verrathen, banden mich, und warfen mich hinter den Ofen. Da durfte ich den Mund nicht auf- thun. Der Geistliche saß oben; jeder flüsterte mit dem andern, als wenn sie feilschten. Dann ward ihnen so bange, daß die Mannspersonen die Kleider und die Weibspersonen die Schürzen weglegten. Mir ward selbst so bang, daß ich nicht mehr zusehen mochte. Jmmer drangen sie in mich, daß ich ihres Glaubens werden sollte. Einmal gab mir der Geistliche etwas ein, daß mir die Seele aus dem Leibe fuhr, und seither habe ich keine Seele mehr. Da ich mich jämmerlich gebehrdete, und meine unschuldigen Kinder retten wollte, nahm sie mir der Mörder weg, sperrte mich in eine vergitterte Kammer ein, und hielt mit seinem andern Weibe Haushaltung, indem er vorgab, ich sey zu den Meinigen gereiset. Mehr als sieben Wochen war ich in dem Gefäng- niß. Einmal schrie ich, als ich an dem Landtag die Procession vorübergehn hörte, da kam der Mörder hinauf, und schlug mich so jämmerlich, daß man noch itzt die Wundmale sehen kann. Endlich gelangs mir, daß ich in einer Nacht weg- laufen konnte. Aber meine Kinder habe ich nicht bey mir; die hätte ich nicht verlassen sollen; der Mörder bringt sie mir um u. s. w.
Jch wünschte, daß der Urheber dieser Erzäh- lung bemerkt hätte, was in dieser Aussage des
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verrathen, banden mich, und warfen mich hinter den Ofen. Da durfte ich den Mund nicht auf- thun. Der Geiſtliche ſaß oben; jeder fluͤſterte mit dem andern, als wenn ſie feilſchten. Dann ward ihnen ſo bange, daß die Mannsperſonen die Kleider und die Weibsperſonen die Schuͤrzen weglegten. Mir ward ſelbſt ſo bang, daß ich nicht mehr zuſehen mochte. Jmmer drangen ſie in mich, daß ich ihres Glaubens werden ſollte. Einmal gab mir der Geiſtliche etwas ein, daß mir die Seele aus dem Leibe fuhr, und ſeither habe ich keine Seele mehr. Da ich mich jaͤmmerlich gebehrdete, und meine unſchuldigen Kinder retten wollte, nahm ſie mir der Moͤrder weg, ſperrte mich in eine vergitterte Kammer ein, und hielt mit ſeinem andern Weibe Haushaltung, indem er vorgab, ich ſey zu den Meinigen gereiſet. Mehr als ſieben Wochen war ich in dem Gefaͤng- niß. Einmal ſchrie ich, als ich an dem Landtag die Proceſſion voruͤbergehn hoͤrte, da kam der Moͤrder hinauf, und ſchlug mich ſo jaͤmmerlich, daß man noch itzt die Wundmale ſehen kann. Endlich gelangs mir, daß ich in einer Nacht weg- laufen konnte. Aber meine Kinder habe ich nicht bey mir; die haͤtte ich nicht verlaſſen ſollen; der Moͤrder bringt ſie mir um u. ſ. w.
Jch wuͤnſchte, daß der Urheber dieſer Erzaͤh- lung bemerkt haͤtte, was in dieſer Ausſage des
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verrathen, banden mich, und warfen mich hinter
den Ofen. Da durfte ich den Mund nicht auf-
thun. Der Geiſtliche ſaß oben; jeder fluͤſterte
mit dem andern, als wenn ſie feilſchten. Dann
ward ihnen ſo bange, daß die Mannsperſonen
die Kleider und die Weibsperſonen die Schuͤrzen
weglegten. Mir ward ſelbſt ſo bang, daß ich
nicht mehr zuſehen mochte. Jmmer drangen ſie
in mich, daß ich ihres Glaubens werden ſollte.
Einmal gab mir der Geiſtliche etwas ein, daß mir
die Seele aus dem Leibe fuhr, und ſeither habe
ich keine Seele mehr. Da ich mich jaͤmmerlich
gebehrdete, und meine unſchuldigen Kinder retten
wollte, nahm ſie mir der Moͤrder weg, ſperrte
mich in eine vergitterte Kammer ein, und hielt
mit ſeinem andern Weibe Haushaltung, indem
er vorgab, ich ſey zu den Meinigen gereiſet.
Mehr als ſieben Wochen war ich in dem Gefaͤng-
niß. Einmal ſchrie ich, als ich an dem Landtag
die Proceſſion voruͤbergehn hoͤrte, da kam der
Moͤrder hinauf, und ſchlug mich ſo jaͤmmerlich,
daß man noch itzt die Wundmale ſehen kann.
Endlich gelangs mir, daß ich in einer Nacht weg-
laufen konnte. Aber meine Kinder habe ich nicht
bey mir; die haͤtte ich nicht verlaſſen ſollen; der
Moͤrder bringt ſie mir um u. ſ. w.
Jch wuͤnſchte, daß der Urheber dieſer Erzaͤh-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/216>, abgerufen am 26.11.2024.
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