieder von ihr zu trennen, und ſein Bewußtſeyn aufs *) 4. Aufz. 7. Auſtr. **) Daſelbſt.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/231>, abgerufen am 24.11.2024.