Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Begleiten Sie mich itzt, werthe Leser und
Leserinnen, in die schwarzen Kerker der Unglück-
lichen, die des richtigen Gebrauchs ihrer Seelen-
vermögen beraubt im tiefsten Elende leben, und
selbst ihr Elend nicht einmal empfinden.

Sehen Sie hier eine Reihe von Wahnsin-
nigen
. Jch bin der Monarch des Erdbodens,
sagt ein Schneider, der Geist zeugt es in mir!
Nein, fällt sein Nachbar ihm ins Wort, ich muß
das Gegentheil wissen, da ich der Sohn des Gei-
stes bin! Das Maul zu -- so hör' ich die Mu-
sik der Sphären -- schreyt ein Dritter. Seht
ihr nicht diesen Geist da, der mir alles offenbaret,
was gewesen ist und was seyn wird? -- Seht
ihr da diese verklärten Leiber? -- Jch trage
das Schwerdt Gedeons, folgt Kinder! Wir
sind unverwundbar. -- Und ich, versetzt ein
andrer, brauche nur ein Wort zu sagen, gleich
werde ich die größten Heere zerstreuen! Seyd
ihr nicht, fragt jener, der Apostel, der aus Tran-
sylvanien kommen soll? -- Schon lange gehn
wir an den Gestaden hin und her, ihn zu empfan-
gen. Jch bin gekommen zur Bekehrung der Ju-
den; und ich, schreyt ein andrer, halte eine pro-
phetische Schule *).

Wahn und Täuschung sind die Empfindun-
gen der Unsinnigen; was da wirklich ist, fühlen

sie
*) Meister über die Schwärmerey. 1. 166.

Begleiten Sie mich itzt, werthe Leſer und
Leſerinnen, in die ſchwarzen Kerker der Ungluͤck-
lichen, die des richtigen Gebrauchs ihrer Seelen-
vermoͤgen beraubt im tiefſten Elende leben, und
ſelbſt ihr Elend nicht einmal empfinden.

Sehen Sie hier eine Reihe von Wahnſin-
nigen
. Jch bin der Monarch des Erdbodens,
ſagt ein Schneider, der Geiſt zeugt es in mir!
Nein, faͤllt ſein Nachbar ihm ins Wort, ich muß
das Gegentheil wiſſen, da ich der Sohn des Gei-
ſtes bin! Das Maul zu — ſo hoͤr' ich die Mu-
ſik der Sphaͤren — ſchreyt ein Dritter. Seht
ihr nicht dieſen Geiſt da, der mir alles offenbaret,
was geweſen iſt und was ſeyn wird? — Seht
ihr da dieſe verklaͤrten Leiber? — Jch trage
das Schwerdt Gedeons, folgt Kinder! Wir
ſind unverwundbar. — Und ich, verſetzt ein
andrer, brauche nur ein Wort zu ſagen, gleich
werde ich die groͤßten Heere zerſtreuen! Seyd
ihr nicht, fragt jener, der Apoſtel, der aus Tran-
ſylvanien kommen ſoll? — Schon lange gehn
wir an den Geſtaden hin und her, ihn zu empfan-
gen. Jch bin gekommen zur Bekehrung der Ju-
den; und ich, ſchreyt ein andrer, halte eine pro-
phetiſche Schule *).

Wahn und Taͤuſchung ſind die Empfindun-
gen der Unſinnigen; was da wirklich iſt, fuͤhlen

ſie
*) Meiſter uͤber die Schwaͤrmerey. 1. 166.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0190" n="166"/>
          <p>Begleiten Sie mich itzt, werthe Le&#x017F;er und<lb/>
Le&#x017F;erinnen, in die &#x017F;chwarzen Kerker der Unglu&#x0364;ck-<lb/>
lichen, die des richtigen Gebrauchs ihrer Seelen-<lb/>
vermo&#x0364;gen beraubt im tief&#x017F;ten Elende leben, und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ihr Elend nicht einmal empfinden.</p><lb/>
          <p>Sehen Sie hier eine Reihe von <hi rendition="#b">Wahn&#x017F;in-<lb/>
nigen</hi>. Jch bin der Monarch des Erdbodens,<lb/>
&#x017F;agt ein Schneider, der Gei&#x017F;t zeugt es in mir!<lb/>
Nein, fa&#x0364;llt &#x017F;ein Nachbar ihm ins Wort, ich muß<lb/>
das Gegentheil wi&#x017F;&#x017F;en, da ich der Sohn des Gei-<lb/>
&#x017F;tes bin! Das Maul zu &#x2014; &#x017F;o ho&#x0364;r' ich die Mu-<lb/>
&#x017F;ik der Spha&#x0364;ren &#x2014; &#x017F;chreyt ein Dritter. Seht<lb/>
ihr nicht die&#x017F;en Gei&#x017F;t da, der mir alles offenbaret,<lb/>
was gewe&#x017F;en i&#x017F;t und was &#x017F;eyn wird? &#x2014; Seht<lb/>
ihr da die&#x017F;e verkla&#x0364;rten Leiber? &#x2014; Jch trage<lb/>
das Schwerdt Gedeons, folgt Kinder! Wir<lb/>
&#x017F;ind unverwundbar. &#x2014; Und ich, ver&#x017F;etzt ein<lb/>
andrer, brauche nur ein Wort zu &#x017F;agen, gleich<lb/>
werde ich die gro&#x0364;ßten Heere zer&#x017F;treuen! Seyd<lb/>
ihr nicht, fragt jener, der Apo&#x017F;tel, der aus Tran-<lb/>
&#x017F;ylvanien kommen &#x017F;oll? &#x2014; Schon lange gehn<lb/>
wir an den Ge&#x017F;taden hin und her, ihn zu empfan-<lb/>
gen. Jch bin gekommen zur Bekehrung der Ju-<lb/>
den; und ich, &#x017F;chreyt ein andrer, halte eine pro-<lb/>
pheti&#x017F;che Schule <note place="foot" n="*)">Mei&#x017F;ter u&#x0364;ber die Schwa&#x0364;rmerey. 1. 166.</note>.</p><lb/>
          <p>Wahn und Ta&#x0364;u&#x017F;chung &#x017F;ind die Empfindun-<lb/>
gen der <hi rendition="#b">Un&#x017F;innigen</hi>; was da wirklich i&#x017F;t, fu&#x0364;hlen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0190] Begleiten Sie mich itzt, werthe Leſer und Leſerinnen, in die ſchwarzen Kerker der Ungluͤck- lichen, die des richtigen Gebrauchs ihrer Seelen- vermoͤgen beraubt im tiefſten Elende leben, und ſelbſt ihr Elend nicht einmal empfinden. Sehen Sie hier eine Reihe von Wahnſin- nigen. Jch bin der Monarch des Erdbodens, ſagt ein Schneider, der Geiſt zeugt es in mir! Nein, faͤllt ſein Nachbar ihm ins Wort, ich muß das Gegentheil wiſſen, da ich der Sohn des Gei- ſtes bin! Das Maul zu — ſo hoͤr' ich die Mu- ſik der Sphaͤren — ſchreyt ein Dritter. Seht ihr nicht dieſen Geiſt da, der mir alles offenbaret, was geweſen iſt und was ſeyn wird? — Seht ihr da dieſe verklaͤrten Leiber? — Jch trage das Schwerdt Gedeons, folgt Kinder! Wir ſind unverwundbar. — Und ich, verſetzt ein andrer, brauche nur ein Wort zu ſagen, gleich werde ich die groͤßten Heere zerſtreuen! Seyd ihr nicht, fragt jener, der Apoſtel, der aus Tran- ſylvanien kommen ſoll? — Schon lange gehn wir an den Geſtaden hin und her, ihn zu empfan- gen. Jch bin gekommen zur Bekehrung der Ju- den; und ich, ſchreyt ein andrer, halte eine pro- phetiſche Schule *). Wahn und Taͤuſchung ſind die Empfindun- gen der Unſinnigen; was da wirklich iſt, fuͤhlen ſie *) Meiſter uͤber die Schwaͤrmerey. 1. 166.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/190
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/190>, abgerufen am 25.11.2024.