Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn die Aegyptier von einem Unglück heim-
gesucht wurden, so drohten sie dem Gott des Bö-
sen, dem Typhon, sich an seinen Lieblingen, den
Eseln, zu rächen, wenn er demselben nicht ein
Ende machen würde: so fern nun diese Drohun-
gen nichts halfen, geißelten sie den Götzen, und
stürzten einen Esel vom Felsen herunter.

Wenn die Sinesen und andere südliche
Asiaten Ursache zur Unzufriedenheit über einen
ihrer Götter zu haben glaubten; so schalten sie ihn
in folgenden Worten: Du Hund von Gott!
wir haben dir einen Tempel gebau't und dich ver-
goldet; und du bist so undankbar. Dann ban-
den sie ihn mit Stricken, schleppten ihn durch die
Gassen und warfen Koth auf ihn. Eben so ver-
ächtlich denken die heidnischen Hindus und Ceylo-
nesen von ihren Göttern: denn, wenn irgend ei-
ner sich über die Unfreundlichkeit seines Götzen be-
schwert, geben sie ihm den unübersetzbaren Rath:
Give him no sacrifice, but shit in his mouth,
what a God is he.

Vornehmlich fehlt dem ungebildeten Verstan-
de die nur durch Uebung zu erlangende Scharf-
sichtigkeit, die Dinge von einander zu unterschei-
den. Er schließt von Aehnlichkeit auf Gleichheit,
vom Besondern aufs Allgemeine. Zauberey und
Aberglauben finden daher bey rohen Nationen die
günstigste Aufnahme; denn es fällt ihnen nicht

ein,

Wenn die Aegyptier von einem Ungluͤck heim-
geſucht wurden, ſo drohten ſie dem Gott des Boͤ-
ſen, dem Typhon, ſich an ſeinen Lieblingen, den
Eſeln, zu raͤchen, wenn er demſelben nicht ein
Ende machen wuͤrde: ſo fern nun dieſe Drohun-
gen nichts halfen, geißelten ſie den Goͤtzen, und
ſtuͤrzten einen Eſel vom Felſen herunter.

Wenn die Sineſen und andere ſuͤdliche
Aſiaten Urſache zur Unzufriedenheit uͤber einen
ihrer Goͤtter zu haben glaubten; ſo ſchalten ſie ihn
in folgenden Worten: Du Hund von Gott!
wir haben dir einen Tempel gebau't und dich ver-
goldet; und du biſt ſo undankbar. Dann ban-
den ſie ihn mit Stricken, ſchleppten ihn durch die
Gaſſen und warfen Koth auf ihn. Eben ſo ver-
aͤchtlich denken die heidniſchen Hindus und Ceylo-
neſen von ihren Goͤttern: denn, wenn irgend ei-
ner ſich uͤber die Unfreundlichkeit ſeines Goͤtzen be-
ſchwert, geben ſie ihm den unuͤberſetzbaren Rath:
Give him no ſacrifice, but ſhit in his mouth,
what a God is he.

Vornehmlich fehlt dem ungebildeten Verſtan-
de die nur durch Uebung zu erlangende Scharf-
ſichtigkeit, die Dinge von einander zu unterſchei-
den. Er ſchließt von Aehnlichkeit auf Gleichheit,
vom Beſondern aufs Allgemeine. Zauberey und
Aberglauben finden daher bey rohen Nationen die
guͤnſtigſte Aufnahme; denn es faͤllt ihnen nicht

ein,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0180" n="156"/>
          <p>Wenn die Aegyptier von einem Unglu&#x0364;ck heim-<lb/>
ge&#x017F;ucht wurden, &#x017F;o drohten &#x017F;ie dem Gott des Bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;en, dem Typhon, &#x017F;ich an &#x017F;einen Lieblingen, den<lb/>
E&#x017F;eln, zu ra&#x0364;chen, wenn er dem&#x017F;elben nicht ein<lb/>
Ende machen wu&#x0364;rde: &#x017F;o fern nun die&#x017F;e Drohun-<lb/>
gen nichts halfen, geißelten &#x017F;ie den Go&#x0364;tzen, und<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzten einen E&#x017F;el vom Fel&#x017F;en herunter.</p><lb/>
          <p>Wenn die Sine&#x017F;en und andere &#x017F;u&#x0364;dliche<lb/>
A&#x017F;iaten Ur&#x017F;ache zur Unzufriedenheit u&#x0364;ber einen<lb/>
ihrer Go&#x0364;tter zu haben glaubten; &#x017F;o &#x017F;chalten &#x017F;ie ihn<lb/>
in folgenden Worten: Du Hund von Gott!<lb/>
wir haben dir einen Tempel gebau't und dich ver-<lb/>
goldet; und du bi&#x017F;t &#x017F;o undankbar. Dann ban-<lb/>
den &#x017F;ie ihn mit Stricken, &#x017F;chleppten ihn durch die<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;en und warfen Koth auf ihn. Eben &#x017F;o ver-<lb/>
a&#x0364;chtlich denken die heidni&#x017F;chen Hindus und Ceylo-<lb/>
ne&#x017F;en von ihren Go&#x0364;ttern: denn, wenn irgend ei-<lb/>
ner &#x017F;ich u&#x0364;ber die Unfreundlichkeit &#x017F;eines Go&#x0364;tzen be-<lb/>
&#x017F;chwert, geben &#x017F;ie ihm den unu&#x0364;ber&#x017F;etzbaren Rath:<lb/><hi rendition="#aq">Give him no &#x017F;acrifice, but &#x017F;hit in his mouth,<lb/>
what a God is he.</hi></p><lb/>
          <p>Vornehmlich fehlt dem ungebildeten Ver&#x017F;tan-<lb/>
de die nur durch Uebung zu erlangende Scharf-<lb/>
&#x017F;ichtigkeit, die Dinge von einander zu unter&#x017F;chei-<lb/>
den. Er &#x017F;chließt von Aehnlichkeit auf Gleichheit,<lb/>
vom Be&#x017F;ondern aufs Allgemeine. Zauberey und<lb/>
Aberglauben finden daher bey rohen Nationen die<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tig&#x017F;te Aufnahme; denn es fa&#x0364;llt ihnen nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0180] Wenn die Aegyptier von einem Ungluͤck heim- geſucht wurden, ſo drohten ſie dem Gott des Boͤ- ſen, dem Typhon, ſich an ſeinen Lieblingen, den Eſeln, zu raͤchen, wenn er demſelben nicht ein Ende machen wuͤrde: ſo fern nun dieſe Drohun- gen nichts halfen, geißelten ſie den Goͤtzen, und ſtuͤrzten einen Eſel vom Felſen herunter. Wenn die Sineſen und andere ſuͤdliche Aſiaten Urſache zur Unzufriedenheit uͤber einen ihrer Goͤtter zu haben glaubten; ſo ſchalten ſie ihn in folgenden Worten: Du Hund von Gott! wir haben dir einen Tempel gebau't und dich ver- goldet; und du biſt ſo undankbar. Dann ban- den ſie ihn mit Stricken, ſchleppten ihn durch die Gaſſen und warfen Koth auf ihn. Eben ſo ver- aͤchtlich denken die heidniſchen Hindus und Ceylo- neſen von ihren Goͤttern: denn, wenn irgend ei- ner ſich uͤber die Unfreundlichkeit ſeines Goͤtzen be- ſchwert, geben ſie ihm den unuͤberſetzbaren Rath: Give him no ſacrifice, but ſhit in his mouth, what a God is he. Vornehmlich fehlt dem ungebildeten Verſtan- de die nur durch Uebung zu erlangende Scharf- ſichtigkeit, die Dinge von einander zu unterſchei- den. Er ſchließt von Aehnlichkeit auf Gleichheit, vom Beſondern aufs Allgemeine. Zauberey und Aberglauben finden daher bey rohen Nationen die guͤnſtigſte Aufnahme; denn es faͤllt ihnen nicht ein,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/180
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/180>, abgerufen am 24.11.2024.